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Brokeback Chicken für homophobe Jugendliche

Was geschieht, wenn ein schwules Paar einen Jungen adoptiert, der nicht anderthalb sondern 15 Jahre alt ist und sich als homophob entpuppt? Das klingt nach abendfüllendem Problemtheater. Doch das Stück Patrick anderthalb, das im Comedia Theater Premiere feierte, ist glücklicherweise ganz anders. Vielmehr reizt das Gesehene die Lachmuskeln – unter anderem, weil die Vorurteile aller Beteiligten so herrlich überzogen daherkommen, dass sie nun ganz absurd wirken. Und das sollen sie auch.

Die Beteiligten.
Da ist zunächst einmal Göran (Knud Fehlauer), einer der Adoptiv-Väter, ein gnadenlos erfolgloser Erfinder abstruser Technik und gastronomischer Konzepte. In der Eingangsszene badet er – der erwachsene Mann – einem Meer aus Stofftieren, das natürlich für den eineinhalbjährigen Patrick, der für diesen Tag erwartet wird, gedacht ist. (Die Stofftiere sind übrigens durch einen Aufruf bei „Meine Südstadt“ ins Comedia Theater gekommen, und noch immer gehen weitere Spenden ein. Wenn Eure Kinder das wüssten…)

Herr Heimann ist der Schuldige an den entstehenden Verwicklungen, denn er ist krank und betritt die Bühne nie. Aber in seiner Funktion als Sachbearbeiter im Jugendamt war er für den Rechenfehler, der das Alter des Kindes verzehnfachte, verantwortlich. Da Herr Heimann im Bett liegt, ist Patrick, der 15 und nicht 1,5 Jahre alt ist, gezwungen, alleine sein neues Zuhause aufzusuchen.

Als Patrick (Luan Gummich) schließlich in der Wohnungstür erscheint, wird er von Göran für den neuen Postboten gehalten. Dabei ist er alles andere als das. Er ist unter anderem wegen Totschlags und diverser Drogendelikte vorbestraft und entspricht daher in keiner Weise dem Wunschkind des im spießigen bürgerlichen Mainstream lebenden schwulen Paares. Und für den Jugendlichen ist es eine absolute Zumutung, bei zwei Vätern unterzukommen. Schwule sind für ihn der Abschaum der Gesellschaft.

Sven (Manuel Moder), Görans Ehemann, ist Sozialarbeiter. Gerade hat er als Huhn verkleidet im Kinderkrankenhaus Ostereier verteilt und mit dem adoptierten Sohn Patrick ist er sich nur in einem einig: sie gehören nicht zusammen und sollten sich so schnell wie möglich wieder trennen. Leider ist das über die Feiertage nicht möglich. Erst danach kann eine Lösung durch das Jugendamt gefunden werden.

Die Handlung.
Sie zoffen sich, sie hassen sich, sie schlagen sich beinahe. Doch die angespannte Situation führt zwangsläufig auch zu einer Auseinandersetzung miteinander. In manchmal etwas belehrender Form agieren und unterhalten sich die drei miteinander, erzählen sich von ihren Hintergründen, ihren Wünschen und Träumen. Patrick zeigt seine bedürftige und weiche Seite, Sven offenbart die Abgründe seiner Familie und Göran steht die meiste Zeit zwischen den Stühlen, da er es allen recht machen will. Die drei schwingen sich dabei in den Dialogen zu teils humoresken, teils bösartigen Wortspielen wie „Brokeback Chicken“ und anderen Anspielungen auf schwule Filme und Themen auf.

Sven und Patrick verändern sich durch die Auseinandersetzungen deutlich. Sie legen auch das Konzept des Stücks offen: Nur wenn sich die Menschen kennenlernen, sind sie in der Lage, Vorurteile abzubauen. Das gilt für Vorverurteilungen aus allen Richtungen. Und dies führt die Zuschauer zu sich selbst, denn sie werden sich fragen: Wie steht es denn mit meinen Vorurteilen? Das klassische Südstadt-Publikum wird sich fragen lassen müssen, wie es denn um sein Denken gegenüber sozial schlecht gestellten Jugendlichen bestellt ist. Das anvisierte Zielpublikum – Jugendliche ab 13 Jahren – wird wohl eher mit der Frage nach dem Umgang mit Schwulen beschäftigt sein. Beide Gruppen können aus dem Stück lernen – wenn sie sich denn darauf einlassen.

Die Schauspieler und die Regie.
Manuel Moser ist den regelmäßigen Besuchern des Comedia Theaters wohl bekannt. Mit der von ihm bekannten Professionalität spielt er seine Rolle sehr ausdrucksstark und lässt gerade das jüngere Publikum dicht an sich heran. Die von Knud Fehlauer gemimte Figur des Göran bleibt leider relativ blass, doch das mag auch daran liegen, dass er als ausgleichendes Moment selten eine kontroverse Position bezieht, an denen sich seine innere Welt als Reibungspunkt abzeichnet. Luan Gummich als Patrick ist der hervorstechende Part in dieser Inszenierung. Der Schauspielschüler der Schule des Theaters spielt hier seine erste Rolle am Comedia Theater und geht darin so eindrucksvoll durch alle Emotionen, dass seine weitere Karriere mit Spannung zu beobachten sein wird.

Jens Dierkes inszeniert dieses Stück als ein Spiegelbild der Gesellschaft. Indem er Patrick so nah am Denken und Funktionieren 15-jähriger Pubertierender positioniert, holt er die Jugendlichen, an die sich das Stück in erster Linie richtet, in ihrer Lebenswelt ab und führt sie sanft und zugleich zielsicher in die Auseinandersetzung mit sich, der Gesellschaft und speziell der schwulen Subkultur.

Die Umbauten werden optisch und musikalisch für kurze Zwischenspiele genutzt. Besonders erwähnt sei dabei der Tanz der Hähnchen, der alle drei Beteiligten in geradezu absurden Bewegungen die Requisiten über die Bühne schieben lässt. Diese Szenen – und auch viele andere – sind unterlegt mit einem sehr passenden musikalischen Gesamtkonzept, für das Ralf Rotterdam verantwortlich ist. Die schlichte und zugleich sehr ansprechende Ausstattung fußt auf der Arbeit von Stephan Testi.

Der Hintergrund.
Das aus dem Schwedischen übersetzte Stück thematisiert eines der letzten großen Themen im Spannungsbereich der rechtlichen Gleichstellung schwuler und lesbischer Paare. Zum Zeitpunkt der Uraufführung (1994) war die Adoption durch Lesben und Schwule in Schweden noch lange nicht gesetzlich verankert. Erst seit 2002 ist es ihnen erlaubt, zu adoptieren. So kann dieses Stück als ein Wegbereiter angesehen werden. Warum soll in Deutschland nicht möglich sein, was in Schweden funktioniert?


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