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Dorfidylle - Der Fortsetzungsroman

Dorfidylle #20

Winzer.

Heute Abend schon was vor?
David starrte das Display seines Handys an. Die Nachricht von Alexander hatte ihn aus seinem Dämmerzustand gerissen. Er verbrachte den Sonntag zu Hause, versuchte, seiner Mutter dabei möglichst aus dem Weg zu gehen, und vertrieb sich die Zeit mit einer Serie, die er vor ein paar Tagen bei seinem Streamingdienst gefunden hatte.
Heute Abend treffen sich die Winzer im Bullen und ich suche noch nach einer guten Ausrede, textete Alexander weiter.
Im Prinzip war das eine gute Idee. David könnte sich krank melden und die Schicht auf die Kollegen abwälzen. Oder Konrad müsste sich einfach mal selbst hinter die Theke stellen und Bier zapfen. Schließlich war das seine Gaststätte und er brillierte nicht gerade mit Übereifer.

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Unsere Katze hat gerade in der Scheune wieder Junge bekommen. Wenn du willst, dann kann ich dir die Wollknäuel zeigen 🙂
Der gestrige Abend steckte David noch in den Knochen. Die Begegnung mit Julian hatte ihn kalt erwischt und in der Folge hatte er letzte Nacht kaum ein Auge zugekriegt. Außerdem war er morgen mit ihm verabredet. Vielleicht brachte das die Veränderung, die sich David irgendwie immer noch erhoffte. Wie passte Alexander da rein? War das nicht ein Verrat an Julian?
David stöhnte. Er musste sich von der bescheuerten Idee frei machen, mit Julian wieder zusammenzukommen. Aber wie sollte er das hinkriegen, wenn es sich immer wieder in diesen Brainfuck verirrte?
»Scheiße«, murmelte er.
Dann tippte er eine Antwort an Alexander in sein Handy.
Ich muss heute Abend arbeiten.
Mehr brauchte er nicht schreiben. Alexander würde das schon verstehen. Außerdem sahen sie sich ja dann später im Bullen sowieso. Da könnte David ihm im Zweifelsfall erklären, was gerade mit ihm los war und warum ihn die Welt zurzeit völlig überforderte.

Die Winzer saßen an der großen Tafel in der Ecke, an die ein weiterer Tisch herangestellt war. Die Runde war noch nicht groß, aber in der Regel änderte sich das im Laufe des Abends deutlich. David kannte die Gesichter der Winzer, mit vielen hatte er schon das eine oder andere Mal geredet und er wusste, dass sie fast alle seit Jahren um ihre Existenz kämpften. Die Genossenschaften, die ihnen die meisten Trauben abnahmen, zahlten immer weniger und kaum einer von den alteingesessenen Winzern traute sich, aus den gewohnten Bahnen auszubrechen.
David füllte gerade den Wein in die Gläser, als sich die Tür öffnete und Alexander hereinkam. Er zwinkerte ihm zu, rief ihm ein freundliches »Hallo« zu und setzte sich zu den anderen. David nahm ein weiteres Glas aus dem Regal und goss den Riesling, den Alexander am liebsten trank, bis zur bauchigsten Stelle ein.
Er stellte das Glas vor Alexander, erntete dafür ein dankbares Nicken und versorgte dann die anderen Winzer mit ihren Getränken. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie sich Konrad dem Tisch näherte. Er warf den vorrangig älteren Herren ein paar Worte zu und David spürte, dass sich sein Chef nur zu gerne dazu gesetzt hätte. Doch die Winzer signalisierten ihm durch ihre knappen Antworten, unter sich bleiben zu wollen. Aber das hielt Konrad nicht davon ab, sich mit seinem Wein an den Nachbartisch zu setzen und überschwänglich den letztjährigen Wein der Genossenschaft zu loben. David schämte sich ein wenig fremd, weil Konrad nicht kapierte, wie skeptisch die Winzer der Genossenschaft gegenüberstanden. Schnell nahm er also noch eine Bestellung auf und eilte an die Theke zurück.

Genau in diesem Moment wurde die Tür zum Gastraum aufgestoßen und David stand Sid gegenüber.

Fast wäre ihm das Tablett mit zwei leeren Gläsern aus der Hand gefallen. Dabei hätte er mit dieser Begegnung rechnen können. Immerhin gehörten dem Grafen die lukrativsten Weinhänge der Region und David hatte ja längst mitbekommen, dass Sid in das Geschäft einsteigen sollte. Hinter Sid tauchte daher auch der Graf persönlich auf und zog verärgert die Augenbrauen zusammen, als er David bemerkte.
»Hi!«, stammelte David.
»Hi«, antwortete Sid.
Der Graf sagte kein Wort, sondern schob seinen Neffen wortlos an David vorbei auf den Tisch der Winzer zu. David stellte das Tablett schnell auf die Theke, damit es ihm jetzt nicht doch noch aus den Händen rutschte, und wandte sich möglichst gelassen um. Konrad sprang auf wie von der Tarantel gestochen und begrüßte den Grafen ebenso überschwänglich wie den Neffen. Doch auch ihm widmete der Graf nicht einmal eine Begrüßung, sondern übernahm umgehend den Platz am Kopfende des Winzertisches, ganz so als wollte er allen Anwesenden deutlich machen, wer hier das Sagen hatte. Er stellte seinen Neffen vor und forderte ihn auf, sich rechts neben ihn zu setzen. Doch Sid warf nur einen kurzen Blick auf den Stuhl, sah zu David herüber und entschied sich dann für den Platz links neben seinem Onkel, von dem aus er in den Gastraum und damit auch auf die Theke sehen konnte. Die mürrische Bemerkung seines Onkels, er wisse doch, dass er links schlecht höre, ignorierte er, rückte seinen Stuhl zurecht und warf David dann einen verzweifelten Blick zu. Der Graf sah David eisig an und zischte Sid dann ein paar scharfe Worte zu. Schnell wandte sich David den Bestellungen zu.
Kurz darauf balancierte er das Tablett mit den nächsten Weingläsern an den Tisch und nachdem er die Gläser abgestellt hatte, sah er den Grafen und seinen Neffen auffordernd an.
»Was kann ich Ihnen bringen?«, fragte er den Älteren freundlich.
»Den Sonnenleitner Riesling«, sagte der Graf unterkühlt. »Und ein Glas Mineralwasser.«
»Gerne.« Er sah Sid an. »Und für Sie?«
»Ein Pils«, sagte Sid.
Der Blick des Grafen verdüsterte sich noch weiter.
»Wir sind hier in einer Weinregion und sitzen mit Winzern zusammen!«
»Ich hab aber grad Lust auf ein Bier«, entgegnete Sid aufsässig.
David nickte lediglich und entfernte sich wieder. Damit wollte er nichts zu tun haben. Auf dem Rückweg zur Theke überlegte er, ob er Konrad auffordern sollte, ihm den Service an diesem Tisch abzunehmen, aber ein Blick in dessen Richtung zeigte ihm, dass der heute nicht das geringste Interesse daran hatte, selbst zu arbeiten. Konrad scharwenzelte um den Grafen herum, lobte lautstark dessen Gäste, die vor zwei Wochen hier im Hotel abgestiegen waren, gratulierte Sid nachträglich zum Geburtstag und bekam wieder nicht mit, dass er offenkundig sowohl vom Grafen als auch von den anderen Winzern als aufdringlich wahrgenommen wurde.
Als David ein paar Minuten später mit den georderten Getränken an den Tisch trat, spürte er Alexanders Blick auf sich gerichtet. Sie sahen sich kurz an, Alexander zwinkerte ihm zu und wandte sich dann wieder seinem Tischnachbarn zu, mit dem er gerade darüber diskutierte, wie viel sie den Erntehelfern im Herbst bezahlen konnten. David stellte den Wein vor den Grafen, ging dann um diesen herum und reichte Sid das Bierglas. Dabei berührten sich ihre Hände für einen kurzen Moment und David ließ das Glas sofort los. Da Sid aber noch nicht richtig zugegriffen hatte, rutschte es ihnen aus den Händen und schlug mit einem lauten Krachen auf den Boden auf, wo es zersprang und seinen Inhalt über die Holzdielen verteilte.

»Idiot!«, grollte der Graf,

sah kurz zu David herauf, nur um sich dann Konrad zuzuwenden: »Du hast es also immer noch nicht geschafft, vernünftiges Personal einzustellen. Manchmal überlege ich wirklich, ob es nicht besser ist, den Laden hier an einen anderen Pächter zu geben.«
Unterwürfig sprang Konrad von seinem Platz auf und entschuldigte sich wortreich für David angebliches Missgeschick. Er warf ihm einen Todesblick zu, der David zusammenzucken ließ. Doch genau in diesem Moment sprang ihm Sid zur Seite.
»Das war meine Schuld«, sagte er. »Ich habe das Glas nicht richtig festgehalten.«
»Der Junge soll die Gläser auf den Tisch stellen anstatt sie unseren Gästen in die Hand zu drücken«, polterte Konrad. »Tausendmal habe ich ihm das schon gesagt!«
Noch nie hatte David das von ihm gehört. Aber er war schlau genug, das nicht zu sagen. Denn damit hätte er den Ärger nur noch aufgebauscht.
»Ich hole schnell einen Lappen«, murmelte er und beugte sich nach unten, um die größten Scherben direkt einzusammeln.
Sid legte ihm die Hand beruhigend auf die Schulter und flüsterte eine Entschuldigung. Die Wärme der Handfläche durchdrang Davids T-Shirt problemlos und am liebsten wäre er nie wieder aufgestanden, nur um den Kontakt zu Sid nicht wieder zu verlieren.
»Wir müssen noch mal reden«, raunte Sid ihm zu und sofort bildete sich eine Gänsehaut auf Davids Unterarmen.
Er fühlte das Blut in seinem Gesicht pulsieren. Vermutlich hatte er die Farbe von Campari angenommen. Als er sich aufrichtete, löste sich die Hand von seiner Schulter und er schnappte Alexanders überraschte Mine von der anderen Seite des Tisches auf. David hatte den Eindruck, noch röter zu werden, und plötzlich zog sich über Alexanders Gesicht ein breites Grinsen. Möglichst zügig eilte David mit zwei Scherben in der Hand in die Küche, schnappte sich einen Eimer, einen Lappen und er Kehrblech. Er sammelte die Scherben ein, wischte den Boden sauber und hätte sich dabei am liebsten tausend Kilometer entfernt befunden, nur um den auf ihn gerichteten Blicken zu entgehen.
Sid half ihm beim Saubermachen, obwohl sein Onkel ihm mehrfach klarmachte, dass das nicht seine Aufgabe sei. Der Graf selbst durchborte David mit seinen eisigen Augen. Und Alexander schien sich köstlich zu amüsieren. David war froh, als er kurz darauf ein frisches Bier gezapft und ordnungsgemäß vor Sid abgestellt hatte und sich dann in die Küche zurückziehen konnte, um erst einmal aus der Schusslinien zu sein.
Er legte seine Stirn an das kühle Metall der Oberschränke und war den Tränen nahe. Sein Herz raste. Seine Beine schienen kurz einknicken zu wollen. Und als er seine Hände auf die Ablage stützte, merkte er, dass sie zitterten.
»Was ist denn mit dir los?«, erkundigte sich Anastasiya, die Köchin.
Sie trat auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. David atmete tief durch, drehte sich dann um und lächelte ihr zu.
»Geht schon«, murmelte er. »Komische Gäste heute.«
»Ich weiß, was dir hilft.«
Anastasiya griff neben ihm in den Schrank und beförderte eine Flasche mit einer klaren Flüssigkeit zutage.
»Guter ukrainischer Wodka. Hat mein Neffe gebrannt. Der hilft bei allem!«
Sie goss drei fingerbreit von der Medizin in ein Wasserglas und reichte es David. Skeptisch nahm der das Glas in die Hand und überlegte, ob er davon blind werden würde.

»Wodka immer in einem Schluck trinken«,

erklärte Anastasiya mit erster Mine. »Sonst denkt man zu viel.«
David setzte das Glas an die Lippen und kippte den Inhalt in seinen Mund. Seine Speiseröhre brannte. Er spürte jeden Winkel seines Magens und einen Moment lang befürchtete er, sich übergeben zu müssen. Doch dann setzte erstaunlicherweise eine tiefe Gelassenheit ein. Schon als er das Glas auf der Anrichte absetzte, grinste er breit.
»Was habe ich gesagt?«, freute sich Anastasiya. »Hilft immer!«
Sie hielt die Flasche hoch und fragte David mit den Augen, ob er noch mehr brauchte, doch er hatte genug.
»Danke«, sagte er und straffte den Rücken. »Jetzt kann ich weitermachen.«
Er drückte der Köchin einen Kuss auf die Wange und drückte die Tür zum Gastraum auf. An der Theke lehnte Alexander und blätterte in einer Broschüre des Hotels. Als David an die Zapfanlage trat, legte er die Broschüre zur Seite und sah ihn fragend an.
»Was war das denn gerade?«, fragte er leise.
»Ist mir einfach aus der Hand gerutscht.«
»Das meine ich nicht«, sagte Alexander amüsiert und beugte sich zu David über den Tresen. »Was genau läuft da zwischen dir und Sid?«
»Was soll da schon laufen?«, entgegnete David möglichst unverfänglich. »Nichts. Ich kenne den ja kaum.«
Alexander lachte laut auf und zog damit für einen kurzen Moment die Aufmerksamkeit der Winzer auf sich. Bis auf Sid wandten sich jedoch alle schnell wieder ihren Gesprächen zu.
»Der zieht dich ja fast mit seinen Blicken aus!«, wisperte Alexander. »Ich hab schon vom Zugucken einen Steifen gekriegt.« Er drehte den Kopf in Richtung der Winzer, nickte Sid zu, der ausdruckslos zu ihnen herüber starrte, und wandte sich dann wieder David zu. »So guckt nur jemand, der genau weiß, was da vor ihm herumläuft. Also: Was ist zwischen euch gelaufen? Ich will alle schmutzigen Details wissen.«
»David«, rief Konrad glücklicherweise jetzt laut. »Die Herren wollen essen!«
David hoffte, dass Alexander ihn jetzt erst mal in Ruhe lassen würde, griff sich einen Block und einen Stift und ging zu den Winzern. Von einem nach dem anderen nahm er die Bestellungen auf, versuchte Sid nicht in die Augen zu sehen, denn er wollte nicht erneut auf Anastasiyas Hilfsmittel zurückgreifen müssen, um den Abend schließlich nur total betrunken zu überstehen. Doch als er der Köchin die Wünsche der Gäste überbracht hatte und diese ihn natürlich zu einem weiteren Glas ukrainischer Medizin überredet hatte – langsam stieg ihm die Wirkung wirklich zu Kopf – lehnte Alexander immer noch am Tresen und grinste.
»Hat der Junge nicht neulich erst groß seinen Geburtstag gefeiert?«, fragte er. »Und warst du nicht für den Service zuständig?«
Alexander nippte an seinem Wein, den er vom Tisch herübergeholt hatte, und schien sich am Tresen häuslich einzurichten. Sid wurde an seinem Platz sichtlich hibbeliger und konnte kaum die Hände still halten. David ließ die Augen zwischen den beiden Kerlen hin und her wandern. Alexander konnte er mittlerweile gut einschätzen. Er ging die Dinge, die ihn beschäftigten geradlinig an und brachte zur Sprache, wenn ihn etwas beschäftigte. Das mochte David an ihm, auch wenn ihm die Direktheit in diesem Moment ein bisschen zu viel war. Aber bei Sid wusste er überhaupt nicht, was in dessen Kopf vorging. Jetzt gerade schien es geradezu so, als sei er bodenlos eifersüchtig auf Alexander, weil er sich am Tresen bei David niedergelassen hatte, während er sich selbst nicht von der Seite seines Onkels loseisen konnte. Als er schließlich doch Anstalten machte, sich zu erheben, hielt ihn der Graf vehement am Arm fest und zog ihn wieder auf seinen Platz.

»Der Junge kann doch noch nicht mal allein aufs Klo gehen«,

raunte Alexander, der die Situation genauso wie David beobachtet hatte.
Sid tuschelte aufgebracht mit seinem Onkel, der schüttelte mit dem Kopf und rief dann in Davids Richtung, dass sein Neffe noch ein Bier wünsche. Sid zog den hochroten Kopf zwischen die Schultern. Alexander amüsierte sich weiter. Und David stellte fest, dass das Bierfass leer war. Aus dem Zapfhahn kam nur noch Luft. David fluchte innerlich. Er hatte die Fässer zwar schon ein paarmal gewechselt, aber bislang waren Alina oder eine der anderen Kolleginnen mit mehr Erfahrung dabei gewesen. Sollte er Konrad fragen, ob er ihm half? Doch als er dem Chek ein Zeichen machte, winkte der genervt ab.
»Soll ich dir helfen?«, fragte Alexander und rutschte schon vom Barhocker herunter. »Ich weiß, dass das nicht so einfach ist.«
David nickte dankbar und als er hinter Alexander den Gastraum in Richtung Keller verließ, fing er einen fast schon panischen Blick von Sid auf. Zum ersten Mal wandelte sich sein Gefühl in Belustigung. Sid war also wirklich eifersüchtig. Aber er stand so sehr unter dem Pantoffel seines Onkels, dass er nicht auf die Idee kam, etwas anderes zu tun, als David geifernd anzustarren. Dann war seine Nachricht nach der gemeinsamen Nacht also nicht auf seiner eigenen Entscheidung gewachsen, sondern er hatte sich vermutlich von seinem Onkel unter Druck setzen lassen. Nun gut, dachte sich David, als er die Stufen in den Keller herabstieg, dann muss der Typ wohl mal in die Hufe kommen. Immerhin hatte Sid den Kontakt unterbrochen und nicht er. Also war auch Sid an der Reihe, aktiv zu werden. David grinste in sich hinein, als er mit Alexander den Kühlkeller mit den Bierfässern erreichte.
»Dem hast du´s echt angetan«, sagte Alexander.
Er zeigte David noch einmal genau, wie er das alte Fass von der Leitung abklemmen musste. Gemeinsam schoben sie das volle Fass in die richtige Position. David sah etwas ratlos auf den Schlauch, den Alexander ihm in die Hand drückte. Doch der zeigte ihm auch, wie er das neue Fass in Betrieb nahm. Als sie fertig waren, sahen sie sich in die Augen.
»Ist er der Grund?«, erkundigte sich Alexander.
»Der Grund wofür?«
»Dass du dich nicht mehr mit mir treffen willst.«
David wollte in einem ersten Impuls alles von sich weisen. Doch dann verzog er das Gesicht zu einem schiefen Lächeln.
»Ich weiß nicht«, murmelte er. »Irgendwie ist das alles gerade etwas verwirrend.«
»Was ist verwirrend?«, fragte Alexander neugierig.
Dann machte er einen Schritt auf David zu, legte ihm eine Hand auf den Hintern, zog ihn sanft zu sich heran und küsste ihn. David verfiel diesem Kuss und bekam sofort eine brettharte Erektion. Er entgegnete den Kuss und schob seine Hüfte an Alexanders Körper. Auch Alexander hatte spürbar einen Steifen. Ihre Zungen umschlangen sich und David spürte Alexanders Dreitagebart über sein Gesicht reiben. Sie pressten ihre Becken aneinander. Alexander beendete den Kuss und strich mit heißen Lippen über Davids Wangen, an seinem Ohr entlang, wanderte zu seinem Hals und David hätte alles dafür gegeben, auf der Stelle Sex mit diesem Kerl zu haben.
»David!«, brüllte Konrad von oben. »Was zur Hölle machst du da unten? Das Essen wird kalt!«
David seufzte und schob Alexander von sich.

