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„Die Pantomime hat mich aufrecht gehalten“

Milan Sladek ist einer der großen Pantomime. 1938 in der Slowakei geboren, übernahm er nach einer Ausbildung zum Holzschnitzer und dem Studium an der Akademie für Musische Künste in Bratislava die Leitung des Theaterstudios in in der gleichen Stadt und errang große Erfolge mit seiner Kunst. Nach dem Prager Frühling emigrierte er zunächst nach Schweden und ließ sich 1970 in Köln nieder. 1974 gründete er hier das Theater “Kefka”. Von 1987 bis 1992 war er Professor an der Folkwang-Hochschule in Essen, 1994 bis 2002 Direktor des Theaters Arena, des Internationalen Instituts für Bewegungstheater in Bratislava.
Zurzeit erarbeitet Milan Sladek mit Studenten der Prager Akademie der Musischen Künste das antike Stück “Antigone”. Im März und im April 2014 wird er Marcel Duprés “Kreuzweg” in der Karthäuserkirche aufführen. Ich traf mich mit ihm, um mit ihm über die Kunst der Pantomime zu sprechen.

Was ist Pantomime?
Pantomime ist eine Kunst, die auf den menschlichen Fähigkeiten basiert, mit dem Körper zu reden.

Was bedeutet diese Form des Ausdrucks für Sie?
Ich bin ein wenig stolz, dass ich diese Kunst machen kann. Pantomime ist ein Konglomerat vieler Kunstgattungen. Sie müssen die Stücke selber schreiben. Sie müssen den Körper fast wie ein Tänzer beherrschen. Auf der Bühne agiert man wie eine bewegliche Statue. Die Bühne ist wie der Rahmen eines Bildes. Und schließlich ist man noch Schauspieler.

Wie unterscheidet sich Pantomime vom klassischen Theater?
Die Wurzeln sind gleich. Man entscheidet sich nur, nicht zu reden. Sie wählen Stoffe aus, die leicht zu begreifen und darzustellen sind. Sie agieren ausschließlich mit Gestik und Mimik. Aber eigentlich ist der größte Unterschied, dass die Pantomime ein Autorentheater ist: Wir haben keine Shakespeares, Molieres, Goethes, die für uns schreiben. Wir müssen das selbst tun.

Gibt es in Ihrer Arbeit eine gesellschaftliche oder politisch Ebene?
Eine ausgesprochen menschliche Tiefe. Wenn man den Psychologen glaubt, die sich mit Körpersprache beschäftigen, dann sind 70% unserer Kommunikation nonverbal und 30% verbal. Wenn wir einen Satz formulieren, arbeiten wir mit unserem Gehirn. Die Körpersprache entsteht oft ohne vorherige Formulierung, aus der Tiefe. Wir lernen zwar, uns zu beherrschen, aber auch Politiker, die gelernt haben, sich zu kontrollieren, brechen aus, wenn sie irritiert sind. Sie gestikulieren, können sich nicht beherrschen. Der Mime versucht, sich selbst und die anderen kennenzulernen, und dies als Material rational einzusetzen. Die Beobachtungen der Natur und der Umgebung in sich zu verarbeiten und weiterzugeben – das gehört zu den ältesten zivilisatorischen Bewegungen. Insoweit ist Pantomime auch etwas religiöses.
Sie offenbaren viel von sich.
In einem Psyochodrama könnte ich das nicht kontrollieren. Aber wenn ich Erfahrungen und Charaktereingenschaften bewusst einsetze, kann ich sie für eine bestimmte Aussage anwenden.

Wie haben Sie Ihre eigene Sprache der Pantomime entwickelt?
Eine Biografie über den großen Mimen Jean-Gaspard Deburau aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war für mich eine Offenbarung. In der Tschechoslowakei gab es damals keine Pantomimen. Nach der Kunstgewerbeschule habe ich die Akademie besucht und Sprechschauspiel gelernt. Mein Weg ist aber anders als der der französischen Pantomime, die sich stark um eine Abstraktion bemühen. Das versuche ich zwar auch, ich frage mich jedoch, ob die Art, wie man diese Kunst weitergibt, dazu führt, dass die Kunst so rar und unverstanden ist. Wenn ein Maestro sagt, nur das sei maßgebend, was er für richtig hält, und seinen eigenen als Stil als Maßstab setzt, dann ist das so, als hätte Picasso gesagt, alle müssten malen wie er. Dann hätten wir Chagall und andere Künstler nicht gehabt. Genau das ist in der Pantomime passiert. Heute schämen sich Manche dafür, dass sie Mimen sind. Sie wollen sich abgrenzen. Sie nennen es also Bewegungstheater, sind Clowns. Sie machen wunderbare Pantomime, aber unter einem anderen Namen.

Wie hat sich Ihre Kunst in den letzten Jahren weiterentwickelt?
Ich strebe nicht nach Veränderung. Ich strebe danach, die Sachen besser zu verstehen. In Interviews aus den 60er Jahren finde ich schon meine Gedanken von heute. Ich kann die Grenze für mich selber nur erweitern, wenn ich meinen Körper und meine Fähigkeiten, sich auszudrücken, begreife. Dann kann ich es wagen, weiter zu gehen.
Durch die feste Überzeugung von der Wichtigkeit und Richtigkeit dieser Kunst habe ich keine Angst, Grenzen zu überschreiten. Auf einer Seite werde ich als Klassiker betrachtet. Doch dann bin ich in der Grenzüberschreitung derjenige, der die Pantomime kaputt macht. Es war für mich immer sehr wichtig, nicht stehen zu bleiben.

