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„An den Schnittstellen der Wahrheit faltet man Origami.“

Mein erster Poetry Slam. Ich bin gespannt und ich habe – zugegebenerweise – meine Zweifel. Doch ich stelle schnell fest, dass ich nicht der erste bin, der zum ersten Mal eine solche Veranstaltung besucht. Und dann auch noch in der Südstadt. Im Odeon.
Unter der Titel The Word Is Not Enough findet seit fünf Jahren jeden dritten Sonntag im Monat dieser Slam in der Kwartier-Lateng-Institution Blue Shell statt. Zum Jubiläum ziehen die Veranstalter in das Odeon-Lichtspieltheater um. Und sie füllen den Raum bis zum letzten Platz. Gespannte Erwartung von der ersten bis zur letzten Reihe.
Noch vor Beginn werden Jurymitglieder aus dem Publikum ausgewählt, sieben Stück an der Zahl. Klar: Ein Slam ist eine Art Contest. Doch nicht das gesamte Publikum soll entscheiden, wer der beste Slammer des Abends ist, sondern des vereinfachten Procederes halber, nur ein paar wenige.
Zwei Moderatoren betreten die Bühne, sehen aus wie Zwillinge: Rasierte Köpfe, schwarze Bärte. Der eine – Alexander Bach, der Veranstalter des Slams – gekleidet in einen schwarzen Anzug, der andere – Michael Schönen – in cooler Baggyjeans mit heraushängender Schlüsselkette. Die beiden Herren führen durch den Abend, beginnen mit einer langen Vorrede über die Historie des Slams, versuchen witzig zu sein, drehen sich jedoch eher selbstverliebt um sich selbst. Bach mokiert sich über die Abgründe der deutschen Sprache, darüber dass die Verlage Oetinger und Thienemann ihre Kinderbücher an die Gegenwart anpassen, ohne jedoch auf die medial geführte Diskussion reflektiert einzugehen. Schließlich versteigert er sich in die Bemerkung, er komme aus einer Generation, in der er noch „Negerküsse bis zur Vergasung“ gegessen habe. Autsch.
Der Abend erreicht seinen ersten Tiefpunkt, als Philipp Schiemann als Sondergast außer Konkurrenz eine vulgäres Gedicht zweifelhafter literarischer Qualität zum Besten gibt. Er selber formuliert darin das Motto: „Der erste Text ist ein gottverdammter Jammer.“
Nach diesem ermüdenden Start, untermalt von einem Gedicht Michael Schönes und dem permanent ausfallenden Mikrofon, beginnt endlich der Hauptteil des Abends: Die fünf im Vorfeld ausgewählten Slammer dürfen nacheinander die Bühne betreten und ihre Texte vortragen. Leider schleicht sich der Gedanke ein, dass die Lesenden lediglich Dekoration der auf der Bühne sitzenden Moderatoren sind, die die Texte offenbar kennen und sich daher getrost miteinander unterhalten können. Das zieht die Konzentration von dem angeblichen Hauptact ab.
Drei Männer, zwei Frauen. Florian Cieslik macht den Anfang mit gut gemeinter Sozialkritik in gereimter Form. Ihm folgt auf dem Fuße Jan Pilipp Zimny, der aus den fiktiven Tagebüchern seiner kleinen Schwester vorliest und damit einen ersten Höhepunkt des Abends setzt. Spontan möchte ich mehr von ihm hören, zumal er in einer Mischung aus gut geschriebenen Texten und gesunder Selbstironie eine sehr sehenswerte Comedy-Show abliefert. Nicht nur jetzt, sondern auch später, als die Slammer zur zweiten Runde auf die Bühne treten.
Doch die Überraschung des Abends tritt dann nach vorne: Theresa Hahl. Zuerst scheucht sie die Moderatoren fort, die ihr das Mikro einstellen wollen: „Das kann ich schon selber. Ich sehe zwar aus wie 14, bin aber fast zehn Jahre älter.“ Und dann trägt sie vor. Den ersten nachdenklichen Text dieses Slams, der erste Text der tiefgründig und klug ist. Sie spricht schnell, routiniert, emotional. Erst ganz allmählich entfaltet sich der Humor, der auch ihren Texten inne ist: „Verloren gehen ist immerhin eine Art der Bewegung“ und „An den Schnittstellen der Wahrheit faltet man Origami.“ Viel zu früh macht sie Platz für die anderen Künstler.
Der Name des nächstes Slammers macht mich nachdenklich: Wie kommt jemand auf die Idee, sich das Pseudonym Quichotte zu geben? Doch bevor ich darüber weiter nachdenken kann, trägt er seine durchaus amüsanten Texte vor. Bemerkenswert ist an seinem Auftritt zudem, dass er aus seiner Hosentasche wunderbar zerfledderte Zettel zieht, eingerissen und offenbar schon oft benutzt, von denen er seine Worte vorliest.
Auch Anke Fuchs, die zweite Frau auf der Bühne, beschäftigt sich eher mit Tiefgründigem, Nachdenklichem. Sie spricht leise über Freundschaft und über den Verlust derselben. „Erinnerst du dich noch“ wirft sie immer wieder in den Raum und macht damit Lust auf mehr. Die Jury sieht das anders. Leider.
Zwei Vorrunden gehen ins Land. Und meine Befürchtungen bestätigen sich: Lustige Texte setzen sich auf diesem Slam durch. Die Texte mit tieferer Bedeutung gehen im Rausch des Bedürfnisses, unterhalten zu werden, unter. Im Finale treten Zimny und Cieslik gegeneinander an. Letzterer entscheidet den Abend für sich. Die Entscheidung der Jury und meine persönlichen Vorlieben klaffen weit auseinander.
Das unkonzentrierte Geplänkel der Moderatoren zieht die Veranstaltung unnötig in die Länge. Gerne hätte ich Theresa Hahl noch eine Weile gelauscht. Doch sie ist sowieso die Gewinnerin des Abends, denn ich bin sicher, dass wir von ihr zukünftig noch einiges hören werden.


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