»Ist es das, was dich verwirrt?«, erkundigte sich Alexander und grinste.

»Auch«, bestätigte David. »Ich muss nach oben, sonst bringt Konrad mich um.«
»Der sollte froh sein, dass du für ihn arbeitest. Ohne dich und die anderen Hilfskräfte hätte der längst zumachen müssen.«
David lachte und drückte Alexander von sich weg, weil der schon wieder versuchte, ihn zu Dingen zu verführen, die nicht in den Keller des Bullen passten. Sie stiegen die Treppen wieder herauf, David ordnete seine Kleidung notdürftig und hoffte, dass die Erektion möglichst schnell verschwinden würde, und eilte hinter den Tresen.
Anastasiya reichte ihm die Salate, die nicht die Angewohnheit hatten, kalt zu werden, verdrehte die Augen, als Konrad erneut an David herumnörgelte und deutete mit dem Kopf auf den Schrank, hinter dessen Tür sich der Wodka verbarg. David grinste.
»Später vielleicht«, raunte er und trug die Teller in den Gastraum.
Alexander setzte sich gerade auf den Stuhl, der Sid genau gegenüber stand. Offenbar hatte keiner der anderen Winzer Lust auf ein tieferes Gespräch mit dem Grafen und seinem Neffen gehabt, sodass der Platz noch frei war. Er beugte sich ein wenig über den Tisch, sah zum anderen Tischende, wo sich Konrad an einem halb vollen Weinglas festhielt und rief zu ihm herüber:
»Wenn dir der Laden über den Kopf wächst, dann übernehme ich den gerne.«
Konrad riss entrüstet die Augen auf.
»Sag einfach Bescheid«, fuhr Alexander gelassen fort. »Ich habe schon lange den Traum, eine wirklich gute Gastronomie hier in der Gegend einzuführen.«
»Willst du mich hier rausekeln?«, keifte Konrad von der anderen Seite. David bemerkte sofort, dass sein Chef wieder einmal viel zu viel getrunken hatte. »Das wirst du nicht schaffen. Außerdem wird einer wie du hier niemals eine Gaststätte führen.«
Für einen kurzen Moment wurde es im Gastraum des Brüllenden Bullen still. Wusste Konrad etwa, dass Alexander auf Männer stand?, fragte sich David. Er hielt den Atem an und war gespannt, was als Nächstes passieren würde. Die Erde schien für ein paar Sekunden in ihrer stetigen Bewegung gestockt zu sein. Alexander brach das Schweigen selbst:
»Wenn du den Betrieb hier führen kannst, dann kann ich das allemal.«
Die anderen Winzer brachen in Lachen aus. Die unheimlich Stille war unterbrochen. Und David war sich nicht sicher, ob Alexander einen Scherz gemacht oder ob er seine Bemerkung ernst gemeint hatte. Konrads tödliche Blicke hingegen sprachen Bände.

© Stephan Meyer, Köln 2022 – Alle Rechte vorbehalten


Das war das zwanzigste Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare. Ich freue mich auf deine Rückmeldungen.


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Dorfidylle #19

Eltern.

Immer wieder betrachtete David in den folgenden Tagen den Bierdeckel mit Toms Telefonnummer. Sollte er ihn wirklich anrufen? Sollte er ihn in der Stadt besuchen? Konnte er seine Mutter allein lassen? Natürlich hatte die Nachbarin ihm angeboten, sie könne mal zwei Tage auf seine Mutter aufpassen, damit er aus dem Dorf rauskam. Aber David wollte sich nicht damit abfinden, dass seine Mutter so krank war, dass sie nicht allein bleiben konnte. Er war doch für sie verantwortlich, oder nicht? Jedes Mal steckte er den Bierdeckel wieder in seinen Geldbeutel und verschob die Entscheidung auf den nächsten Tag. Jedes Mal schreckte er vor der Realität zurück. Jedes Mal fragte er sich, was er denn von einem Wochenende bei Tom in der Stadt erwartete. Er kannte ihn ja gar nicht richtig. Auch wenn Tom sich am Samstagabend lange mit ihm unterhalten hatte und ihm deutlich sein Interesse signalisiert hatte – was sollte das bringen? Schließlich lebte Tom mehrere Hundert Kilometer entfernt. Und nichts war sinnloser, als sich in einen Typen zu vergucken, der so weit weg wohnte.

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David resignierte. Er war in diesem Dorf gefangen. Er konnte seine Mutter nicht zurücklassen, wollte aber auch nicht für den Rest seines Lebens ein Schattendasein führen. Immerhin machten ihm seine Freunde hier klar, dass sie kein Problem mit ihm hatten. Und David realisierte allmählich, dass Kristin recht gehabt hatte: Auch wenn sie in der Provinz wohnten, lebten sie doch nicht hinterm Mond. Auch in diesem Dorf drehte sich die Welt weiter. Die Dinge veränderten sich. Zur nächsten Bürgermeisterwahl hatte sich eine junge Lehrerin für die Grünen als Kandidatin aufstellen lassen. Eine Frau! Und sie schien keine schlechten Chancen zu haben, denn in den vergangenen Jahren waren viele der Alten gestorben und hatten ihre verknöcherten Weltvorstellungen mit in ihre Gräber genommen. Und aus den Städten waren Familien in die dem Verfall preisgegebenen Höfe gezogen und hatten sie mit viel Geld und Aufwand renoviert. Familien, die nicht mehr in den Strukturen des letzten Jahrhunderts vegetierten, sondern lieber blühende Vorgärten hatten, anstatt sie mit Beton und Kies zu planieren.
Selbst das Internat hatte einen Teil dazu beigetragen, dass sich die Menschen veränderten. Immerhin lebten dort mehrere Hundert Jugendliche auf engem Raum, an denen das Internet mit all seinen Chancen nicht vorbeiging. Und diese Jugendlichen schienen in letzter Zeit mehr und mehr gegen die strengen Vorschriften der Internatsleitung aufzubegehren. Zumindest nachmittags und vor allem an den Wochenenden zogen sie durch die Weinberge und Wälder der Umgebung, kauften in dem kleinen Supermarkt im Nachbardorf ein und hinterließen eine Aura von Aufbruch. Und nicht zuletzt führte offenbar ein neues umweltbewusstes Denken in den Köpfen der Menschen dazu, dass sie häufiger Urlaub im eigenen Land machten. Selbst für die konservativen Landbewohner war nicht zu übersehen, dass diese Urlauber Geld mitbrachten und der Region zu einem spürbaren Aufschwung verhalfen.
Trotzdem sah David für sich selbst keine Perspektive hier. Er stand auf Jungs. Auf Männer. Und selbst wenn es in seiner Generation kaum noch Vorbehalte dagegen gab, konnte er sich einfach nicht vorstellen, mit einem potenziellen Freund Hand in Hand über die Hauptstraße zu schlendern und dem Dorfpfarrer freundlich zuzuwinken. Mit dieser Situation musste er sich abfinden. Schließlich war hier auch nicht alles nur schlecht. Alex drängte beispielsweise auf ein nächstes Treffen. Mit ihm würde er zumindest einen Teil seines Lebens leben können. Wie lange Alex das durchhalten würde, was passieren würde, wenn seine Eltern den Hof vollständig an ihn übergeben würden und er dann auch vor den anderen Winzern das Gesicht wahren musste – das konnte David nicht einschätzen. Und er wollte es auch gar nicht, denn wie sollte er denn jemals glücklich werden, wenn er dann doch immer wieder einen wichtigen Teil seines Lebens verstecken musste? Da konnte es noch so viel Umschwung geben – so wie in Berlin würde es nie werden.

Seine einzige Chance wäre die Flucht.

Aber das konnte er seiner Mutter nicht antun. Also blieben ihm lediglich die Resignation und das Eingeständnis, dass er in einer Umgebung lebte, die nicht für ihn gemacht war.

Die Woche hatte sich dahingeschleppt. Tom hatte er vor dessen Abreise nicht noch mal wiedergesehen, die meisten Gäste hatten sich verabschiedet und der miefige Geruch des Vertreterhotels hatte wieder Einzug gehalten. Müde starrte er am folgenden Samstagnachmittag auf den Computerbildschirm. Ein Paar hatte sich noch zur Übernachtung angemeldet. Vielleicht waren es Bekannte des Grafen. Oder die Eltern eines der Jugendlichen im Internat. Viel mehr als der Name Schmitz war nicht im System hinterlassen. Lediglich die Information, dass sie am Sonntag bereits wieder abreisten. Also kamen sie vermutlich nicht zum Wandern hierher.
Auf dem Kies der Einfahrt knirschten Reifen und ein schwarzer Bentley fuhr vor. Er hielt direkt vor der Eingangstür und David trat nach draußen, um den Gästen mit dem Gepäck zu helfen. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass gerade diejenigen, die nur kurz blieben, viele Habseligkeiten mit sich herumschleppten.
»Herzlich willkommen im Brüllenden Bullen«, sagte er, als die Fahrertür aufgedrückt wurde und sich ein Mann Mitte fünfzig mühsam aus dem Sitz quälte.
Der Mann nickte ihm wortlos zu, öffnete die hintere Autotür, um sein Jackett herauszuholen, zog es über und umrundete das Auto. Die Haare lagen ihm gegelt auf dem Scheitel, ein weißes Hemd mit blauem Kragen und ebensolchen Manschetten verliehen ihm minimale Farbe. Er war sorgfältig rasiert und sprach immer noch kein Wort mit David, als er die Beifahrertür öffnete. Auf dem Beifahrersitz saß eine Frau, die durch ihre Kleidung, ihre Frisur und die dicke Schminkschicht offenbar versuchte, ihr fortgeschrittenes Alter zu vertuschen, und damit gnadenlos scheiterte. Sie war Davids Schätzung zufolge nicht viel jünger als ihr Mann und hielt in den sorgfältig manikürten Fingern ein mit Strass verziertes Smartphone, auf dem sie mit künstlichen Fingernägeln herum klackerte.
Der Mann verharrte einen Moment neben der Tür, dann schien er seine bemüht wirkende Freundlichkeit aufzugeben, knurrte leise ein paar Worte und wandte sich dann David zu.
»Das Gepäck ist im Kofferraum«, sagte er und drückte einen Knopf an seinem Autoschlüssel.
Geräuschlos öffnete sich der Kofferraum und David beschloss, sich ganz auf das Gepäck zu konzentrieren. Zwei große Koffer – einer schwarz, der andere rosa – und eine kleine Tasche wurden ihm überantwortet, die er eilig in die Hotellobby trug. Der Mann folgte ihm in strengem Schritt, wollte offenbar gerade zu einer Art Vorstellung ansetzen, wurde jedoch von seinem Handy unterbrochen. Er zog es aus der Hosentasche, blickte auf das Display und nahm den Anruf entgegen.
»Wir sind gerade am Hotel angekommen«, grummelte er ins Telefon. »Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Mutter hier den Abend verbringen möchte … Wir haben in einem Restaurant in der Nähe gebucht. Um acht. Also sei pünktlich!«
Er beendete das Gespräch ohne Abschied und sah auf das Display. David machte sich bereit für die üblichen Begrüßungsfloskeln, doch der Mann tippte auf seinem Handy herum und begann das nächste Telefonat, von dem David diesmal nicht viel verstand, da der Mann Spanisch sprach und darüber hinaus offenbar sehr aufgebracht war.
Immerhin hatte sich die Frau mittlerweile dazu durchgerungen, das Auto zu verlassen, und stolzierte auf David zu. Sie warf ihrem Mann, der es sich in einem der Sessel bequem machte, einen angestrengten Blick zu, bekam aber keine Reaktion von ihm. Also richtete sie die Augen auf David und der hatte zum ersten Mal in seinem Leben den Eindruck, mit Blicken ausgezogen zu werden. Er war heilfroh, hinter dem Empfangstresen zu stehen und der Frau dadurch nur seinen Oberkörper zu präsentieren.

»Sind Sie der Inhaber dieses Hotels?«, erkundigte sich die Frau skeptisch.

David verneinte und setzte erneut zu einer freundlichen Begrüßung an, doch die Frau ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Mein Name ist Patrizia Schmitz. Wir haben zwei Zimmer bei ihnen für eine Nacht gebucht. Normalerweise sind wir es gewohnt, von dem Betreiber eines Hotels persönlich begrüßt zu werden.« Sie fixierte David mit kalten Augen. »Aber in Ihrem Fall mache ich da mal eine Ausnahme.«
Sie stellte ihre Handtasche auf den Tresen und wühlte einen Moment darin herum. David nutzte die Pause, um sich zu Wort zu melden.
»Ich freue mich, dass Sie bei uns übernachten, Frau Schmitz. Noch einmal herzlich willkommen im …«
»Ich vermute, dass Ihre Kopfkissen nur den nötigsten Standards entsprechen«, unterbrach Frau Schmitz ihn, ohne das kleinste Zeichen von Aufmerksamkeit zu zeigen. »Lassen Sie daher bitte ein weiteres Kissen auf mein Zimmer bringen.« Sie legte ihren Ausweis auf den Tresen. »Den werden Sie vermutlich zum Einchecken brauchen.«
David bedankte sich und griff nach dem Dokument. Als er den Ausweis anhob, kam darunter eine goldene Visitenkarte zum Vorschein, auf der außer dem Namen nur noch eine Telefonnummer verzeichnet war. David wollte die Karte gerade wieder zurückschieben, als er den kleingefalteten Hunderteuroschein darunter bemerkte. Verwirrt hob er den Blick.
»Mein Mann und ich übernachten immer in getrennten Zimmern, weil mein Mann leider ganz furchtbar schnarcht.« Sie klimperte mit den künstlich verlängerten Wimpern. »Aus dem gleichen Grund wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn unsere Zimmer sich nicht nebeneinander befinden.« Sie berührte Davids Hand, die immer noch über der Visitenkarte mit dem Geldschein schwebte, mit den langen Fingernägeln. »Nehmen Sie das als ein kleines Trinkgeld für den zusätzlichen Aufwand.«
Hundert Euro waren für David eine Menge Geld. Er hatte Konrad immer noch nicht davon überzeugen können, ihm einen höheren Stundenlohn zu zahlen und traute sich auch nicht, ihm etwas vom Mindestlohn zu erzählen. Aber er scheute auch davor zurück, von dieser Kundin Geld anzunehmen, weil er sich nicht im Klaren darüber war, was sie dafür als Gegenleistung erwartete. Doch dieses Geheimnis lüftete sich im nächsten Moment.
»Bitte rufen Sie mich doch nach Dienstschluss auf meinem Handy kurz an, dann würde ich Ihnen gerne ein unumstößliches Angebot unterbreiten.«
David erstarrte zum ersten Mal an diesem Abend. Diese Frau wollte offenbar, dass er sie in ihrem Hotelzimmer besuchte. Die Schamesröte stieg ihm ins Gesicht. Er fühlte sich wie ein billiger Stricher, der für die nächste Dosis Chrystal Meth alles bereit war zu tun. Er schluckte. Patrizia Schmitz klimperte mit den Augen.
»Brauchen Sie sonst noch etwas von mir?«, fragte sie unschuldig.
Als David mit dem Kopf schüttelte, löste sie ihre Finger von seiner Hand und deutete auf den Ausweis.
»Sie sollten die Daten schnell eintragen. Mein Mann kann sehr ungehalten werden, wenn sein Zeitplan verzögert wird.«
Immer noch fassungslos nahm sich David den Ausweis und begann, die Daten in den Computer zu übertragen.
»Und das hier sollten Sie vielleicht schnell verschwinden lassen«, zwitscherte sie und wies auf Visitenkarte und Geldschein. »Mein Mann sieht das nicht so gerne.«
David warf einen Blick durch die rustikale Lobby. Herr Schmitz gestikulierte wild und blaffte spanische Sätze in sein Telefon. Offenbar war er jedoch gerade dabei, das Gespräch zu beenden, denn er erhob sich und kam mit langen Schritten auf den Tresen zu.
Mit einer winzigen Kopfbewegung deutete Frau Schmitz erneut auf die Karte und den Schein. David legte also folgsam seine Hand darauf und ließ beides in seiner Hosentasche verschwinden. Worauf ließ er sich da gerade ein? Er wollte mit dieser Frau nichts zu tun haben. Nie im Leben würde er sie in ihrem Zimmer aufsuchen. Ihr Mann erreichte den Tresen und verstaute sein Handy in seinem Jackett.

