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Dorfidylle - Der Fortsetzungsroman

Dorfidylle #14

Konfrontation.

Nach zwei Stunden in seinem eigenen Bett riss der Wecker David um halb neun Uhr aus dem Tiefschlaf. Er fühlte sich wie gerädert, musste aber in einer Stunde schon wieder im Hotel sein. Schließlich würden Sids Gäste nach dem Frühstück auschecken wollen und David war an der Rezeption eingeteilt. Er ließ seinen Zeigefinger ein paar Sekunden über der Schlummer-Taste schweben, doch dann kroch er doch aus dem Bett. Er duschte schnell und stolperte danach zügig die Treppe runter, um wenigstens noch einen Kaffee trinken zu können, bevor er losmusste.
Er hatte allerdings nicht mit seiner Mutter gerechnet, die in der Küche auf ihn wartete. David sah auf den ersten Blick, dass es ihr nicht gut ging, konnte sich jetzt allerdings nicht um sie kümmern, weil er in ein paar Minuten das Haus verlassen musste, wenn er pünktlich im Hotel sein wollte.

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»Ich sehe dich ja gar nicht mehr«, beklagte sich seine Mutter und sah ihn müde an. »Arbeitest du so viel?«
Sie legte ihre Zeitschrift zur Seite, erhob sich schwerfällig vom Küchenstuhl und stellte David eine Tasse auf den Tisch. Als sie nach der Kaffeekanne griff, fielen David die beiden leeren Weinflaschen in der Ecke der Ablage auf. Gestern hatten die noch nicht da gestanden. Er setzte sich an seinen Platz. Seine Mutter reichte ihm die volle Tasse.
»Hattest du Besuch?«, erkundigte er sich und trank einen Schluck Kaffee.
»Nein, wieso?«
»Die Weinflaschen …«
Jetzt bemerkte er auch die rot unterlaufenen Augen seiner Mutter und ihren unsicheren Gang. Nein, sie hatte keinen Besuch gehabt. Sie hatte allein zwei Flaschen Wein getrunken. David stöhnte innerlich. Und seine Mutter, die kurz in eine Starre gefallen war, winkte betont lässig mit der Hand ab.
»Die räume ich gleich weg«, sagte sie und setzte sich wieder.
»Mama!«, sagte er leise. »Zwei Flaschen sind zu viel.«
In diesem Moment brauste seine Mutter auf. »Was soll ich denn machen?«, blaffte sie ihn an. »Ich sitze hier ja jeden Abend allein rum, während mein Sohn es noch nicht einmal für nötig hält, zum Schlafen nach Hause zu kommen!«
Überrascht starrte David seine Mutter an. Sollte er sich wirklich verteidigen? Er schluckte und stellte die Tasse auf den Tisch.
»Ich bin erwachsen und muss dir schon lange nicht mehr Bescheid sagen, wenn ich mal später komme. Außerdem habe ich dir ja geschrieben.«
»Irgendwann mitten in der Nacht! Und dann schleichst du dich still und heimlich früh morgens die Treppe rauf und denkst, ich kriege das nicht mit?«
Sie schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. Beinahe wären die Kaffeetassen dabei umgefallen. David zuckte erschrocken zurück.
»Ich habe gestern gearbeitet. Hast du das schon vergessen?«, sagte er.
»Willst du mir jetzt neben dem Alkoholismus auch noch Demenz anhängen?«
David vergrub den Kopf in den aufgestützten Händen und raufte sich die Haare. Er war diese Diskussionen so leid.
»Mama!«, sagte er ruhiger. »Ich will dir gar nichts anhängen.«
»Doch! Natürlich tust du das! Ständig kommst du mir mit deiner Psychoscheiße und willst mich zu irgendwelchen Ärzten schleppen. Ich mache das nicht mehr mit!«
Sie sprang auf und warf den Stuhl dabei um. Durch das Geschepper brachte sie sich allerdings selbst aus dem Takt und lehnte sich schwer auf den Küchentisch, anstatt – wie David befürchtet hatte – die Küche und damit ihn und das Gespräch zu verlassen. David stand auf, ging zu ihr, hob den Stuhl auf und schob sie auf die Sitzfläche. Dann legte er die Arme um ihren Oberkörper und drückte sie an sich.
»Ach Mama, das ist doch alles gar nicht wahr«, murmelte er in ihre ungewaschenen Haare. »Ich mache mir nur Sorgen um dich.«
Die Schultern seine Mutter zuckten leicht und sie schniefte.
»Wo warst du denn diese Nacht bloß? Ich hätte dich gebraucht.«
»Ich hab dir doch geschrieben, dass ich bei einer Kollegin übernachte.«
Fast hätte er gesagt, dass er bei einem Freund gepennt hatte, doch dann war ihm im letzten Moment eingefallen, was er ihr nachts geschrieben hatte. Seine Mutter nickte.
»Eine Kollegin also«, sagte sie. »Ist sie nett?«
»Es ist nicht das, was du denkst, Mama.«
Unter sich hörte er ein raues Lachen.