Erzählen Sie uns etwas von Marcel Duprés Orgelwerk “Der Kreuzweg”.
Ich habe nie gedacht, dass ich einmal die letzte Phase Jesu Christi auf die Bühne bringe. Ich wurde von dem Düsseldorfer Orgelspieler Wolfgang Abendroth gefragt, ob ich mit ihm den Kreuzweg aufführe. Erst habe ich abgesagt, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dieses Thema passend darzustellen. Aber als ich die Musik hörte, habe ich festgestellt, dass sie so erzählerisch und so voll Feinheiten und Ausdruck ist, dass ich mich damit beschäftige. Und mich hat überrascht, dass es eine absolut aktuelle Geschichte ist.

Was ist die Aktualität für Sie darin?
Da war ein Mensch, der von der Richtigkeit seines Weges so überzeugt war, dass er bereit war, sich dafür zu opfern. Bei bestimmten Szenen, in denen Jesus gequält wird, sind die Bilder von amerikanischen Soldaten, die Iraker quälen, vor mir aufgetaucht. Solche Bilder helfen, dem Ausdruck Glaubwürdigkeit zu verleihen. Vielen Szenen sind zugleich eine Auseinandersetzung mit dem, was man heute lebt. Wir sind zwar nicht gekreuzigt, werden aber bestraft, für etwas, woran man glaubt.

Was erzählt uns ein antiker Stoff heute noch?
Es ist wie eine Stafette, die durch die Geschichte geht. Manche Dinge haben nur Relevanz in ihrer Zeit. Andere haben Wichtigkeit bis heute. Bei der Antigone habe ich manchmal den Eindruck, dass sie heute geschrieben sein könnte.

Sie haben einen reichen und aufregenden Lebensweg hinter sich. Sie verließen die Tschechoslowakei nach dem Prager Frühling in Richtung Schweden und leben seit 1970 in Deutschland. Welche Erinnerungen sind für Sie heute im Rückblick relevant?
Man ist wie ein Spielball. Man befindet sich in einer Situation, die man anerkennen muss. Man muss sich anpassen und auseinandersetzen können. Trotzdem ist da etwas, was man verfolgt. Es sind dramatische Veränderungen, die ich erlebt habe, aber so ist das Leben. Man muss weitergehen, sich immer wieder selbst finden.
Ich wollte damals nicht emigrieren. Ich war im Ausland und bin mit einem Teil meiner Gruppe nach Schweden gegangen – in der Überzeugung, dass ich zurückkehre. Die Entscheidung, nach Deutschland zu gehen, fiel, weil sich in der Tschechoslowakei eine sogenannte Normalisierung vollzog, die mir Angst machte.
Köln hat mich schon bei meinem ersten Auftritt 1965 angesprochen. Ich kam 1970 ohne jegliche Kontakte hier hin. Es war die Pantomime, die mich über Wasser gehalten hat. Das Gründung des Theater “Kefka” war daher nicht nur ein künstlerischer Schritt, sondern auch eine Rettung des Selbst. Auf einmal habe ich wieder Boden unter den Füßen gefunden. Diese Kunst ist eine Philosophie, die man in sich trägt.

Was bedeutet das geeinte Europa vor diesem Hintergrund für Sie?
Es konnte nichts Besseres passieren. Während des Prager Frühlings wussten die Russen genau, warum sie eingegriffen haben. Und dann standen auf einmal ganze Ideologien auf wackeligen Beinen. Man kann heute von Österreich nach Bratislava reisen, ohne gestoppt zu werden. Die riesigen Hämmer und Sicheln aus Marmor sind verschwunden. Da fragen ich mich, wo die Werte geblieben sind, die damals eine Rolle spielten. Und es ist doch phantastisch, überall in der gleich Währung zu bezahlen oder dort zu studieren, wo man will. Europa sollte also noch näher zusammenrücken.

Wie erleben Sie Deutschland heute?
Deutschland spielt eine enorm große und positive Rolle. Man ist sich der eigenen Geschichte bewusst und man möchte sich von dem, was passiert ist, separieren. Man holt die positiven Aspekte der Nation hervor. Ich erinnere mich an meinen Professor in der Kunstgewerbeschule, der uns 1953 heimlich Deutsch beibrachte. Er hat positiv über die deutsche Kultur gesprochen, wenngleich er seine eigene Meinung über die Nazizeit hatte. Ich finde es also eine glaubwürdige Position, wenn Deutschland den Schulmeister spielt. Man darf nur nicht zu selbstgefällig sein.

Wie halten Sie sich fit?
Mich hält die innere Aufgabe aufrecht: Das gibt dem Körper Kraft. Und der Spaß an der Arbeit. Ich muss natürlich auch trainieren, aber nicht mehr so intensiv wie in den jüngeren Jahren. Die Aufführungen, in denen ich mich nicht schone, sind nicht nur eine künstlerische Aussage, sondern auch Training für mich.

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Gespräch genommen haben.


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