»Hast du alles geregelt?«, fragte er seine Frau.

»Es gibt leider keine Zimmer mehr nebeneinander«, sagte sie betrübt. »Aber das macht dir doch nichts, oder?«
Herr Schmitz schnaubte. »Das ist immer das Gleiche.« Er wandte sich an David: »Unser Sohn wird in genau dreiundzwanzig Minuten hier sein und uns abholen. Bitte verständigen Sie uns, wenn er ankommt.« Dann wandte er sich den Koffern zu. »Ich vermute, dass es auch keinen zweiten Kofferträger gibt.«
Der Satz schwebte in der Luft, ohne dass David in der Lage war, ihn zu beantworten. Er war vielmehr damit beschäftigt, auf dem Weg um den Empfangstresen herum einen Grund zu finden, warum er den schwarzen Koffer und nicht den rosafarbenen greifen und in das Zimmer des Mannes bringen musste. Aber er fand keinen. Herr Schmitz kam ihm zuvor, indem er nach dem schwarzen Koffer griff und ihn auf den Aufzug zu schob. David blieb nichts anderes übrig, als den anderen Koffer mit der kleineren Tasche obendrauf an sich zu nehmen.
»Ihr Zimmer ist in der ersten Etage«, sagte er möglichst freundlich zu dem Herrn, bevor er sich an dessen Frau wandte. »Und Ihres ist gleich hier um die Ecke im Erdgeschoss.«
Der Aufzug öffnete sich und verschluckte Herrn Schmitz. Seine Frau sah David erwartungsvoll an. Also machte der sich auf den Weg in den Gang, an dessen Ende das Zimmer lag, das er am liebsten nicht betreten würde. Zum Glück legte Frau Schmitz keinen Wert auf seine sofortige Anwesenheit und entließ ihn nach einem kurzen Rundgang und der erneuten Aufforderung, ein weiteres Kissen zu bringen.
David hielt ihr eine Minute später das gewünschte Kissen entgegen und war froh, kurz darauf wieder in der Lobby zu sein. Er holte den Geldschein und die Visitenkarte aus der Hosentasche und starrte beides an. Er drehte die Karte hin und her, die Schrift glänzte, kleine Sternchen waren rund um Namen und Telefonnummer wahllos verteilt. Die Rückseite war leer. Und der Geldschein war neu und ungebraucht.
David hatte sich gerade erst von der ungewohnten Erfahrung gefasst, als er von draußen Schritte auf dem Kies hörte. Er hob den Blick und erstarrte zum zweiten Mal an diesem Abend. Niemand anderes als Julian kam auf den Eingang des Hotels zu. Entgegen dem sonst üblichen Hoodie und der weiten Hose trug er einen dunkelblauen Anzug, ein weißes Hemd, dunkle Lederschuhe, aber immerhin keine Krawatte. Er war völlig auf sein Handy konzentriert und schien um sich herum nichts wahrzunehmen. Und auch wenn David ihn in den legeren Klamotten viel attraktiver fand, musste er sich eingestehen, dass Julian in diesem Aufzug extrem sexy aussah. Das Herz sackte ihm in die Hose, als Julian durch die weit offenstehende Tür trat, ohne die Augen von seinem Telefon abzuwenden. Er schlenderte auf dem Empfangstresen zu und stoppte einen Meter von David entfernt. Dann steckte er das Telefon in seine Hosentasche und hob den Blick. Er öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, brachte aber keinen Ton hervor.

»Hallo Julian«, sagte David zögerlich.

Julian starrte ihn sprachlos an. In David spielten die Gefühle verrückt. Er suchte verzweifelt nach den richtigen Worten, um Julian zu erklären, was damals mit ihm losgewesen war. Er wollte es nicht wieder vermasseln. Immerhin war Julian zu ihm gekommen. Auch wenn er gerade etwas überrumpelt wirkte, hatte er sich ja vermutlich Worte zurechtgelegt, die er David sagen wollte. Julian sagte immer noch kein Wort. In diesem Moment wurde David bewusst, dass Julian gar nicht wegen ihm hier war. Er hieß Schmitz. Und die beiden frisch angekommenen Gäste waren seine Eltern. Er wollte nicht zu David und er hatte sich auch keine Worte zurechtgelegt.
»Soll ich deinen Eltern Bescheid geben, dass du da bist?«, fragte David leise.
Julian gelang es offenbar jetzt, die Fassung wiederzuerlangen, und schüttelte den Kopf.
»Nicht nötig«, stammelte er. »Ich habe ihnen gerade geschrieben, dass ich hier bin.«
Dann drehte er sich um und steuerte den Ausgang an. David verzweifelt. Er hatte sich gerade wieder in diesen Jungen verknallt. Aber der drehte sich einfach um und ging. Das musste er verhindern. Also umrundete er eilig den Tresen und rannte Julian nach. Er holte ihn an der Tür ein und hielt ihn am Ärmel fest.
»Warte«, krächzte David.
Julian stoppte, sah erst David und dann dessen Hand an, die sich in den Ärmel des Jacketts verkrampft hatte. David ließ sofort los.
»Was?«, fragte Julian schroff.
»Lass uns reden«, murmelte David.
»Jetzt?«
»Natürlich nicht jetzt.«
»Wozu?«
»Ich will dir das alles erklären.«
»Das kommt ein bisschen spät, oder?«
»Gib mir ein paar Minuten.«
»Du hattest ein halbes Jahr Zeit.«
»Ich hatte Schiss!«
Julian sah ihn erstaunt an. Dann seufzte er.
»Montag Nachmittag. Ich schreibe dir.«
David nickte. Julian wandte sich ab und verließ das Hotel. Draußen lehnte er sich an das Auto seiner Eltern und schien wieder voll auf sein Handy konzentriert zu sein, bis seine Eltern aus ihren Zimmern kamen und mit ihm wegfuhren.
David hielt sich mit zitternden Händen an der schweren Holztür fest und sah dem Bentley nach, der Kies spritzend den Hof verließ. Immerhin hatten sie ein paar Worte miteinander gewechselt. Das war mehr, als in den letzten Monaten.

© Stephan Meyer, Köln 2022 – Alle Rechte vorbehalten


Das war das neunzehnte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare. Ich freue mich auf deine Rückmeldungen.


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Dorfidylle - Der Fortsetzungsroman

Dorfidylle #18

Frühstück.

Wieder einmal ein Samstag Morgen. Wieder einmal Frühstück für die Gäste vorbereiten. Mittlerweile machte David das allein, die Handgriffe beherrschte er im Schlaf. Er hatte sich angewöhnt, als Erstes zum Bäcker zu gehen, denn da hatte er die Möglichkeit, mit einem Menschen zu sprechen, der noch früher auf den Beinen sein musste, meist bekam er auch einen Kaffee in die Hand gedrückt und konnte dann auf dem Weg zum Hotel aufwachen.
Um kurz nach sechs drückte er also auch heute den Seiteneingang zur Küche auf, legte die Tüte mit den Brötchen auf die Ablage, schlenderte kurz zum Empfang hinüber. David lachte, als er Timo mit müden Augen hinter dem Tresen hocken und auf seinem Handy daddeln sah. Er hatte ihn seit seinem ersten Tag, als sich Timo lauthals mit dem Chef gestritten hatte, nicht mehr gesehen.

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»Hat er dich also nicht vor die Tür gesetzt?«, erkundigte sich David.
Timo hob den Kopf und grinste.
»Konrad kann gar nicht ohne mich. Auch wenn du versuchst, mir meinen Platz hier streitig zu machen.«
Sie klatschten sich ab und David fragte, ob er frühstücken wollte. Timo nickte und folgte ihm in die Küche. Die Tür zum Eingangsbereich ließen sie offenstehen, damit sie mitbekamen, wenn einer der Gäste etwas wollte.
»Ich hatte nicht vor, dich zu vertreiben«, sagte David, als er den Aufschnitt auf den Platten drapierte. »Allerdings warst du vor vier Wochen so sauer, dass ich nicht daran geglaubt habe, dich hier noch mal wiederzusehen.«
»Ich war drei Wochen im Urlaub. Spanien. Wasser, Strand, Sonne. Ich bin nahtlos braun.«
Er zog sein T-Shirt ein Stück hoch und zeigte seinen flachen Bauch. David wurde rot, nickte anerkennend und wandte sich dann der Kaffeemaschine zu, die keine Unterstützung brauchte. Hinter ihm amüsierte sich Timo.
»Ich hab schon gehört, dass du dich vor dem halben Dorf geoutet hast«, sagte Timo. David erstarrte mitten in der Bewegung. »Und dass du auf die etwas wohlhabenderen Menschen hier in der Gegend stehst.«
»Wer hat das denn erzählt?«, fragte David und schob Timo missmutig zur Seite, um das Obst schneiden zu können.
»Ist dir das peinlich? Wir sind gar nicht so wenige hier in der Gegend.«
Hatte er das richtig gehört?
»Wir?«
»Ach komm, David, tu doch nicht so unschuldig.«
David grunzte unspezifisch. Was sollte er dazu jetzt noch sagen? Offenbar schienen sich die Geschichten hier im Dorf schneller rumzusprechen, als er geglaubt hatte.
»Wer denn noch?«, fragte David also.
Timo lehnte an der Anrichte und gähnte.
»Von Sid habe ich eine Menge gehört. Aber der ist ja offenbar nur an dir interessiert.«
David schüttelte den Kopf.
»Mitnichten. Der steht unter dem Pantoffel seines Onkels.«
»Davon hab ich auch schon gehört. Aber gestern hat ein ziemlich attraktiver Gast eingecheckt. Allein. Keine Ahnung, was der hier macht. Der kam ziemlich spät an und bleibt bis Montag. Ich könnte wetten, dass der gay ist.«
David schüttelte den Kopf. »Du hast doch nicht vor, mit einem Gast was anzufangen.«
»Ich falle gleich in mein Bett, wenn Alina mich ablöst, und heute Nachmittag fahre ich zu meiner Tante nach München. Ich bin dann erst Montag Abend wieder hier. Du hast also freie Bahn.«
»Ich habe aber gar kein Interesse«, murrte David, dem das Gespräch deutlich zu weit ging.
»Ach, und dann ist da natürlich noch Alex …«
Erneut erstarrte David. Langsam drehte er sich zu Timo herum.

»Alexander? Woher weißt du denn von ihm?«

Timo drückte sich belustigt von der Anrichte ab, weil Alina gerade an den Empfangstresen getreten war und energisch auf die kleine Glocke schlug. Sie grinste leicht verschlafen in die Küche herüber.
»Jungs, ihr seid zum Arbeiten hier, nicht zum Quatschen!«, rief sie halblaut und umrundet dann den Tresen, um die beiden zu begrüßen.
Sprachlos starrte David hinter Timo her, der sich seine Sachen schnappte, kurz winkte und dann das Hotel durch den Haupteingang verließ. David unterdrückte den Impuls, ihm nachzulaufen und auszuquetschen, was er von Alexander wusste. Ihm fiel die Kondomverpackung ein, die er beim letzten Treffen mit Alexander im Stroh gefunden hatte. War Timo etwa auch bei ihm gewesen? Hatten die beiden Sex gehabt? Irgendwie hatte David immer geglaubt, er wisse als Einziger von Alexander und er sei auch der Einzige, der die Geheimnisse der Scheune kenne. Eine kleine Spur der Enttäuschung zog sich durch seinen Bauch.
Zum Frühstück kamen um kurz nach sieben zwei klassische Männer der Gattung Vertreter, schütteten Kaffee in sich hinein, verschmähten das säuberlich geschnittene Obst und waren nach einer Viertelstunde wieder verschwunden. Keiner der beiden passte zu Timos Beschreibung des attraktiven Kerls. Also musste es noch einen Gast im Hotel geben. Alina hatte mit einem der beiden Vertreter noch länger zu tun, weil er sich über irgendwas beschwerte. David hielt sich zurück. Alina würde sich schon melden, wenn sie seine Unterstützung brauchte.
Dann passierte lange nichts. Der Käse wellte sich langsam auf den Platten. Das Obst wechselte allmählich seine Farbe in Richtung Braun. Halb zehn rückte schließlich immer näher, dann würde David die Reste des Frühstücks abräumen. Wer bis dann nicht im Gastraum aufgeschlagen war, hatte Pech gehabt.
Gerade wollte er Alina fragen, ob wirklich noch ein Gast im Haus war, als er die Holzstufen knarren hörte. David hob den Blick und ein Mann schlich herein. Er war etwa Mitte zwanzig und so wie Timo gesagt hatte, war er tatsächlich ziemlich gut aussehend. Halblange, vom Duschen noch feuchte Haare, die ihm in die Augen fielen, ein schmaler Körper, verschlafene Augen. Er grüßte, sah sich um und kam dann auf David zu.
»Guten Morgen«, sagte er und klimperte mit den Augen. »Ich bin ziemlich spät dran. Kriege ich noch einen Kaffee?«
»Selbstverständlich«, antwortete David. »Mit Milch und Zucker?«
»Schwarz, bitte.«
Er drehte sich erst ein wenig zögerlich im Kreis, steuerte dann jedoch das Frühstücksbuffet an und bediente sich an Obst und Joghurt. Mit seinem vollen Teller setzte er sich an den schönsten Tisch, von dem aus er einen perfekten Blick über die bergige Landschaft hatte. David beobachtete das alles aus den Augenwinkeln, während er den Kaffee in eine kleine Thermoskanne füllte. Als er einen Moment später an den Tisch trat und die Kanne in die Mitte stellte, hob der Mann den Kopf und lächelte ihn an.

»Vielen Dank«, sagte er. »Ich bin übrigens Tom.

Ich bleibe bis Montag hier. Vermutlich laufen wir uns noch ein paarmal über den Weg.«
David stellte sich ebenfalls mit seinem Vornamen vor, auch wenn Konrad ihm das strengstens verboten hatte, aber er hätte sich unwohl gefühlt, sich als Herr Weber bekannt zu machen. Er wollte schon wieder in Richtung Küche abdrehen, als Tom ihn noch einmal zurückhielt.
»Wo geht man denn hier abends aus?«, erkundigte er sich. »Ich besuche einen Freund drüben im Internat und die schließen um halb zehn die Türen zu. Und allein auf dem Zimmer fernsehen wollte ich eigentlich an einem Samstagabend nicht.«
»Hast du ein Auto?«, fragte David.
Tom schüttelte den Kopf. »Ich bin mit dem Bus gefahren. Der ist aber nur stündlich unterwegs, oder?«
»Bis um sechs. Danach noch einmal um neun. Allerdings ist heute Samstag. Da fährt der letzte Bus tatsächlich um sechs.« David grinste, als Tom die Augen verdrehte. »Du bist in der Provinz gelandet. Ohne Auto geht hier nichts. Und dann bleibt dir nur der Bulle als Rettung vor dem Fernseher.«
»Ist hier denn abends was los? Oder sitzen dann nur besoffene Vertreter an der Theke und schwallen dir die Ohren zu?«
David überlegte, ob er heute Abend vorbeikommen sollte, um zu sehen, ob Tom sich in die Meute der Landjugend und lästernden Senioren traute. Im Grunde sprach nichts dagegen, an seinem Arbeitsplatz auch seine Freizeit zu verbringen. Ihm drohte ja das gleiche Schicksal wie Tom: Mit seiner Mutter von dem Fernseher zu enden und im Zweifelsfall ihre depressive Stimmung abzukriegen.
»Das hier ist der einzige Ort, wo man im Umkreis von zwanzig Kilometer abends ausgehen kann. Das gilt nicht nur für unsere Gäste.«
»Ich wette, die Schüler aus dem Internat schleichen sich hier ständig rein.«
»Die sind ziemlich streng da draußen. Ich habe zumindest noch nie welche aus der Schule gesehen.«
Tom zog erstaunt die Augen hoch. »Na, dann bin ich ja mal gespannt, was mich hier heute Abend erwartet. Ich hab mich schon gewundert, dass die im Internat gar keine Gästezimmer haben. Der Freund, den ich besuche, hat gesagt, dass noch nicht einmal seine Eltern bei ihm übernachten können, wenn sie zu Besuch kommen.«
»Die wohnen dann hier bei uns.« David warf einen vorsichtigen Blick hinter sich, um nicht etwas Falsches zu sagen, wenn Konrad gerade hereinkam. »Das ist unser Geschäftsmodell.« Er grinste.
Dann ging David in die Küche und nahm auf dem Weg schon die erste Platte mit dem gewellten Käse mit. Alina empfing ihn mit einer Tasse Kaffee in der Hand.
»Netter Gast?«, fragte sie und zwinkerte ihm zu. »Ich hab schon gehört, dass du jetzt offiziell als Tunte bezeichnet werden darfst.«

David stöhnte. »Dann weiß das jetzt das ganze Dorf?«

Alina schüttelte den Kopf. »Ich kenne die Leute hier besser als du. Das weiß nur ein kleiner Kreis von Leuten, die genau wissen, wem sie vertrauen können. Und so komisch das klingt: Aus diesem Kreis geht die Info nicht raus. Ist zumindest noch nie passiert.« Sie schnippte sich eine Zigarette aus ihrer Packung. »Passt du fünf Minuten auf den Empfang auf? Ist ja sowieso keiner mehr da, außer dem Schnuckelchen da drüben und der hält sich noch an seinem Kaffee fest.« Sie ging auf die Hintertür zu. »Ach ja«, sagte sie noch über die Schulter, »bevor ich´s vergesse: Doreen ist krank. Kannst du heute Abend für sie am Ausschank einspringen?«
Und schon fiel die Tür hinter Alina ins Schloss. David seufzte. Er hatte sich eigentlich auf einen freien Abend gefreut. Aber dann hatte er zumindest einen guten Grund, Tom später wiederzutreffen. Er schüttete den bitter gewordenen Kaffee in den Ausguss.