»Ich weiß doch, dass du auf Jungs stehst, keine Sorge.«

David löste sich aus der Umarmung und taperte erschöpft zu seinem Platz zurück. Er war es auch leid, gegen die Vermutungen seiner Mutter anzudiskutieren. Also ließ er es bleiben.
»Gestern war so ein Abend, da hätte ich Gesellschaft gebraucht.« Seine Mutter legte ihre Hände auf den Tisch und ließ den Blick auf ihnen ruhen. »Wenn du nicht da bist, dann fühlt sich alles so leer und sinnlos an.«
Endlich hob sie die Augen und sah ihren Sohn auf der anderen Seite des Tisches traurig an. David wurde unter ihrem Blick eiskalt.
»Ehrlich gesagt weiß ich nicht, welchen Sinn mein Leben noch haben soll, wenn du eines Tages ausziehst. Und das wirst du tun, denn irgendwann müssen alle Kinder einmal bei ihren Müttern ausziehen.«
Davids Mund wurde trocken. Er kannte diese Gespräche in- und auswendig. Aber er konnte doch nicht ewig mit seiner Mutter zusammenwohnen. Irgendwann musste er sein eigenes Leben leben. Den Job bei Konrad würde er nur für eine Übergangszeit machen, das war ihm in den vergangenen Tagen immer klarer geworden. Und wenn er eines Tages etwas Neues anfangen würde, dann würde er in dem Zusammenhang vermutlich auch umziehen. Er konnte sich den Arbeitsplatz nicht aussuchen, vor allem, weil es hier in der Umgebung einfach viel zu wenig Jobs gab.
»Wenn du mich allein lässt«, fuhr seine Mutter jetzt fort, »dann ist das wie damals, als mich alle verlassen haben.«
David schluckte schwer. »Was meinst du damit? Ich war doch immer da.«
Seine Mutter nickte. »Das warst du. Aber als du noch ganz klein warst, als wir hier im Dorf gewohnt haben, vor dem Umzug nach Berlin … Damals haben mich alle verlassen und mit der ganzen Verantwortung und der Last allein gelassen.«
Tränen flossen ihr jetzt wieder über die Wangen.
»Wer hat dich denn allein gelassen?«, fragte David. »Papa?«
»Der auch.«
»Und was für eine Last meinst du?«
Seine Mutter schwieg lange. Langsam versiegten die Tränen und sie wischte sich mit einem Küchentuch das Gesicht trocken.
»Willst du frühstücken?«, fragte sie und stand auf.
»Mama! Von welcher Last redest du?«
David trat wieder auf sie zu und hielt sie fest, als sie nach dem Brot griff. Einen Moment lang sahen sie sich in die Augen und David entdeckte in ihrer Tiefe Angst und Traurigkeit, die er in dieser Intensität lange nicht mehr bei ihr gesehen hatte.
»Mama!«, wiederholte er leise.
Doch sie schüttelte den Kopf und zog ihren Arm aus seiner Hand.
»Ich will nicht darüber reden. Okay?« Sie drückte ihn sanft von sich. »Ich kann nicht. Sonst kommt all das Dunkle von früher wieder zurück. Und das will ich nicht.«
»Ich verstehe nicht, wovon du sprichst«, sagte David verwirrt. »Was war früher so dunkel? Was ist damals passiert?«
Wieder schüttelte seine Mutter den Kopf. »Irgendwann erzähle ich dir das mal.« Sie setzte sich zurück an den Tisch und zauberte ein künstliches Lächeln auf ihre Lippen. »Was war das denn gestern eigentlich für eine Feier, bei der du so lange arbeiten musstest?«
Sie blickte ihn an, als wäre nichts geschehen. Als hätte sie nicht vor ein paar Minuten einen Suizid angedeutet. Als hätte sie David nicht mit Vorwürfen überhäuft und wieder einmal Verantwortung von ihm eingefordert. David sah sie erschöpft an und war ratlos, wie er reagieren sollte. Schließlich setzte er sich einfach wieder.
»Der Neffe des Grafen hat seinen einundzwanzigsten Geburtstag gefeiert«, erzählte er also und war froh, das Thema wechseln zu können. »Ich war ja zum ersten Mal auf da draußen auf dem Schloss und die haben echt alles aufgefahren, was ging. So viel Champagner habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Und das Buffet …« David unterbrach sich, weil er den entsetzten Gesichtsausdruck bei seiner Mutter entdeckte. »Mama? Was ist los?«
Seine Mutter war leichenblass geworden und hatte die Augen weit aufgerissen. David sprang auf und eilte auf sie zu.
»Was ist passiert?«, fragte er besorgt. »Willst du ein Glas Wasser?«
Er wandte sich um, schnappte sich ein Glas von der Spüle und ließ Wasser aus dem Wasserhahn hineinlaufen. Als er es seiner Mutter reichte, schien die sich jedoch schon wieder ein wenig gefangen zu haben.
»Ich wusste nicht, dass Georg wieder zurück ist«, murmelte sie. »Wie geht es ihm?«
Jetzt richtete sie die Augen auf ihren Sohn und nahm ihm das Glas ab. Sie trank in langen Zügen, bis es leer war. Dann platzierte sie es so vorsichtig auf dem Tisch, als wäre es aus feinstem Kristall.