Der Tag verlief zäh. Mittags fuhr David mit dem Fahrrad nach Hause, ging seiner Mutter, so gut es ging, aus dem Weg, weil er keine Lust auf ihre Depressionen hatte, legte sich eine Stunde hin, um abends fit zu sein, und machte sich dann um kurz vor sieben wieder auf den Weg. Er hoffte, dass heute Abend nicht zu viel im Bullen los war, weil er sich irgendwie schlapp fühlte. Ihm steckte das spontane Outing beim Tischtennistraining noch in den Knochen. Er hatte keine Ahnung, wer im Dorf nun schon davon wusste. Immerhin hatte seine Mutter ihn mit dem Thema in Ruhe gelassen und das musste bedeuten, dass sie noch nichts davon erfahren hatte. Und auch wenn Alina betont hatte, dass sich das nicht rumsprechen würde, war David sich da nicht so sicher. Das passte irgendwie nicht in seine Vorstellung von den viel zu schnell gestreuten Gerüchten hier in der Gegend. Aber vielleicht hatte sie ja doch recht.
Als er den Gastraum des Bullen betrat, war es glücklicherweise noch recht leer. David wusste, dass die meisten Gäste erst um neun Uhr kamen und oft nur bis elf Uhr blieben. An zwei Tischen saßen ein paar neue Wochenendgäste und tranken Wein. Joelle, eine Kollegin, die nur samstags arbeitete, trug gerade mehrere Teller mit Essen an einen der Tische. Konrad saß mit einem Winzer aus dem Ort an dem Tisch, in dessen Mitte ein Schild mit der Aufschrift Stammtisch prangte, und trank Wein.
»Gut, dass du kommst«, sagte Joelle auf dem Rückweg in die Küche. »Konrad hat mal wieder keine Lust zu arbeiten.«
David umrundete die Theke und band sich die Schürze um, die sie hier im Service trugen. Früher als erwartet füllte sich an diesem Abend die Gaststätte mit den Menschen aus der Umgebung. David zapfte ein Bier nach dem anderen und beobachtete dabei die Gäste, die nach und nach den Raum füllten. Die Alten waren als erste gekommen und scharten sich um den Stammtisch, an dem Konrad mit steigendem Alkoholkonsum immer lauter redete. David kannte das schon von ihm aus den Zeiten, zu denen er als Gast hiergewesen war. Damals hatte er das meist ziemlich unterhaltsam gefunden, doch jetzt fragte er sich allmählich, ob Konrad sich mit seinem Verhalten einen Gefallen tat. Immerhin war er der Wirt und verhielt sich doch eher wie ein lautstarker Gast.
Auch die Dorfjugend strömte allmählich herein. Tomas erschien unerwartet und fragte David, wann sie mal wieder zocken würden.
»Ich hab hier abends oft lange zu tun«, wiegelte David ab. Doch als er Tomas´ enttäuschte Gesichtszüge sah, ruderte er zurück: »Lass uns kommende Woche schreiben. Dann komme ich vorbei.«
»Lass dich von Konrad nicht völlig vereinnahmen«, mahnte Tomas, nickte David kurz zu und ging mit seinem Bier in der Hand zu drei Jungs hinüber, die an einem Ecktisch hockten.
Wusste Tomas Bescheid?, fragte sich David. Wie weit hatten die Buschtrommeln sein Outing schon getragen? Aber Tomas hatte sich verhalten wie immer. Nichts deutete darauf hin, dass er ein Problem mit David hatte. Vermutlich wusste er dann einfach noch nichts. David stöhnte innerlich. Er hatte sich neulich einen Moment lang vergessen und zu viel geredet. Aus dem Affekt heraus. Und jetzt interpretierte er in jede Bemerkung eine Anspielung auf sein Outing hinein. Das war doch bescheuert.
»Hast du dich an die neue Situation gewöhnt?«, fragte jemand vor ihm an der Theke.
David zuckte zusammen. Er hatte seine Umgebung für einen Moment völlig ausgeblendet. Vor ihm stand Kevin und grinste. Er hatte Kristin und Paula im Schlepptau. All drei brachen in Lachen aus, als David aus seinen Gedanken auftauchte. Im gleichen Moment strömte kaltes Bier aus einem vollen Glas über seine linke Hand und er drehte schnell den Zapfhahn zu.

»Mist!«, fluchte David.

Das Bier war bis an seine Schürze geschwappt und hatte seine Jeans genau im Schritt durchtränkt. David schnappte sich ein Handtuch und verhinderte damit wenigstens, dass der Fußboden eingesaut wurde.
»Wenn du mit der Überschwemmung fertig bist, dann mach mir doch bitte ein Bier«, sagte Kevin lachend und wandte sich zu seinen Begleiterinnen um. »Was trinkt ihr?«
Paula entschied sich für einen Riesling und Kristin bestellte Cola.
»Was hast du vorhin gemeint?«, fragte David, als er den Wein einschenkte.
»Womit?«, erkundigte sich Kevin.
»Mit der neuen Situation. Hast du hier im Dorf herumerzählt, dass ich mich vor euch geoutet habe?«
»Ich habe deine veränderte Aufgabe hier im Bullen gemeint«, sagte Kevin und griff nach dem Bierglas, das David ihm reichte. »Bisher warst du zum Saufen hier, jetzt stehst du auf der anderen Seite der Macht.«
Paula lachte über seinen Scherz. Kristin nippte an ihrer Cola und zwinkerte David zu.
»Mach dir nicht zu viele Gedanken«, sagte sie zu ihm. »Wir sind zwar in der Provinz, aber wir leben nicht hinterm Mond.«
»Von mir erfährt hier keiner irgendwas«, sagte Kevin und sah sich dann im Gastraum um. »Aber ehrlich gesagt fällt mir keiner ein, der damit ein Problem hat.« Er wandte sich wieder David zu. »Mal angesehen von den Alten. Aber die leben ja sowieso in ihrer eigenen Welt. Für die gibt es noch die DDR und am liebsten würden sie mit D-Mark bezahlen.« Er kicherte. »Oder besser noch mit Reichsmark.«
»Und Moritz hält bestimmt auch die Klappe«, unterstrich Paula Kevins Bemerkung. »Bei dem wäre ich mir im Übrigen gar nicht sicher, ob er nicht selbst auf Jungs steht.«
In gespieltem Entsetzen riss Kevin die Augen auf, konnte die Mimik aber nicht lange aufrechterhalten und lachte.
»Aber mal ehrlich«, sagte er dann, »wie kommst du hier klar? Schikaniert dich der Alte sehr?«
David erzählte seinen Freunden von der Arbeit im Hotel und der Gastwirtschaft.
»Das ist nicht der Traumjob, aber immerhin viel besser als in der Praxis. Da hat mich mein Chef auch ständig herumgescheucht, weil ich der Jüngste war. Und nur in der Ausbildung. Hier rieche ich wenigstens ein bisschen von der großen weiten Welt.«
Er grinste.
»Klar!«, lachte Kevin. »Der Bulle ist die Tür zur Freiheit.«
Die Bestellungen hatten sich in den letzten Minuten schlagartig vervielfacht und David wandte sich wieder den Getränken zu. Seine Freunde standen noch eine Weile an der Theke, bis sie schließlich in die Menge eintauchten, die inzwischen den Bullen füllte. So voll war es schon lange nicht mehr gewesen. Vielleicht hatte der Frühling einen Einfluss darauf, dass die Leute wieder aus ihren Löchern gekrochen kamen und Freunde treffen wollten. Und vielleicht hatte aber auch das Frühlingsfest vor zwei Wochen dazu beigetragen, dass die Menschen aus ihrem Winterschlaf aufgewacht waren. David füllte ein Glas nach dem anderen, er spülte und scherzte mit den Gästen. Die meisten kannte er zumindest vom Sehen. Zwischendurch eilte er immer mal wieder an den Empfangstresen, um einen Hotelgast einzuchecken, rief Bestellungen in die Küche und kassierte die Deckel der ersten, vor allem älteren, Gäste ab, die früh aufbrachen. Und obwohl er schon die zweite Schicht an diesem Tag schob, erfüllte ihn diese Arbeit so sehr, dass er die Zeit völlig aus dem Blick verlor.
»Der Laden platzt ja fast aus allen Nähten«, hörte er jemanden hinter sich sagen, als er gerade Schnapsgläser aus dem Regal holte. David drehte sich um und entdeckte Tom auf der anderen Seite des Tresens. »Damit habe ich wirklich nicht gerechnet.«

David lachte. »Was trinkst du?«, fragte er. »Bier? Wein? Hartes?«

Tom lehnte sich an den Tresen und ließ den Blick durch den Gastraum schweifen.
»Was ist hier üblich?«, entgegnete er, als er sich David wieder zuwandte.
»Regionaler Wein. Riesling zum Beispiel. Oder das Bier aus dem Nachbardorf. Die haben eine gute Brauerei. Seit dreihundert Jahren.«
»Nach dem Tag im Internat brauch ich erst mal einen Kurzen.«
David schnappte sich eine Flasche des besten Obstlers, warf einen schnellen Kontrollblick in Richtung des Stammtischs, wo Konrad immer noch Reden hielt und ihnen den Rücken zuwandte. Angesichts der vielen Gläser Wein und Bier, die sein Chef im Laufe des Abends getrunken hatte, würde er nicht mehr mitkriegen, wem David was ausschenkte. Also goss er eines der Schnapsgläser randvoll.
»Pflaume«, sagte er dazu. »Geht aufs Haus.«
»Man dankt«, antwortete Tom, trank das Glas in einem Schluck leer und nickte anerkennend. »Nicht schlecht.«
David füllte die anderen Schnapsgläser mit billigem Fusel, den Konrad für das Fußvolk bevorzugte, schob die Gläser der Kollegin zu, die bereits ein Tablett mit Biergläsern in der Hand hatte.
»Wars so schlimm im Internat?«, erkundigte sich David belustigt.
»Bist du da mal drin gewesen?«, fragte Tom zurück. David nickte. »Edel. Herrschaftlich. Aber total versnobt.« Tom schüttelte den Kopf. »Ich würde kaputtgehen, wenn ich da leben müsste.«
Er schob sein leeres Glas zu David hinüber und der grinste, während er es erneut auffüllte. Für eine Sekunde zuckte der Gedanke durch seinen Kopf, Tom abzufüllen und dann später irgendwo mit ihm zu verschwinden. Doch dann erinnerte er sich daran, dass er besser die Finger von Gästen ließ. Mal abgesehen davon, dass er bei Tom noch gar nicht einschätzen konnte, ob er auf Jungs oder Mädels stand.
Tom nickte zum Dank und trank das zweite Glas genussvoller.
David warf einen Blick auf die Uhr an der Wand hinter sich. Es war schon elf. Ein Blick über die Menschen in der Gaststätte bestätigte ihm, dass es schon nicht mehr ganz so voll war wie vor einer Stunde. Joelle kam immer häufiger um die Theke herum, um Geld zu wechseln. Heute schienen alle mit großen Scheinen bezahlen zu wollen. Und Konrad hatte sich bislang standhaft geweigert, für die Kneipe ein Kartenlesegerät zu besorgen. David vermutete, dass das in erster Linie damit zusammenhing, dass sein Chef auf diese Weise einen Teil der Einnahmen am Finanzamt vorbeischleusen konnte.
Eine halbe Stunde und drei Pflaumen-Obstler später hatte sich der Gastraum schon deutlich geleert. Noch immer waren etwa zwanzig vor allem jüngere Gäste da, aber die Schlagzahl, in der sie Getränke bestellten, nahm spürbar ab. Konrad war mit dem Kopf auf den Armen am Stammtisch eingeschlafen, Joelle sah müde aus und der Lärmpegel war trotz der gesunkenen Gästezahl gestiegen. So und nicht anders kannte David die Wochenenden im Bullen und machte sich über die schier unendlich wirkende Menge an leeren Gläsern her, die darauf warteten, gespült zu werden. Zwischendurch schob er Tom noch einen weiteren Obstler zu.
»Du willst mich doch nur abfüllen«, lachte Tom, wehrte sich allerdings nicht gegen das Getränk.

»Warum sollte ich das tun?«
»Keine Ahnung. Um mich abzuschleppen?«

Jetzt war es an David, zu lachen. »Keine Sorge, das habe ich nicht vor«, sagte er.
»Schade«, sagte Tom mit einem leichten Lallen in der Stimme, zwinkerte David zu und kippte den Schnaps.
Damit hatte sich dann wohl auch die Frage nach Toms sexueller Orientierung erledigt, ging es David durch den Kopf. Aus den Augenwinkeln ließ er den Blick noch einmal eingehend über seinen persönlichen Gast schweifen. Knackig, attraktiv. In einer anderen Situation würde er Tom nicht von der Bettkante stoßen. Er straffte die Schultern. Bloß nicht weich werden. Das würde nur zu Schwierigkeiten führen.
»Wen hast du eigentlich im Internat besucht?«, erkundigte er sich.
»Meinen ehemaligen Nachhilfeschüler«, sagte Tom kichernd. »Nachdem er bei mir Englisch und Deutsch gelernt hat, hat er sich bei seinen Eltern geoutet und die hatten nichts Besseres zu tun, als ihn weit weit weg ins Internat abzuschieben. Und jetzt sitzt Julian da drüben in den ehrwürdigen Mauern und wirkt glücklicher als jemals zuvor.«
Fast wäre David das Weinglas aus der Hand gefallen, das er gerade abtrocknete. Hatte er Tom richtig verstanden? Julian? Und er hatte sich geoutet? So viele schwule Jungs mit diesem Namen konnte es in dem Internat nicht geben, oder?
»Alles gut bei dir?«, erkundigte sich Tom und sah David überrascht an. »Du bist ganz rot geworden.«
David nickte. Er polierte das Glas weiter und schob es ins Regal. Dabei stellte er fest, dass er eiskalte Hände hatte.
»Ich kenne einen Julian aus dem Internat. Der ist im letzten Sommer hängen geblieben und geht in die Abschlussklasse.«
Tom, der bis eben etwas zusammengesackt am Tresen gestanden hatte, richtete sich erstaunt auf und starrte David an.
»Du bist David?«, fragte er. »Dave? Der Dave? Vom letzten Sommer in Schweden?«
»So ist das wohl …«
David spürte die Unruhe, die durch seinen Bauch schoss. Zum Glück kam Joelle jetzt auf ihn zu und gab eine Bestellung von fünf großen Bier und drei Kurzen weiter. David schnappte sich ein Glas und zapfte es zu dreivierteln voll, griff nach dem nächsten und setzte den Vorgang fort, bis sechs Gläser vor ihm darauf warteten, eine schöne Blume zu bekommen. Die Erinnerung an die eigenartige Begegnung am Tag der offenen Tür raste durch seinen Kopf. Schweden. Die Gewitternacht. Der plötzliche Umschwung, der alles geändert hatte. Die überstürzte Abreise. Das Wiedersehen drüben auf dem Hochsitz.
»Fünf«, raunte Tom ihm zu und riss David aus seinen Gedanken.
»Was?«
»Du solltest nur fünf große Bier zapfen.«
Irritiert blickte David auf die Gläser vor sich und zählte. Sechs. Er schüttelte sich kurz, griff eines der Gläser und leerte es wie ein Verdurstender in der Sahara.
»Dann hast du die Sache offenbar auch nicht einfach so weggesteckt«, sagte Tom und deutete auf die fast vollen Biergläser. »Mach mir auch mal eins. Wenn ich noch einen von den Kurzen trinke, kotze ich.«
David nahm eines der gerade gespülten Biergläser und hielt es unter den Zapfhahn.
»Wie geht es ihm?«, fragte er verhalten.

»Er ist wieder auf die Beine gekommen.«

Tom hatte den Blick neugierig auf David gerichtet. »Er hat ja jetzt Daniel. Und ich habe den Eindruck, die beiden sind glücklich miteinander.«
»Den Eindruck habe ich nicht.«
David zapfte die Blumen auf das Bier und schob eines der Gläser zu Tom herüber. Als er den Blick hob, bemerkte er die erstaunt hochgezogenen Augenbrauen.
»Ich habe die beiden gesehen«, erklärte er, bevor Tom fragen konnte. »Vor drei Wochen. Ich bin am Tag der offenen Tür im Internat gewesen.«
»Warum? Was willst du denn noch von ihm? Du hast ihn doch kaltgestellt.«
Was hatte Julian von ihm erzählt? Wie nah standen sich Julian und Tom? Hatten die beiden damals, als Tom der Nachhilfelehrer war, ein Verhältnis gehabt? Und wie stand Tom heute zu Julian? All das wusste David nicht und er wollte sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.
»Ich habe ihn nicht kaltgestellt«, sagte er erst mal, um ein bisschen Zeit zu gewinnen. Als Tom darauf nichts antwortete, schob er eine Erklärung nach: »Wir leben hier in einem winzigen Dorf. Hier ist alles anders als in der Stadt.«
Kevin kam auf den Tresen zu getorkelt. Offenbar hatte er einen erfolgreichen Abend gehabt. Er lachte laut, als er fast über einen der Barhocker stolperte.
»Dein Chef schnarcht«, lallte er und hielt sich am Tresen fest. Dann entdeckte er Tom. »Oh. Ein neues Gesicht.« Er streckte die Hand aus und Tom schlug ein. »Machst du gerade unseren Kleinen klar?«, fragte er, schlug sich dann aber erschrocken die Hand auf den Mund. »Ich sollte nicht reden, wenn ich getrunken habe.« Er wandte sich David zu. »Entschuldige.« Als Nächstes streckte er den Kopf vor und spitzte die Lippen. »Gib mir einen Kuss und dann gehe ich brav nach Hause.«
David wusste im ersten Moment nicht, was er tun sollte. Ein Blick durch den noch leerer gewordenen Raum zeigte ihm, dass er sich entspannen durfte. Die wenigen Menschen hier waren entweder seine Freund.innen, oder zumindest kannte er sie so gut, dass er realisierte, dass von ihnen keine Gefahr ausging. Also beugte er sich Kevin entgegen und drückte ihm schnelle einen flüchtigen Kuss auf die Lippen.
»Danke, Schatz«, murmelte der und drehte sich um. »Mädels«, brüllte er. »Ab nach Hause. Eure Kunden warten.«
Paula und Kristin kamen kichernd auf ihn zu, packten ihn rechts und links an den Armen, warfen David ein paar überschwängliche Kusshände zu und schleppten ihren Freund dann aus der Kneipe.
»Hier ist alles anders als in der Stadt?«, wiederholte Tom Davids letzten Satz. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. »Du bist offenbar schon lange nicht mehr in der Stadt gewesen.«
Als er sich beruhigt hatte, trank er einen tiefen Schluck Bier.
»Aber um noch einmal auf den Jungen zurückzukommen«, fuhr er dann fort.

»Julian hat letzten Sommer echt unter der Situation gelitten.«

David nickte. »Ich hab mich bescheuert verhalten. Aber damals konnte ich mir einfach nicht vorstellen, offen schwul in dieser Gegend zu leben.« Ein Gedanke blitzte durch seinen Kopf. »Triffst du ihn morgen noch mal? Ich könnte mitkommen und mit ihm reden. Vielleicht versteht er dann ja, warum ich mich letztes Jahr so verhalten habe. Und vielleicht kriegen wir es hin, an das, was war, wieder anzuknüpfen.«
Erstaunt starrte Tom ihn an. Dann schüttelte er den Kopf.
»Lass Julian mal sein Ding machen. Er hat jetzt Daniel. Und selbst wenn zwischen den beiden nicht immer alles perfekt ist, solltest du dich da nicht einmischen.« Tom drehte sein Bierglas nachdenklich in den Händen hin und her. Schließlich hob er den Kopf und sah David direkt in die Augen. »Im Grunde kennst du Julian vermutlich gar nicht wirklich. Er hat erzählt, dass ihr eine tolle Zeit in Schweden hattet. Ihr habt euch gegenseitig beflügelt. Und ihr habt euch am Ende gegenseitig verletzt. Wenn du ihn wirklich kennen würdest, dann kämst du nicht auf die Idee, es bei ihm noch einmal zu versuchen.«
Tom hatte vermutlich recht. Immerhin hatte David Julian in Schweden kaum etwas über sich selbst erzählt. Und selbst wenn Julian viel mehr von sich preisgegeben hatte – im Endeffekt hatte David ihn ja völlig falsch eingeschätzt. Er war schließlich davon ausgegangen, dass Julian sich auf eine versteckte Beziehung einlassen würde, sonst hätte er ihm den Vorschlag nie im Leben gemacht. David füllte sein Bierglas zur Hälfte und trank einen Schluck.
»Gibts hier nicht noch andere Jungs von unserem Ufer?«, fragte Tom. Er leerte sein Glas und hielt es David auffordernd hin. »Ich meine: Auch hier muss es doch Schwule geben, die offen leben wollen.«
Erst zögernd, dann nach und nach etwas unverhohlener erzählte David von Alexander, der ihm ja im Grunde das Gleiche angeboten hatte, wie er damals Julian. Doch dessen Unverbindlichkeit – das wurde ihm jetzt zum ersten Mal bewusst – störte ihn auch immer mehr. Er wollte mehr als nur den schnellen Sex. Dann berichtete er Tom auch von Sid und der eigenartigen Geburtstagsfeier. Und während er Tom zu erklären versuchte, was ihn am vergangenen Wochenende in das Bett des Grafenneffen befördert hatte, und vor allem, als er von der Nachricht am Tag danach erzählte, wurde ihm klar, wie sehr ihn Sid berührte. Seit letztem Sonntag war kein Tag vergangen, in der er nicht wenigstens einmal darüber nachgedacht hatte, ob das zwischen ihnen nicht alles hätte anders laufen können. Und auch jetzt tauchte er sofort in die Grübelei ab, ob er etwas falsch gemacht oder ob er Sid doch völlig missverstanden hatte.
Nachdenklich hörte Tom ihm zu. Das Lokal leerte sich zunehmend. Joelle weckte den Chef, der stöhnend und schimpfend nach draußen verschwand und schließlich mit seinem Auto den Hof verließ. Joelle legte die Schürze ab, holte ihre Jacke, wuschelte David durch die Haare und verließ den Bullen. Zwei letzte Gäste hielten sich an ihren fast leeren Gläsern fest. David rief ihnen mitten in seiner Erzählung die Info zu, dass er jetzt die letzte Runde machte, doch die beiden wollten nichts mehr trinken. Sie bezahlten ein paar Minuten später und David war mit Tom allein.
»Du solltest dich an diesen Sid halten«, sagte der, als David mit seinem Bericht fertig war. »Vielleicht braucht er einfach noch einen Anstoß, um sich von seinem Onkel zu lösen.«
David schüttelte entmutigt den Kopf. »Das ist der völlig verzogene Neffe des reichsten Mannes im Umkreis von fünfzig Kilometern. Er wird seinen Onkel eines Tages beerben. Und wenn er sich diese Erbschaft nicht versauen will, dann wird er schön brav ein Mädchen ehelichen und Kinder in die Welt setzen. Ich kenne solche Typen.«
»Woher?«
»Was?«
»Woher kennst du solche Typen?«
David winkte ab. »Das war so dahergeredet. Aber das bringt doch alles nur Ärger mit sich. Darauf hab ich keinen Bock.«
Tom nickte. Er streckte sich, wobei sein T-Shirt ein wenig hochrutschte und seinen Bauch frei gab. David schloss kurz die Augen. Warum wollten ihm zurzeit alle ihren perfekten Bauchmuskeln zeigen? Als er seine Augen wieder öffnete, sah er Toms Aufmerksamkeit voll auf sich gerichtet. Ihm war sofort klar, was Tom beabsichtigte. Er gab seinem Impuls nach und streckte eine Hand nach dem Mann auf der anderen Seite des Tresens aus und hätte ihn fast zu sich herangezogen. Im letzten Moment stoppte er sich. Er musste noch zwei Stunden am Empfang sitzen, bis er abgelöst wurde. Er wollte sich in diesem Job keinen groben Fehler erlauben. Auch wenn Tom ihn gerade sehr reizte und die Erektion in seiner Hose nicht förderlich war. Er seufzte.
»Ich schmeiß dich jetzt raus«, sagte er leise.
Tom nickte, lächelte, zog einen Bierdeckel zu sich heran und griff nach einem Kugelschreiber. Unter seinen Fingern entstanden Zahlen, die sich zu einer Telefonnummer zusammensetzten.
»Wenn du Lust auf Großstadt hast, dann meld dich einfach.«
Und während David noch an seiner Entscheidung zweifelte, den Reizen nicht nachzugeben, rutschte Tom vom Barhocker und tauchte durch die Holztür in den Bereich des Gebäudes ein, in dem sich das Hotel befand.

© Stephan Meyer, Köln 2022 – Alle Rechte vorbehalten


Das war das achtzehnte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare. Ich freue mich auf deine Rückmeldungen.


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Dorfidylle #17

Tischtennis.

Drei Tage später radelte David am frühen Abend vom Hotel zum Training. Mit Kevin hatte er in der Zwischenzeit ein paarmal hin und her geschrieben und der schien ihm nichts nachzutragen, war aber immer noch sauer wegen Kristin. Aber David hatte sich nicht getraut, mit Kristin zu schreiben oder sogar zu sprechen. Er vermutete, dass sie weiterhin verletzt war und er konnte nicht einschätzen, wie sie mittlerweile auf ihn zu sprechen war.
»Man hört ja interessante Dinge von dir!«, rief ihm Kevin entgegen, als David sein Fahrrad neben der Treppe zur Sporthalle abstellte.

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Kevin saß gemeinsam mit Paula und Kristin auf den Stufen. Ein fremder Junge lehnte ein paar Meter weiter am Treppengeländer und zog an einer Zigarette.
»Was hast du denn gehört?«, fragte David und bereitete sich innerlich auf einen verbalen Angriff vor.
»Bist du David?«, fragte der Unbekannte und trat seine Kippe aus.
David musterte ihn. Jetzt fiel ihm ein, dass er ihn schon ein- oder zweimal im Bullen gesehen hatte, bevor er selbst da angefangen hatte zu arbeiten. Er konnte ihn nicht einschätzen und wusste auch nicht, was der hier machte.
»Wer will das wissen?«, entgegnete David mit scharfem Unterton.
Er spürte leichte Aggression in sich aufkeimen.
»Moritz hat bisher Badminton gespielt«, sagte Kevin. »Aber sein Trainer ist weggezogen und jetzt will er es mal mit Tischtennis versuchen.«
Moritz sah David mit einem schiefen Grinsen an.
»Im Grunde ist das Netz ja nur ein bisschen kleiner und der Ball fliegt schneller«, sagte er. »Oder gibt es noch mehr Unterschiede?«
Kevin lachte. David realisierte, dass Moritz eigentlich ganz nett aussah. Er fand ihn sogar ziemlich attraktiv. Aber solche Gedanken sollte er sich wohl besser verkneifen. Er wusste ja gar nichts über Moritz und David hatte nicht die geringste Lust, sich mit einer unbedachten Bemerkung in die Nesseln zu setzen.
»Je nachdem, wie du Badminton gespielt hast, wirst du schon noch ein paar andere Unterschiede entdecken«, konterte David also.
»Ach, du meinst den kleinen Schläger?«, frotzelte Moritz. »Damit komme ich klar. Wobei große Dinger ja deutlich besser in der Hand liegen.«
Eine Hitzewelle raste über Davids Gesicht. Hatte Moritz gerade eine anzügliche Bemerkung gemacht? Vermutlich nicht und er hatte das einfach nur missverstanden. Vermutlich wollte er den Kommentar missverstehen.
»Alles gut bei dir?«, erkundigte sich Kevin amüsiert. »Du bist ganz rot im Gesicht geworden.«
Er lachte sich schlapp und David wandte sich ein wenig ab, damit seine Gesichtsfarbe nicht so auffiel. Er streifte dabei Moritz kurz mit den Augen, der aber kaum eine Miene verzog, sondern lediglich die Mundwinkel ein wenig anhob.
»David hat mich bestimmt missverstanden«, sagte Moritz. »Ich habe vom Sport gesprochen.« Er sprach, ohne den Blick von ihm abzuwenden. »Oder was hast du gemeint, wovon ich spreche?«
David schüttelte den Kopf und suchte verzweifelt nach einem Thema, das die anderen von ihm ablenken könnte.
»Meine Oma hat dich am Sonntag ganz früh gesehen«, sagte Paula jetzt. »Sie war mit dem Hund draußen im Wald unterwegs. Du bist morgens um sechs mit dem Auto vom Hof des Schlosses gefahren.« Spätestens jetzt waren alle Augen auf David gerichtet. »Was hast du denn da so früh gemacht?«
Wieder wurde David von einer Hitzewelle überrollt und er war noch weniger in der Lage, irgendetwas Vernünftiges zu sagen. In Kristins Gesicht bemerkte er eine steile Falte zwischen den Augen. Sie sah ihn irritiert an. Moritz grinste jetzt noch breiter und Kevin kicherte leise in sich hinein.
»Ich habe auf dem Schloss gearbeitet«, murmelte David und befürchtete sofort, seine Situation dadurch nicht besser gemacht zu haben. »Ist halt spät geworden.«

»Du hast ernsthaft die ganze Nacht durchgearbeitet?«,

fragte Kevin. »Was haben die denn gefeiert? Ich habe nur mitbekommen, dass im ganzen Dorf so Protzkarren rumgefahren sind und alles verstopft haben. Da muss ja ne ganze Menge losgewesen sein.«
David atmete einmal tief durch. Jetzt bloß nichts Falsches sagen!
»Georg hat seinen einundzwanzigsten Geburtstag gefeiert und ich habe die Party gemanagt.«
»Die Leute, die ich im Dorf gesehen haben, sahen echt alt aus«, sagte Kevin. »Die haben bis morgens um sechs gefeiert? Really? Du willst uns doch verarschen.«
»Oder hast du Sid noch ein paar persönliche Geburtstagsgrüße gebracht?«, erkundigte sich Moritz und stieß danach mit der Zunge ein paarmal von innen gegen die Wange.
Jetzt kochte in David die aufgestaute Energie über. Er hatte keine Lust, sich für das zu verteidigen, was er war. Er trat mit erhobenen Fäusten auf Moritz zu.
»Wer bist du denn eigentlich, dass du glaubst, so eine Scheiße von dir geben zu dürfen?«, fauchte David ihn an. »Du kommst hier an, machst einen auf cool, aber dann fallen dir nur bescheuerte Sprüche ein!«
Kevin sprang auf und stellte sich David in den Weg. Er stemmte ihm die Arme auf die Brust und hinderte ihn so, weiter auf Moritz zuzugehen. David war ihm im Grunde dankbar für das Eingreifen, denn er wusste plötzlich nicht mehr, warum er gleich so an die Decke ging, als wäre in ihm etwas explodiert.
»Was ist eigentlich mit dir los?«, mischte sich jetzt Kristin ein. Sie hatte sich ebenfalls von den Stufen erhoben und kam jetzt auf sie zu. »Ich verstehe dich echt nicht mehr. Irgendwas ist dir doch passiert, dass du in letzter Zeit so aggressiv bist.«
David spürte die Angst sein Rückgrat hochkriechen. Am liebsten hätte der den anderen gesagt, sie sollten einfach vergessen, was in den letzten Minuten passiert war. Aber das würden sie nicht akzeptieren. Dafür kannte er sie zu gut.
»Ich vermute ja«, sagte Moritz, »dass er was mit dem jungen Grafen angefangen hat und ihm das jetzt peinlich ist, weil er sich hat ausnutzen lassen, wie in Sexsklave.«
Wieder brodelte der Zorn in David auf und er versuchte, an Kevin vorbeizukommen. Doch der stemmte sich ihm eisern entgegen.
»He!«, grollte er David ins Gesicht. »Komm mal runter!«
Noch einmal versuchte David, an ihm vorbeizukommen, wieder ohne Erfolg.
»Du hast echt keine Ahnung!«, schrie er Moritz an. »Warum machst du dir nicht einfach Gedanken um was anderes? Was geht es dich an, dass ich auf Jungs stehe.« Davids Stimme überschlug sich beinahe. Sie klang jetzt völlig überzogen schrill. »Ja, ich bin schwul. Hast du irgendein Problem damit?«
Seinem Geschrei folgte Stille. Ein letztes Mal stürmte David gegen Kevin an. Dann gab er auf. Kevin hielt ihn immer noch fest, musste sich aber nicht mehr gegen ihn stemmen, denn David taumelte. Er fühlte sich schwindelig. Er griff nach Kevins Arm, um sich an ihm festzuhalten. Dann stürzten ihm die Tränen aus den Augen. Tränen der Wut, Tränen der Frustration, Tränen der Scham. Er senkte den Kopf auf die Brust und ließ seine Arme schlaff neben sich herabhängen.
Niemand von den anderen sagte ein Wort. David hörte sich selbst hektisch atmen. Sein Herz pulsierte wie nach einem 100-Meter-Lauf. Seine Knie begannen leicht zu zittern. Was hatte er getan? Hatte er das gerade wirklich gesagt? Einerseits war er erleichtert, dass es jetzt endlich raus war. Andererseits hatte er plötzlich riesigen Schiss vor der Ablehnung durch seine Freunde.
Mitten in der Stille legte Kevin die Arme um ihn und drückte ihn an sich. David spürte den Körper seines Freundes und wusste sofort, dass Kevin ihn nicht verurteilen würde.
»Endlich stehst du dazu«, murmelte Kevin ihm in die Halsbeuge. »Mein Gott, wie lange habe ich darauf gewartet, dass du den Scheiß mal aussprichst.«
Die Tränen liefen Davis weiter aus den Augen. Kevins T-Shirt unter seinem Gesicht wurde ganz nass von ihnen. Er spürte Kevins Hand auf dem Kopf, die ihn sanft streichelte. Langsam atmete David wieder ruhiger. Sein Herzschlag normalisierte sich allmählich.
»Hat er das jetzt etwas zum ersten Mal gesagt?«, fragte Moritz vorsichtig. »Ich meine … das wusste doch alle, oder?«
David erstarrte. Dann stimmte es also, dass die Leute um ihn herum längst geahnt hatten, was mit ihm los war? Seine Mutter hatte ihm damit ständig in den Ohren gelegen. Das wusste er. Und ich Kevin hatte neulich eine Bemerkung gemacht. Warum hatte er das nicht wahrhaben wollen? David löste sich vorsichtig aus Kevins Armen. Sein Freund sah ihn freundlich an.
»Gehts wieder?«, fragte Kevin.
David nickte.
Als er den Kopf hob, sah er Kristin auf sich zukommen. Sie wirkte immer noch ein wenig durcheinander, nahm ihn dann aber in die Arme.

»Du bist echt ein Idiot«,

sagte sie leise zu ihm. »Warum hast du denn nie was gesagt?«
Sie drückte ihn und er legte seine Arme um sie. Wie hatte er bloß an seinen Freunden zweifeln können.