»Du kennst Georg?«

»Natürlich kenne ich ihn. Er hat schließlich hier gelebt, als du geboren wurdest.«
Daran hatte David noch gar nicht gedacht. Aber sie hatte natürlich recht. Er selbst würde in einem dreiviertel Jahr einundzwanzig werden. Das bedeutete, dass er Sid unter Umständen als Baby begegnet war. David versuchte, sich zu beruhigen, obwohl sein Herz aufgeregt pochte.
»Er hat lange in London gelebt«, sagte er. »Seit ein paar Wochen ist er wieder hier.«
»Dann hasst er das Leben hier in der Provinz bestimmt«, mutmaßte seine Mutter.
»Bin ich ihm damals begegnet, als wir noch hier gelebt haben?«, fragte David möglichst ruhig.
Noch einmal kehrte die Blässe in das Gesicht seiner Mutter zurück. Sie nickte.
»Ihr wart an dem Abend zusammen bei Oma«, murmelte sie.
»An welchem Abend?«
»Als er seine Eltern verloren hat.«
Hätte sie David mit dem Nudelholz vor den Kopf geschlagen, dann wäre die Überraschung nicht heftiger gewesen. Völlig verstört starrte er seine Mutter an.
»Er war hier?«, stammelte er.
»Oma hat auf euch beide aufgepasst«, bestätigte seine Mutter noch einmal. »Meistens habe ich ihn genommen, wenn seine Eltern mal ausgehen wollten. Aber an dem Abend war ich selbst verabredet.«
Immer noch fassungslos suchte David nach Worten.
»Dann warst du sein Kindermädchen?«
Diesmal schüttelte sie den Kopf. »Ich habe nur auf ihn aufgepasst. Auf dem Schloss bin ich nie gewesen.«
»Wie war das in der Nacht?«, fragte David. »Was ist da passiert? Die Leute erzählen so viele Geschichten, da weiß ich gar nicht, was ich glauben soll.«
»Ich kann mich nicht mehr erinnern«, murmelte seine Mutter. Sie erhob sich und stellte das Glas in die Spüle. »Hast du oben noch Wäsche?«, fragte sie und ging in den Flur.
David eilte ihr nach.
»Mama! Was ist damals passiert? Kanntest du seine Eltern?«
Ruckartig wirbelte seine Mutter herum und sah ihn wütend an.
»Hör auf, mir Fragen zu stellen, die ich nicht beantworten will«, fauchte sie. »Was interessiert dich das überhaupt alles? Wirst du jetzt zu so einem Lästermaul, der sich über die Nachbarn im Dorf das Maul zerreißt?«
Das Gesicht seiner Mutter war verzerrt vor Wut.
»Ich …«, stammelte er. Er war kurz versucht, ihr zu sagen, wo er letzte Nacht war. Aber damit würde er ein Fass aufmachen, das zu groß für ihn war. »Ich wollte nicht … ach egal.«
Er wandte sich ab und zog sein Handy aus der Tasche. Es war kurz vor zehn. Er musste los, wenn er sich keinen Rüffel von Konrad einfangen wollte.
»Dann frag mich nie wieder danach!«, sagte seine Mutter noch einmal mit Nachdruck.
Danach stapfte sie die Treppe hinauf. David sah ihr perplex nach. Er musste diese Informationen erst einmal verarbeiten. Doch vorher stand die Arbeit im Hotel an. Also nahm er seine Jacke vom Kleiderhaken und eilte nach draußen.
Er sprang auf sein Fahrrad und raste los. Die Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf. Er hatte vor zwanzig Jahren mit Sid gespielt. Sie hatten also so etwas wie eine gemeinsame Vergangenheit. Das musste er ihm erzählen. Aber weshalb reagierte seine Mutter so gereizt auf das Thema? Was hatte sie damals erlebt, dass sie heute nicht darüber sprechen wollte? David konnte sich das nicht erklären.
Als er später die Gründe dafür erfuhr, machte das die Situation nicht einfacher.

© Stephan Meyer, Köln 2022 – Alle Rechte vorbehalten


Das war das vierzehnte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare. Ich freue mich auf deine Rückmeldungen.


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