Nach dem Training zogen sie sich in den Umkleiden um. Moritz taperte mit seinem Handtuch um die Hüften in Richtung Duschen und auch Kevin machte sich auf den Weg. Vor dem Durchgang stoppte er und drehte sich zu David um.
»Kommst du jetzt endlich mal mit duschen?«, fragte er grinsend.
Als sich David gerade damit herausreden wollte, noch eine Runde laufen zu wollen, verdrehte Kevin die Augen.
»Hör mal«, sagte er. »Das ist doch bescheuert. Lass den Scheiß jetzt mal. Ich guck dir schon nichts weg und ich hab auch keinen Schiss davor, dass du mir auf den Schwanz guckst. Das ist normal und das machen alle. Auch wenn ich hetero bin. Okay? Also reiß dich zusammen und wasch dir den Schweiß vom Körper. Los jetzt!«
Dann ging auch er in den Duschraum. David hörte ihn mit Moritz lachen. Die Duschen sprangen an. Langsam zog sich David die Shorts von den Beinen. Als er um die Ecke bog, seiften sich Moritz und Kevin gerade ein und bekamen offenbar gar nicht sofort mit, dass er auch da war. David stellte sich unter einen der Duschköpfe und drehte das Wasser auf. Eine Weile verharrte er mit nach oben gerichtetem Gesicht unter dem warmen Strahl. Es tat so gut, sich all den Dreck von der Haut zu spülen. Er könnte hier stundenlang stehen und einfach nur das Wasser auf seinem Körper spüren.
Schlagartig wurde das Wasser eiskalt. David zuckte zusammen, sprang zur Seite und sah sich irritiert um. Neben ihm brach Kevin in schallendes Lachen aus.
»Beim Duschen musst du aufpassen«, rief er vergnügt. »Und lass bloß nicht die Seife fallen und bück dich nie nach etwas auf dem Boden. Wer weiß, wer da gerade neben dir steht!«
Etwas fassungslos starrte David ihn an. Doch bevor er etwas sagen konnte, schlich sich Moritz seitlich an Kevin heran und holte mit seinem Handtuch zum Schlag aus. Im letzten Moment bemerkte Kevin ihn und griff nach dem wirbelnden Handtuch.
»David!«, brüllte er. »Hilf mir! Der Neue will mich umbringen!«
Die beiden rangelten um das Handtuch und David entschied sich in Sekundenschnelle, einzugreifen. Er packte ebenfalls nach Moritz´ Handtuch und gemeinsam mit Kevin zogen sie Moritz quer durch den Duschraum. Als der die Übermacht einsah, ließ er los, hechtete zu den Haken, an denen ihre eigenen Handtücher hingen, und hielt sie provozierend unter eine ausgestellte Dusche.
»Und was macht ihr jetzt?«, fragte er lachend.
Kurzerhand hielt Kevin das Handtuch in seinen Händen unter einen der anderen Duschköpfe und stellte das Wasser an. David hechtet los, um Kevins und sein Handtuch zurückzuerobern, doch Moritz war schneller. Er versuchte, in die Umkleiden zu entkommen. Kevin warf das pitschnasse Handtuch nach ihm und traf ihn im Rücken. Moritz wurde aus dem Schwung gebracht, verfehlte den Durchgang und donnerte gegen die Fliesen. Im nächsten Moment waren Kevin und David bei ihm. Sie zerrten den um sich schlagenden Moritz unter die nächste Dusche und stellten das Wasser an. Eiskalt.
Am Ende waren sie alle drei nass und verschwitzt und außer Atem und keiner von ihnen hatte mehr ein trockenes Handtuch. Lachend trockneten sie sich mit den Sportklamotten oberflächlich ab und stiegen in ihre trockenen Klamotten. Und zum ersten Mal seit Langem hatte David das Gefühl, wirklich dazuzugehören.
Erschöpft und zufrieden radelte er nach Hause. Er fühlte sich sauwohl, trotz der widrigen Umstände, in denen er lebte. Wenn er gewusst hätte, wie sehr ihn das folgende Wochenende wieder aus dem Trott bringen würde, wäre er vermutlich nicht so entspannt nach Hause gefahren.

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Dorfidylle #16

Mutter.

Zum zweiten Mal an diesem Tag schwitzte David seine Klamotten durch, als er so schnell wie möglich mit dem Fahrrad nach Hause raste. Er hatte keine Ahnung, was passiert war, aber die Sprachnachricht der Nachbarin hatte ihn ziemlich durcheinandergebracht. Immerhin hatte sie zwölfmal versucht, ihn zu erreichen. Irgendwas wirklich Beunruhigendes musste also vorgefallen sein. Vielleicht hatte seine Mutter einen Topf auf dem Herd stehen lassen und das Haus war abgebrannt. Oder sie hatte einen Unfall gehabt. Mit jedem Meter, den David dem Haus näher kam, wurde er nervöser.

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Als er endlich in die Straße einbog, in der er wohnte, sah er sofort den Streifenwagen in der Einfahrt stehen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Was war da passiert? Die Feuerwehr war nirgendwo zu sehen. Immerhin schien das Haus also nicht abgebrannt zu sein. Allerdings parkte neben dem Streifenwagen noch ein zweites Auto, das David nicht kannte. Und die Haustür stand sperrangelweit offen.
David bremste und sprang vom Fahrrad, noch bevor es vollständig zum Stehen gekommen war. Achtlos ließ er es auf den Rasen vor dem Haus fallen und eilte auf die Tür zu. Er hörte ruhige Stimmen aus dem Wohnzimmer und erreichte im nächsten Moment das Ende des Flurs.
Seine Mutter konnte er im ersten Augenblick nicht entdecken, denn ihm wurde der Blick von zwei Frauen und einem Mann verdeckt. Die Nachbarin drehte sich überrascht um und sah David besorgt an.
»Da bist du ja«, sagte sie und machte einen Schritt zur Seite, sodass David seine Mutter auf dem Sofa liegen sah. »Ich habe versucht, dich zu erreichen, aber in der Praxis hat man mir nur gesagt, dass du da nicht mehr arbeitest.«
»Ich habe seit Kurzem einen neuen Job«, entgegnete David abwesend.
Seine Mutter lag unter einer Wolldecke. Sie war blass und ihre Augen flackerten. Unter ihrem Kopf lagen mehrere kleine Kopfkissen und in ihrer Armbeuge steckte eine Kanüle, die zu einem Plastikbeutel mit einer Flüssigkeit führte. Jetzt erkannte David auch Dr. Amber, ihren Hausarzt. Eine Polizistin unterhielt sich leise mit seiner Mutter.
»Was ist denn passiert?«, fragte David und trat näher an das Sofa heran. Seine Mutter hob den Blick. »Mama! Was ist hier los?«
Die Polizistin drehte sich zu ihm herum.
»Sie sind der Sohn von Frau Weber?«, fragte sie freundlich.
David nickte, streckte die Hand aus und stellte sich vor. In der Luft schwebte der unangenehme Geruch von Desinfektionsmittel und Krankenhaus. Dr. Amber nickte ihm zu und machte dann einen Schritt zur Seite, damit David sich neben seine Mutter auf das Sofa setzen konnte.
»Ihre Mutter hat wohl ein wenig die Nerven verloren«, sagte jetzt die Polizistin.
David wandte den Kopf zu ihr nach oben.
»Inwiefern?«, fragte er, sah erst die Polizistin, dann den Arzt und schließlich die Nachbarin an.
Als ihm niemand direkt antwortete, warf der den Blick wieder auf seine Mutter. Sie wirkte schmaler als jemals zuvor und schien unter der Decke fast zu verschwinden.

»Mama. Was hast du gemacht?«

Seine Mutter schloss die Augen. Tränen flossen über ihre Schläfen.
»Ich habe sie zufällig aus dem Haus laufen sehen«, sagte die Nachbarin leise. »Sie hatte nur einen Slip an. Sonst nichts.«
Ein Schauer durchfuhr Davids Körper. Er tastete nach der Hand seiner Mutter. Er spürte sie zittern, die Haut war eiskalt. Immer noch rollten die Tränen und seine Mutter hielt die Augen geschlossen.
»Ich bin dann sofort raus. Aber sie war schon an der nächsten Straßenecke.« Die Stimme der Nachbarin klang viel zu hoch in Davids Ohren. »Sie hat die Autos angeschrien. Und als ihr Leute entgegenkamen, hat sie auch die angebrüllt. Ich habe deine Mutter noch nie so laut Schreien hören. Dann ist sie auf die Kreuzung drüben an der Hauptstraße gerannt und hat die Autos angehalten.« Die Stimme wurde immer leiser. »Sie ist fast überfahren worden.«
Die Hand seiner Mutter zwischen Davids Fingern zitterte immer stärker. David umschloss sie fest.
»Bist du verletzt?«, fragte er seine Mutter sanft.
In ihm tobte eine höllische Angst vor dem, was er noch erfahren würde. Er verfluchte sich, seine Mutter heute Morgen so harsch angegangen zu sein. Dabei wusste er doch, dass sie damit nicht klarkam.
»Ihrer Mutter ist zum Glück nichts passiert«, sagte die Polizistin. »Sie sollten sich allerdings überlegen, wie es mit ihr weitergehen soll.«
Die Hand seiner Mutter verkrampfte sich bei diesen Worten. David strich ihr zart über die Stirn.
»Ich habe ihr ein Beruhigungsmittel gegeben«, sagte Dr. Amber. »Sie scheint auch getrunken zu haben. Deshalb die Infusion.«
David hob den Kopf. Der Beutel war leer und Dr. Amber gab ihm zu verstehen, dass er an den Arm seiner Patientin musste. David ließ die Hand seiner Mutter los und erhob sich. Der Arzt nahm seinen Platz ein, zog die Kanüle aus dem Arm, reichte der Nachbarin den Beutel und den Schlauch und klebte ein Pflaster auf die Armbeuge. Eine Weile drückte er auf die Stelle, wo gerade noch die Nadel in der Haut gesteckt hatte, damit sich kein Bluterguss bildete. Dabei wandte er sich David mit besorgter Miene zu.
»David«, sagte er ruhig. »Die Polizistin hat recht. So geht das nicht weiter. Ich war zum Glück vorhin zufällig in der Nachbarschaft und konnte den Notarzt überzeugen, dass sie meine Patientin ist und dass ich mich um alles kümmere. Er hat wirklich mit sich gekämpft und wollte deine Mutter eigentlich in die Klinik bringen.«
Etwas verständnislos sah David ihn an. Er hatte den Eindruck, die ganze Szene durch einen langen Tunnel zu sehen, der ihn von den anderen Menschen in diesem Raum distanzierte.

»In eine psychiatrische Klinik«, ergänzte Dr. Amber leise und erhob sich.

Wie eine eisige Lawine rollte diese Information über David hinweg. Die Psychiatrie. Natürlich hatte er in den letzten Jahren immer mal wieder daran gedacht, dass dieser Moment eintreten konnte. Aber er hatte die Gedanken daran jedes Mal sofort von sich geschoben und in eine dunkle Kammer gesperrt. Seine Mutter war schon einmal so weit gewesen. Damals in der schrecklichen Nacht in Berlin. Drei Wochen war sie in der psychiatrischen Abteilung der Charité gewesen, bis sie so weit wiederhergestellt war, um das in das normale Leben zurückzukehren. Ganz erholt hatte sie sich seitdem nie. Er selbst hatte die Erfahrung möglichst weit von sich geschoben und sich jede Beschäftigung damit verboten. Bis heute.
»Herr Weber«, meldete sich die Polizistin nun wieder zu Wort. »Es wäre gut, wenn Sie für Ihre Mutter eine Entscheidung treffen. Sollen wir sie nicht doch lieber zur Beobachtung für ein paar Tage in eine Klinik bringen?«
In diesem Moment öffnete seine Mutter zum ersten Mal wieder die Augen und David sah die Panik ihn ihren Pupillen. Er setzte sich sofort wieder neben sie und griff nach ihrer Hand. Wie eine Schraubzwinge klammerten sich ihre Finger an ihn. Und in ihm tobten gegensätzliche Gedanken. Sicherlich wäre es besser, wenn sich seine Mutter in professionelle Hände begeben würde, wenn sie sich endlich behandeln und vielleicht sogar heilen lassen würde. Aber David kannte ihren Horror vor jeder Art von Krankenhaus. Sein Herz raste unkontrolliert bei der Vorstellung, ihr das anzutun. Das durfte einfach nicht geschehen.
»Ich halte das eigentlich auch für das Beste«, sagte Dr. Amber. »Seit ich deine Mutter zuletzt gesehen habe – und das ist leider schon wieder viel zu lange her – hat sich ihr Zustand deutlich verschlechtert. Ich befürchte, dass sie auf Dauer chronische Psychosen entwickelt, wenn wir nicht deutliche Schritte gehen.«
David sah seiner Mutter in die Augen, als er leicht mit dem Kopf schüttelte.
»Vielen Dank Dr. Amber«, sagte er, ohne den Blick von seiner Mutter zu lösen. »Ich werde versuchen, mit meiner Mutter in Ruhe über die Möglichkeiten zu sprechen. Aber ich glaube, sie ist im Moment besser hier zu Hause aufgehoben.«
Der Arzt sah ihn sorgenvoll an und nickte sacht.
»Du bist erwachsen geworden, David. Und ich schätze die Verantwortung, die du hier übernimmst. Versprich mir aber bitte, dass du mich sofort anrufst, wenn etwas passiert. Und dass ihr wirklich darüber sprecht.« Er öffnete seine Arzttasche und zog einen Rezeptblock heraus. »Ich schreibe ihr ein starkes Beruhigungsmittel auf und lasse dir für heute zwei Tabletten hier.«
Er stellte das Rezept aus, legte es auf den Couchtisch, kramte noch einmal in der Tasche und fischte ein Blister mit Pillen hervor.
Als er sie David in die Hand drückte, sagte er: »Zwei Stück höchstens am Tag. Und immer acht Stunden Abstand dazwischen. Die können aufs Herz gehen.«
David nickte.
Die Polizistin sah skeptisch zwischen David, seiner Mutter und Dr. Amber hin und her. Die Nachbarin lehnte mit verschränkten Armen an der Türzarge. David spürte die Bedenken der drei Menschen. Aber er konnte seine Mutter nicht noch einmal in die Psychiatrie bringen.

»David«, sagte Dr. Amber. »Mit dieser Krankheit ist nicht zu spaßen.

Deine Mutter sollte dringend zu einem Psychiater gehen und sich untersuchen lassen. Mit den Tabletten wird sie die Situation auf Dauer nur hinauszögern. Für eine Verbesserung muss sie anderes tun.«
Wieder nickte David. Er war sich nicht ganz sicher, ob er richtig verstand, was das bedeutete. Er hatte außer damals in der Charité noch nie mit Psychiatern zu tun gehabt. Seine Mutter hatte die Ärzte in der Klinik gehasst und ihnen unterstellt, sie würden sie einfach nur ruhigstellen und betäuben. Damals war David zu jung gewesen, um die Verantwortung für seine Mutter zu übernehmen. Heute war er älter, aber so richtig gewachsen fühlte er sich der Situation immer noch nicht.
»Ich werde mit ihr sprechen, wenn es ihr besser geht«, versicherte er dem Arzt.
»Wo arbeitet deine Mutter zurzeit?«, fragte der Arzt. »Soll ich ihr eine Krankschreibung ausfüllen?«
»Sie hat keinen Job«, sagte David.
»Dann ist sie arbeitslos?«, fragte der Arzt weiter.
Wieder einmal wurde David bewusst, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, wovon seine Mutter lebte. Sie hatten nie viel Geld gehabt. Hin und wieder war sie in Berlin auch mal arbeiten gegangen. Aber nie regelmäßig. Immer nur, wenn etwas oberflächlich Spannendes auf sie zugekommen war. Meistens waren das irgendwelche Kunstprojekte gewesen, die nach ein paar Monaten abgeschlossen waren. Aber sie hatte sich nie arbeitslos gemeldet. Und trotzdem war immer so viel Geld da gewesen, dass sie über die Runden kamen.
»Sie braucht keine Krankschreibung«, sagte David leise.
Dr. Amber und die Polizistin verabschiedeten sich. Und auch die Nachbarin verließ nach ein paar Minuten das Haus, nachdem sie David versichert hatte, er könne sich jederzeit bei ihr melden. Sie sei den ganzen restlichen Tag zu Hause. Die Tür fiel leise hinter ihr ins Schloss.
David saß auf dem Sofa neben seiner Mutter und hielt ihre Hand fest. Als sie allein waren, fiel die Anspannung spürbar von seiner Mutter ab. Sie schloss die Augen wieder für eine Weile und als David schon glaubte, sie sei eingeschlafen, hörte er sie leise »Danke!« sagen.
Er drückte ihre Hand in der seinen als Reaktion. Tiefe Erschöpfung machte sich in ihm breit. Er hatte gestern bis spät in die Nacht gearbeitet, danach kaum geschlafen und stattdessen wunderbaren Sex mit Sid gehabt. Er hatte heute wieder acht Stunden im Hotel geschuftet. Und dann war die Aufregung hier zu Hause dazu gekommen. Kein Wunder, dass er sich danach sehnte, sich in sein Bett zu legen und die Decke bis über den Kopf zu ziehen. Aber noch konnte er sich nicht ausruhen.
»Mama!«, fragte er vorsichtig. Ihre Augen öffneten sich leicht. »Willst du mir erzählen, was passiert ist?«
Eine Weile sah seine Mutter ihn schweigend an. David registrierte, wie sie mit sich kämpfte. Nach einem leisen Seufzer rang sie sich offenbar durch, mit ihm zu sprechen.
»Als du heute Morgen gegangen bist, war ich fest davon überzeugt, dich für immer verloren zu haben.«
»Ach, Mama!«, flüsterte David. Die Tränen stiegen ihm in die Augen. »Ich gehe nicht. Versprochen!«
»In meinem Kopf weiß ich das. Aber meine Angst ist immer stärker geworden. Und ich konnte mich nicht dagegen wehren.«
David legte seinen Kopf auf ihrem Brustbein ab. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und er weinte.
»Ich weiß«, fuhr seine Mutter fort, »wie viel ich dir zumute. Ein Mensch in deinem Alter sollte diese Verantwortung nicht tragen müssen.« Sie machte eine lange Pause, in der David sie ruhig atmen hörte. »Aber ich habe nun mal nur dich. Und wenn du mich verlässt, dann gibt es niemanden mehr.«
Der Schmerz schien David fast zu zerreißen. In Wellen schwappte er in ihm hin und her und verhinderte, dass er seiner Mutter antworten konnte. Er konzentrierte sich auf die Lichter, die hinter seinen Augenlidern tanzten, auf seinen Atem, der allmählich mit dem seiner Mutter in Einklang geriet. Je länger sie gleichzeitig atmeten, desto mehr kehrte die Ruhe in Davids Körper und seinen Kopf zurück. Mit der Zeit wurde der Atem seiner Mutter immer ruhiger und sein Atem passte sich symbiotisch daran an. Und mit ihren ruhigen Atemzügen entspannte sich auch ihr Körper weiter. Nach und nach spürte David, dass er die Unruhe hinter sich lassen konnte. Er war froh, dass das Beruhigungsmittel, das Dr. Amber ihr gegeben hatte, offenbar wirkten.
Er lauschte. Vermutlich war seine Mutter eingeschlafen. Langsam hob er den Kopf und setzte sich auf. Tatsächlich hatte sie die Augen geschlossen und wirkte jetzt ganz ruhig. Gerade wollte David aufstehen, um etwas zu trinken, da öffneten sich ihre Augen noch einmal einen winzigen Spalt weit.
»Ich wusste nicht, dass Georg wieder hier ist«, sagte sie fast unhörbar.
»Wieso ist das so wichtig?«, fragte David erstaunt.
Aber jetzt war seine Mutter endlich eingeschlafen und er wollte sie nicht noch einmal wecken.
Was hatte sie damit gemeint? Hatte Sids Rückkehr etwas mit ihrem Zusammenbruch zu tun? David erinnerte sich, wie angespannt seine Mutter heute Morgen auf die Erwähnung seines Namens reagiert hatte. Aber sie kannte den Neffen des Grafen doch nur von vor zwanzig Jahren, als er ein Kleinkind gewesen war. Oder hatte David irgendwas übersehen?

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Das war das sechzehnte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare. Ich freue mich auf deine Rückmeldungen.


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Dorfidylle #15

Hotel.

David dachte auf dem Weg zum Hotel unentwegt an die vergangene Nacht mit Sid. Alles war so anders gewesen, als er es kannte. Kein schneller Sex, wie mit Alexander. Keine unausgesprochenen Erwartungen wie mit Julian. Vielleicht ging es Sid ja ähnlich. Vielleicht war er der Mann, auf den David so lange gewartet hatte. Doch dann blitzte in Davids Erinnerung die eigenartige Begegnung mit Sids Onkel heute Morgen wieder auf. Sid hatte ihm nicht beigestanden. Dafür hatte David keine vernünftige Erklärung.

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Total verschwitzt kam er am Hotel an. Er sah auf sein Handy. Es war zehn nach zehn. Mist! Schnell schob er sein Rad in den Schuppen, ordnete seine Klamotten und ging so ruhig wie möglich zum Haupteingang, damit er nicht noch mehr schwitzte.
Vor dem Empfangstresen stand ein ganzer Pulk von Menschen, die ungeduldig darauf warteten, an die Reihe zu kommen. Hinter dem Tresen versuchte Alina, der Situation Herr zu werden. Als sie David bemerkte, verdrehte sie zwar die Augen, aber er sah auch die Erleichterung in ihren Augen.
»Wo kommst du denn jetzt her?«, zischte Konrad, der mit zwei Koffern in den Händen an ihm vorbeieilte, ihm in diesem Moment zu. »Du bist zu spät!«
Bevor David zu einer Erklärung ansetzen konnte, wandte sich sein Chef schon zwei Gästen zu und fragte sie unterwürfig, ob sie noch mehr Gepäck hätten. Dann verschwand er mit ihnen nach draußen. David umrundete den Tresen und stellte sich an den Computer.
»Konrad ist völlig durch«, murmelte Alina ihm zu. »Offenbar hat er gestern gesoffen und macht heute Morgen einen Fehler nach dem anderen.«
Sie lächelte dem nächsten Gast zu, nahm seine Kreditkarte entgegen und steckte sie in das Lesegerät.
»Ich hoffe, Sie hatten einen guten Aufenthalt bei uns!«
Auch David wandte sich jetzt einem der Gäste zu. Er kannte die Gesichter von gestern Abend und die meisten waren im Aufbruch und wollten zahlen. Einige hatten die Minibar geplündert, andere betonten, wie angenehm es sei, in diesem ruhigen Hotel auf dem Land zu übernachten. Die Stimmung auf der anderen Seite des Tresens war offenbar gelassen. Bislang wurde niemand ausfällig oder beschwerte sich, dass das hier zu langsam ging.
»Wenn ich pünktlich gekommen wäre, hätte das auch nicht viel geändert, oder?«, fragte David seine Kollegin zwischen zwei Abrechnungen.
»Der Chef hat sich einfach verkalkuliert. Wir müssten viel besser besetzt sein.« Alina zwinkerte ihm zu. »Ich hab dich heute Morgen ganz früh gesehen.«
»Wann?«
Alina lachte leise. Sie umrundete den Tresen, nahm einem Gast den Koffer ab und ging mit ihm vor die Tür. Als sie zurückkam, hatte sie ein breites Grinsen im Gesicht.
»Ich hab das Frühstück vorbereitet«, flüsterte sie David zu. »Also war ich früh unterwegs. Der Transporter stand noch nicht vor der Tür und als du kamst, sahst du nicht aus, als hättest du viel geschlafen.«
»Ich habe lange aufgeräumt«, versuchte David sich zu erklären.
»Die Kolleginnen hast du aber um zwölf nach Hause geschickt.«
Sie zog fragend die Augenbrauen hoch. Wieder kamen Gäste, die auschecken wollten, sodass David in Ruhe über seine nächste Antwort nachdenken konnte.
»Sie waren doch gestern auf dem gräflichen Hof«, sagte jetzt eine Dame zu ihm. David erinnerte sich an das Gesicht. Sie war eine der Damen, die den Streit zwischen Sid und seinem Onkel mitbekommen hatten. »Man hatte den Eindruck, dass Sie Georg vermutlich recht gut kennen«, fuhr die Frau fort, während sie ihre Geldbörse aus der Handtasche zog. »Ich habe Sie immer wieder mit ihm zusammenstehen sehen.«
»Ich habe Herrn von Lehengrund zu Schallenberg erst ein paarmal getroffen«, gab David freundlich zurück.
Er wollte sich von der Dame nicht tiefer ein Gespräch verwickeln lassen, das nur unangenehm enden konnte. Doch die Dame sah das offenbar ganz anders.
»Nach all den schlimmen Erlebnissen in seiner Kindheit kann Georg sicherlich einen guten Freund brauchen.« Sie sah ihn neugierig an. »Sind Sie ein guter Freund?«
Innerlich stöhnte David. Was um alles in der Welt sollte er denn bitte dazu sagen?
»Hat Ihnen der Aufenthalt bei uns gefallen?«, versuchte er abzulenken.
Die Dame bestätigte, dass die Zimmer sehr ordentlich und das Frühstück durchaus akzeptabel gewesen seien. Sie war also offenbar Besseres gewohnt. Das wunderte David nicht, denn die meisten Gäste von Sids Geburtstag dünsteten Geld und Reichtum geradezu aus.
»Sie haben die Feier gestern wirklich ganz wunderbar organisiert«, fuhr die Dame unbeeindruckt von den hinter ihr Wartenden fort.
David dankte freundlich. Die Dame hatte bezahlt, alles war geregelt. Trotzdem schien sich noch nicht verabschieden zu wollen. Sie betrachtete David eingehend.

»Man hört ja so einiges über die Eskapaden des Jungen in London.

Er muss recht wild durch die angesagtesten Klubs gezogen sein.« Sie machte eine bedeutungsschwangere Pause. »Und seine Vorliebe für das männliche Geschlecht ist auch nicht zu übersehen.«
Sie lächelte David an. Und der lächelte professionell zurück. Langsam stieg ihm die Hitze ins Gesicht und er wollte diese Frau so schnell wie möglich loswerden. Doch die beugte sich jetzt vor und raunte ihm zu:
»Sie beide würden doch ganz wunderbar zusammenpassen, n’est-ce pas?«
David zuckte zusammen. Sah man ihm etwa an, dass er auf Jungs stand? Er versuchte doch alles, um das in der Öffentlichkeit zu verbergen. Also drückte er sein Kreuz durch und blickte der Dame höflich und direkt in die Augen.
»Ich bin verlobt«, sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken. »Das tut mir sehr leid für den jungen Grafen.«
Enttäuscht zog die Dame ihren Kopf zurück.
»Oh«, sagte sie. »Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«
Endlich verabschiedete sie sich und stolzierte mit ihrer Reisetasche in der Armbeuge auf den Ausgang zu. David atmete auf. Und er spürte Alinas Blicke von der Seite auf sich gerichtet.
»Du hast also lange mit Georg zusammengestanden?«, fragte sie amüsiert. »Wie lange denn? Bis um sechs?«
»Wir haben uns nur ein bisschen unterhalten.«
Wieder lachte Alina.
»Was man heute alles so Unterhalten nennt …« Sie boxte David leicht in die Seite. »By the way: Ich wusste gar nicht, dass du verlobt bist. Wer ist denn der Glückliche?«
David winkte genervt ab.
Als sie die Gäste eine Stunde später alle abgefertigt hatten, verzogen sich die beiden mit Kaffee hinter das Hotel. Alina steckte sich eine Zigarette an und blies gedankenverloren den Rauch in die Höhe.
»Was ist eigentlich damals bei diesem Unfall passiert?«, fragte David möglichst ungezwungen. »Irgendwie sprechen alle darüber, aber die meisten spekulieren einfach nur.«
Alina sah ihn amüsiert an.
»Du willst alles über ihn wissen, oder?«
»Mich interessiert das nur einfach. Mehr nicht.«
Alina dachte eine Weile nach, bevor sie antwortete.
»Ehrlich gesagt weiß ich auch nichts Genaues. Das ist alles ziemlich mysteriös. Das Auto ist von der Straße abgekommen. Das Wetter soll trocken und klar gewesen sein. Kein Nebel. Kein Regen. Und Tiere laufen hier selten über die Straße. Sie sind weiter oben in den Wäldern. Aber es war auch kein anderes Auto an dem Unfall beteiligt. Zumindest hat sich bei den Nachforschungen der Polizei nichts ergeben. Keine Zeugen. Und die Leute im Unfallwagen waren tot. Die konnten nichts mehr dazu sagen.«
Davids Handy brummte. Er zog es aus der Tasche und sah auf das Display. Eine Nachricht von einer unbekannten Nummer.
Wir sollten uns besser nicht mehr treffen. Tut mir leid. Sid.
Wortlos starrte David auf die Nachricht. Was hatte das denn jetzt zu bedeuten? Er kapierte einfach nicht, was in Sid vorging. Kälte auf seinem Rücken ließ ihn kurz zittern. Er tippte eine Antwort:
Was ist passiert? Macht dir dein Onkel Druck?
Die beiden Häkchen neben der Nachricht färbten sich umgehend blau. Sid hatte seine Message also gelesen. Für ein paar Sekunden tanzten die drei Punkte für eine neue Nachricht auf seinem Display. Doch es kam keine Antwort.
»Schlechte Nachrichten?«, erkundigte sich Alina und drückte ihre Zigarette aus.
Stumm schüttelte David den Kopf und steckte das Handy zurück in die Hose. Dann fiel ihm plötzlich ein, dass er Sid seine Nummer gar nicht gegeben hatte. Woher hatte er dann den Kontakt?
»Komisch«, murmelte er.
»Was ist komisch.«
»Ach … ich habe gerade eine Nachricht von jemandem bekommen, der meine Nummer gar nicht hat.«
Als es neben ihm stumm blieb, hob er den Kopf. Alina hatte einen knallroten Kopf bekommen und sah ein wenig betreten aus.
»Die Nachricht war von Georg, oder?«, fragte sie.
David runzelte die Stirn. »Wie kommst du darauf?«
»Er hat letzte Woche auf dem Frühlingsfest nach deiner Nummer gefragt. Und ich hab gedacht, ihr passt bestimmt gut zusammen. Also habe ich sie ihm gegeben.« Sie riss die Augen theatralisch weit auf. »Ich konnte ja nicht wissen, dass du verlobt bist.«
Sie lachte und ging dann an ihm vorbei zurück ins Hotel. David folgte ihr. Sie mussten das gesamte Hotel aufräumen, die Zimmer kontrollieren, sich mit der Putzfrau abstimmen und in der Küche die Berge an Geschirr vom Frühstück spülen. Damit war David in den nächsten Stunden beschäftigt und er kam gar nicht dazu, weiter nachzudenken. Zwar schoss ihm manchmal kurz die Nachricht von Sid durch den Kopf, aber weil er sich bei der Arbeit nicht durch seine privaten Angelegenheiten ablenken lassen wollte, hatte er das Handy im kleinen Aufenthaltsraum der Angestellten auf den Tisch gelegt. Manchmal war er versucht, nachzusehen, ob Sid ihm geantwortet hatte, doch er hielt sich zurück. Er hatte das Gleiche schon einmal mit Julian erlebt und wochenlang auf eine Antwort gewartet, die nie gekommen war. Das wollte er nicht noch einmal durchmachen. Auch wenn er heute Morgen so ein gutes Gefühl gehabt hatte. Er wollte keinem Kerl mehr nachlaufen. Dafür war er zu alt. Fand er.
Also nahm er sein Telefon erst ein paar Stunden später wieder in die Hand. Irritiert sah er, dass er zwölf Anrufe erhalten hatte. Aufgeregt entsperrte er das Display und hoffte, dass Sid sich gemeldet hatte und mit ihm reden wollte. Doch die Anrufe kamen alle von einer unbekannten Festnetznummer aus dem Dorf. Und David konnte sich nicht vorstellen, dass Sid vom Festnetz seines Onkels bei ihm angerufen hatte. Eine Nachricht hatte er auf der Mailbox, die er sofort abhörte.
Ihm schallte die aufgeregte Stimme seiner Nachbarin entgegen, die ihn fragte, wo er war, und ihn bat, dringend nach Hause zu kommen. Mehr hatte sie nicht in der Mailbox hinterlassen. Die Nachricht war eineinhalb Stunden alt und Davids Herz begann aufgeregt zu pochen. War zu Hause irgendwas passiert? Seine Mutter hätte der Nachbarin doch sagen können, dass er im Hotel war. Er rief die Nummer zurück, aber es ging niemand ans Telefon. Kurz überlegte er, seine Mutter anzurufen, doch ein vages Gefühl der Angst hielt ihn davon ab. Ganz so, als wollte er gar nicht erfahren, was so dringend gewesen war.
David verabschiedete sich schnell von den Kollegen, umging Konrad dabei geschickt, mit dem er noch gar nicht weiter über sein Zuspätkommen geredet hatte, und hetzte zu seinem Fahrrad. Beinahe wäre er mit dem Vorderreifen an einer Bordsteinkante hängen geblieben. Im letzten Moment wich er aus und bremste. Er musste die Ruhe bewahren, sonst würde er gar nicht zu Hause ankommen.

© Stephan Meyer, Köln 2022 – Alle Rechte vorbehalten


Das war das fünfzehnte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare. Ich freue mich auf deine Rückmeldungen.


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Dorfidylle #14

Konfrontation.

Nach zwei Stunden in seinem eigenen Bett riss der Wecker David um halb neun Uhr aus dem Tiefschlaf. Er fühlte sich wie gerädert, musste aber in einer Stunde schon wieder im Hotel sein. Schließlich würden Sids Gäste nach dem Frühstück auschecken wollen und David war an der Rezeption eingeteilt. Er ließ seinen Zeigefinger ein paar Sekunden über der Schlummer-Taste schweben, doch dann kroch er doch aus dem Bett. Er duschte schnell und stolperte danach zügig die Treppe runter, um wenigstens noch einen Kaffee trinken zu können, bevor er losmusste.
Er hatte allerdings nicht mit seiner Mutter gerechnet, die in der Küche auf ihn wartete. David sah auf den ersten Blick, dass es ihr nicht gut ging, konnte sich jetzt allerdings nicht um sie kümmern, weil er in ein paar Minuten das Haus verlassen musste, wenn er pünktlich im Hotel sein wollte.

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»Ich sehe dich ja gar nicht mehr«, beklagte sich seine Mutter und sah ihn müde an. »Arbeitest du so viel?«
Sie legte ihre Zeitschrift zur Seite, erhob sich schwerfällig vom Küchenstuhl und stellte David eine Tasse auf den Tisch. Als sie nach der Kaffeekanne griff, fielen David die beiden leeren Weinflaschen in der Ecke der Ablage auf. Gestern hatten die noch nicht da gestanden. Er setzte sich an seinen Platz. Seine Mutter reichte ihm die volle Tasse.
»Hattest du Besuch?«, erkundigte er sich und trank einen Schluck Kaffee.
»Nein, wieso?«
»Die Weinflaschen …«
Jetzt bemerkte er auch die rot unterlaufenen Augen seiner Mutter und ihren unsicheren Gang. Nein, sie hatte keinen Besuch gehabt. Sie hatte allein zwei Flaschen Wein getrunken. David stöhnte innerlich. Und seine Mutter, die kurz in eine Starre gefallen war, winkte betont lässig mit der Hand ab.
»Die räume ich gleich weg«, sagte sie und setzte sich wieder.
»Mama!«, sagte er leise. »Zwei Flaschen sind zu viel.«
In diesem Moment brauste seine Mutter auf. »Was soll ich denn machen?«, blaffte sie ihn an. »Ich sitze hier ja jeden Abend allein rum, während mein Sohn es noch nicht einmal für nötig hält, zum Schlafen nach Hause zu kommen!«
Überrascht starrte David seine Mutter an. Sollte er sich wirklich verteidigen? Er schluckte und stellte die Tasse auf den Tisch.
»Ich bin erwachsen und muss dir schon lange nicht mehr Bescheid sagen, wenn ich mal später komme. Außerdem habe ich dir ja geschrieben.«
»Irgendwann mitten in der Nacht! Und dann schleichst du dich still und heimlich früh morgens die Treppe rauf und denkst, ich kriege das nicht mit?«
Sie schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. Beinahe wären die Kaffeetassen dabei umgefallen. David zuckte erschrocken zurück.
»Ich habe gestern gearbeitet. Hast du das schon vergessen?«, sagte er.
»Willst du mir jetzt neben dem Alkoholismus auch noch Demenz anhängen?«
David vergrub den Kopf in den aufgestützten Händen und raufte sich die Haare. Er war diese Diskussionen so leid.
»Mama!«, sagte er ruhiger. »Ich will dir gar nichts anhängen.«
»Doch! Natürlich tust du das! Ständig kommst du mir mit deiner Psychoscheiße und willst mich zu irgendwelchen Ärzten schleppen. Ich mache das nicht mehr mit!«
Sie sprang auf und warf den Stuhl dabei um. Durch das Geschepper brachte sie sich allerdings selbst aus dem Takt und lehnte sich schwer auf den Küchentisch, anstatt – wie David befürchtet hatte – die Küche und damit ihn und das Gespräch zu verlassen. David stand auf, ging zu ihr, hob den Stuhl auf und schob sie auf die Sitzfläche. Dann legte er die Arme um ihren Oberkörper und drückte sie an sich.
»Ach Mama, das ist doch alles gar nicht wahr«, murmelte er in ihre ungewaschenen Haare. »Ich mache mir nur Sorgen um dich.«
Die Schultern seine Mutter zuckten leicht und sie schniefte.
»Wo warst du denn diese Nacht bloß? Ich hätte dich gebraucht.«
»Ich hab dir doch geschrieben, dass ich bei einer Kollegin übernachte.«
Fast hätte er gesagt, dass er bei einem Freund gepennt hatte, doch dann war ihm im letzten Moment eingefallen, was er ihr nachts geschrieben hatte. Seine Mutter nickte.
»Eine Kollegin also«, sagte sie. »Ist sie nett?«
»Es ist nicht das, was du denkst, Mama.«
Unter sich hörte er ein raues Lachen.

»Ich weiß doch, dass du auf Jungs stehst, keine Sorge.«

David löste sich aus der Umarmung und taperte erschöpft zu seinem Platz zurück. Er war es auch leid, gegen die Vermutungen seiner Mutter anzudiskutieren. Also ließ er es bleiben.
»Gestern war so ein Abend, da hätte ich Gesellschaft gebraucht.« Seine Mutter legte ihre Hände auf den Tisch und ließ den Blick auf ihnen ruhen. »Wenn du nicht da bist, dann fühlt sich alles so leer und sinnlos an.«
Endlich hob sie die Augen und sah ihren Sohn auf der anderen Seite des Tisches traurig an. David wurde unter ihrem Blick eiskalt.
»Ehrlich gesagt weiß ich nicht, welchen Sinn mein Leben noch haben soll, wenn du eines Tages ausziehst. Und das wirst du tun, denn irgendwann müssen alle Kinder einmal bei ihren Müttern ausziehen.«
Davids Mund wurde trocken. Er kannte diese Gespräche in- und auswendig. Aber er konnte doch nicht ewig mit seiner Mutter zusammenwohnen. Irgendwann musste er sein eigenes Leben leben. Den Job bei Konrad würde er nur für eine Übergangszeit machen, das war ihm in den vergangenen Tagen immer klarer geworden. Und wenn er eines Tages etwas Neues anfangen würde, dann würde er in dem Zusammenhang vermutlich auch umziehen. Er konnte sich den Arbeitsplatz nicht aussuchen, vor allem, weil es hier in der Umgebung einfach viel zu wenig Jobs gab.
»Wenn du mich allein lässt«, fuhr seine Mutter jetzt fort, »dann ist das wie damals, als mich alle verlassen haben.«
David schluckte schwer. »Was meinst du damit? Ich war doch immer da.«
Seine Mutter nickte. »Das warst du. Aber als du noch ganz klein warst, als wir hier im Dorf gewohnt haben, vor dem Umzug nach Berlin … Damals haben mich alle verlassen und mit der ganzen Verantwortung und der Last allein gelassen.«
Tränen flossen ihr jetzt wieder über die Wangen.
»Wer hat dich denn allein gelassen?«, fragte David. »Papa?«
»Der auch.«
»Und was für eine Last meinst du?«
Seine Mutter schwieg lange. Langsam versiegten die Tränen und sie wischte sich mit einem Küchentuch das Gesicht trocken.
»Willst du frühstücken?«, fragte sie und stand auf.
»Mama! Von welcher Last redest du?«
David trat wieder auf sie zu und hielt sie fest, als sie nach dem Brot griff. Einen Moment lang sahen sie sich in die Augen und David entdeckte in ihrer Tiefe Angst und Traurigkeit, die er in dieser Intensität lange nicht mehr bei ihr gesehen hatte.
»Mama!«, wiederholte er leise.
Doch sie schüttelte den Kopf und zog ihren Arm aus seiner Hand.
»Ich will nicht darüber reden. Okay?« Sie drückte ihn sanft von sich. »Ich kann nicht. Sonst kommt all das Dunkle von früher wieder zurück. Und das will ich nicht.«
»Ich verstehe nicht, wovon du sprichst«, sagte David verwirrt. »Was war früher so dunkel? Was ist damals passiert?«
Wieder schüttelte seine Mutter den Kopf. »Irgendwann erzähle ich dir das mal.« Sie setzte sich zurück an den Tisch und zauberte ein künstliches Lächeln auf ihre Lippen. »Was war das denn gestern eigentlich für eine Feier, bei der du so lange arbeiten musstest?«
Sie blickte ihn an, als wäre nichts geschehen. Als hätte sie nicht vor ein paar Minuten einen Suizid angedeutet. Als hätte sie David nicht mit Vorwürfen überhäuft und wieder einmal Verantwortung von ihm eingefordert. David sah sie erschöpft an und war ratlos, wie er reagieren sollte. Schließlich setzte er sich einfach wieder.
»Der Neffe des Grafen hat seinen einundzwanzigsten Geburtstag gefeiert«, erzählte er also und war froh, das Thema wechseln zu können. »Ich war ja zum ersten Mal auf da draußen auf dem Schloss und die haben echt alles aufgefahren, was ging. So viel Champagner habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Und das Buffet …« David unterbrach sich, weil er den entsetzten Gesichtsausdruck bei seiner Mutter entdeckte. »Mama? Was ist los?«
Seine Mutter war leichenblass geworden und hatte die Augen weit aufgerissen. David sprang auf und eilte auf sie zu.
»Was ist passiert?«, fragte er besorgt. »Willst du ein Glas Wasser?«
Er wandte sich um, schnappte sich ein Glas von der Spüle und ließ Wasser aus dem Wasserhahn hineinlaufen. Als er es seiner Mutter reichte, schien die sich jedoch schon wieder ein wenig gefangen zu haben.
»Ich wusste nicht, dass Georg wieder zurück ist«, murmelte sie. »Wie geht es ihm?«
Jetzt richtete sie die Augen auf ihren Sohn und nahm ihm das Glas ab. Sie trank in langen Zügen, bis es leer war. Dann platzierte sie es so vorsichtig auf dem Tisch, als wäre es aus feinstem Kristall.

»Du kennst Georg?«

»Natürlich kenne ich ihn. Er hat schließlich hier gelebt, als du geboren wurdest.«
Daran hatte David noch gar nicht gedacht. Aber sie hatte natürlich recht. Er selbst würde in einem dreiviertel Jahr einundzwanzig werden. Das bedeutete, dass er Sid unter Umständen als Baby begegnet war. David versuchte, sich zu beruhigen, obwohl sein Herz aufgeregt pochte.
»Er hat lange in London gelebt«, sagte er. »Seit ein paar Wochen ist er wieder hier.«
»Dann hasst er das Leben hier in der Provinz bestimmt«, mutmaßte seine Mutter.
»Bin ich ihm damals begegnet, als wir noch hier gelebt haben?«, fragte David möglichst ruhig.
Noch einmal kehrte die Blässe in das Gesicht seiner Mutter zurück. Sie nickte.
»Ihr wart an dem Abend zusammen bei Oma«, murmelte sie.
»An welchem Abend?«
»Als er seine Eltern verloren hat.«
Hätte sie David mit dem Nudelholz vor den Kopf geschlagen, dann wäre die Überraschung nicht heftiger gewesen. Völlig verstört starrte er seine Mutter an.
»Er war hier?«, stammelte er.
»Oma hat auf euch beide aufgepasst«, bestätigte seine Mutter noch einmal. »Meistens habe ich ihn genommen, wenn seine Eltern mal ausgehen wollten. Aber an dem Abend war ich selbst verabredet.«
Immer noch fassungslos suchte David nach Worten.
»Dann warst du sein Kindermädchen?«
Diesmal schüttelte sie den Kopf. »Ich habe nur auf ihn aufgepasst. Auf dem Schloss bin ich nie gewesen.«
»Wie war das in der Nacht?«, fragte David. »Was ist da passiert? Die Leute erzählen so viele Geschichten, da weiß ich gar nicht, was ich glauben soll.«
»Ich kann mich nicht mehr erinnern«, murmelte seine Mutter. Sie erhob sich und stellte das Glas in die Spüle. »Hast du oben noch Wäsche?«, fragte sie und ging in den Flur.
David eilte ihr nach.
»Mama! Was ist damals passiert? Kanntest du seine Eltern?«
Ruckartig wirbelte seine Mutter herum und sah ihn wütend an.
»Hör auf, mir Fragen zu stellen, die ich nicht beantworten will«, fauchte sie. »Was interessiert dich das überhaupt alles? Wirst du jetzt zu so einem Lästermaul, der sich über die Nachbarn im Dorf das Maul zerreißt?«
Das Gesicht seiner Mutter war verzerrt vor Wut.
»Ich …«, stammelte er. Er war kurz versucht, ihr zu sagen, wo er letzte Nacht war. Aber damit würde er ein Fass aufmachen, das zu groß für ihn war. »Ich wollte nicht … ach egal.«
Er wandte sich ab und zog sein Handy aus der Tasche. Es war kurz vor zehn. Er musste los, wenn er sich keinen Rüffel von Konrad einfangen wollte.
»Dann frag mich nie wieder danach!«, sagte seine Mutter noch einmal mit Nachdruck.
Danach stapfte sie die Treppe hinauf. David sah ihr perplex nach. Er musste diese Informationen erst einmal verarbeiten. Doch vorher stand die Arbeit im Hotel an. Also nahm er seine Jacke vom Kleiderhaken und eilte nach draußen.
Er sprang auf sein Fahrrad und raste los. Die Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf. Er hatte vor zwanzig Jahren mit Sid gespielt. Sie hatten also so etwas wie eine gemeinsame Vergangenheit. Das musste er ihm erzählen. Aber weshalb reagierte seine Mutter so gereizt auf das Thema? Was hatte sie damals erlebt, dass sie heute nicht darüber sprechen wollte? David konnte sich das nicht erklären.
Als er später die Gründe dafür erfuhr, machte das die Situation nicht einfacher.

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Das war das vierzehnte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare. Ich freue mich auf deine Rückmeldungen.


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Dorfidylle #13

Der Morgen danach.

David fuhr erschrocken aus dem Schlaf hoch und hatte keine Ahnung, wo er war. Sein Gesicht war nass und zwei schwarze Augen starrten ihn an. Bella! Sids Hündin schleckte ihm mit ihrer nassen Zunge über die Wange und jetzt wusste David auch, warum sein Gesicht so triefte. Erleichtert ließ er sich wieder auf die Matratze sinken.
»Bella!«, raunte er. »Lass das sein.«
Neben sich hörte er ein leises Lachen. David wandte den Kopf und sah Sid direkt vor sich.
»Bella weiß, was gut ist«, sagte Sid und wischte ihm mit dem Bettlaken über das Gesicht. »Du musst gehen, bevor mein Onkel aufsteht.«
Stöhnend drehte sich David zu Seite und tastete nach der Bettdecke. Draußen schien es noch dunkel zu sein und er wollte auf keinen Fall aufstehen.
»Dich könnte ich zwar durch den Lieferanteneingang schleusen, aber der Transporter steht noch in der Einfahrt. Den sollte mein Onkel besser nicht sehen.«

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Also richtete sich David auf und stellte die Beine auf den Fußboden.
»Warum eigentlich nicht?«, erkundigte er sich. »Du bist doch erwachsen und offenbar weiß er, dass du schwul bist.«
»Du kennst meinen Onkel nicht. Und ich bin leider abhängig von ihm.«
David versuchte immer noch, wach zu werden. Er zog das Handy aus seiner Hosentasche. Halb sechs. Das war einfach nicht seine Zeit.
»Und warum suchst du dir dann nicht einfach einen Job?«, fragte er weiter.
Als er sich umsah, blickte er in erschrockene Augen.
»Ich weiß ja noch gar nicht, was ich mit meinem Leben anfangen will«, antwortete Sid und eine steile Falte erschien zwischen seinen Augen.
»Du musst den Job ja nicht den Rest deines Lebens machen. Einfach erst mal nur, um eigenes Geld zu verdienen.«
»Ich weiß nicht … Ich hab doch hier alles. Warum sollte ich irgendeinen blöden Job machen?«
David wurde klar, dass er so nicht weiterkam. Er selbst hatte es immer vorgezogen, für das zu arbeiten, was er brauchte. Er hatte schon zu Schulzeiten immer irgendwo gejobbt. Werbung austragen, Hunde ausführen, solche Sachen halt. Nichts Aufregendes. Aber auf diese Weise hatte er sich beispielsweise das Geld für sein Fahrrad zusammengespart. Er zog sich widerwillig an. Die Klamotten stanken noch nach dem Schweiß der Arbeit. Auf dem Hemd entdeckte er einige Flecken. Als er in seine Schuhe schlüpfte, legte Sid ihm eine Hand auf die Schulter.

»Schön war´s mit dir«, sagte er.

David wandte sich zu ihm um und sie küssten sich zum Abschied.
»Findest du den Weg allein?«, fragte Sid und gähnte.
David hatte gehofft, Sid würde ihn wenigstens noch bis zur Tür bringen. Er nickte trotzdem, stand auf und kraulte Bella zwischen den Ohren, bevor er das Schlafzimmer verließ, durch das Wohnzimmer ging und die Tür zum Flur öffnete.
»Lass die Tür offen«, rief Sid. »Dann kann Bella im Haus herumlaufen.«
Bella begleitete David bis ins Erdgeschoss, blieb jedoch an der Tür stehen, als David nach draußen trat. Der Himmel färbte sich im Osten rötlich. Die Luft war frisch und es roch nach Frühling. Überall in den Bäumen zwitscherten Vögel und er sah ein paar Kaninchen auf dem Rasen vor dem Schloss sitzen, die sofort davon hoppelten, als er die Treppe herabstieg. David warf einen Blick zurück. Bella stand in der Tür, die er offengelassen hatte, falls sie auch ein wenig frische Morgenluft schnuppern wollte. Die Front des Gutshauses war dunkel. Die meisten Zimmer gingen vermutlich nach hinten zum Park raus. Sollte der Graf also wider Erwarten schon wach sein, würde er vermutlich gar nicht mitbekommen, dass David sich gerade aus seinem Haus schlich. Lediglich der Transporter – ein Diesel älteren Baujahrs – würde ihn unter Umständen verraten. Aber daran konnte David nichts ändern. Und letztlich war das auch nicht sein Problem, sondern das von Sid.
»Guten Morgen!«, schallte ihm vom Tor zur Landstraße eine laute Stimme entgegen.
David erstarrte. Graf Harald marschierte mit zügigen Schritten auf ihn zu.
»Guten Morgen«, antwortete David zögerlich.
Er wollte so schnell wie möglich hier weg. Bella stürzte die Treppenstufen herunter und sprang auf den Grafen zu, der sie mit einem knappen Befehl zurechtwies. Die Hündin beruhigte sich und trabte dann hechelnd neben ihm her. Als sie bei David ankamen, stoppte der Graf und fixierte ihn.
»Ich dachte, die Mitarbeiter von Konrad wissen, wie man sich verhält«, sagte er mit eisiger Stimme.
»Was meinen Sie damit?«, erkundigte sich David in einer Mischung aus Irritation und Rebellion.
Der Graf zog die Augenbrauen hoch.
»Ich ziehe es vor, dich hier nicht noch einmal zu sehen«, sagte der Graf und ging weiter. Im Vorbeigehen warf er David dann noch zu: »Ich werde mit Konrad darüber sprechen. Und ich bin sicher, du weißt, was das für dich bedeutet.«
David wurde kalt. Er hatte eine Ahnung, wie Konrad reagieren würde, wenn er erführe, dass David die Nacht bei Sid verbracht hatte. Über den Grund, warum er um diese Zeit noch hier auf dem Schloss war, gab es nicht viel zu spekulieren. Ihm lag auf der Zunge, noch etwas zu dem Grafen zu sagen, entschied sich dann aber, lieber zu schweigen. Er hatte Mist gebaut und jetzt musste er eben mit den Konsequenzen leben.
Bella war mit wedelndem Schwanz bei ihm stehengebleiben und sah ihn mit ihren dunklen Augen an. David streckte die Hand nach ihr aus, schreckte jedoch zusammen, als der Graf nach ihr rief und sie sich tatsächlich abwendete und hinter ihm her trottete. An einem der Fenster links oben nahm David eine Bewegung wahr. Kurz erhaschte er Sid hinter der Scheibe und gerade wollte er ihm zuwinken, doch da war das Gesicht schon wieder verschwunden. Vielleicht war Sid ja auf dem Weg zu ihm, um ihn zu unterstützen. Langsam ging David auf den Transporter zu. Doch Sid erschien nicht. Als er noch einmal zum Haus zurücksah, stand der Graf oben an der Balustrade der Treppe. Neben ihm hockte Bella. Sie wirkte auf die Entfernung wieder ziemlich bedrohlich und wenn David es nicht anders wüsste, hätte er vermutlich gehörigen Respekt vor ihr.
Er seufzte und schoss den Transporter auf. Innen roch es nach Champagner und Essensresten. David startete den Motor, warf noch einen Blick hinauf zur Tür des herrschaftlichen Hofes, er gab Sid noch eine letzte Chance, zu erscheinen. Doch als sich an der Situation nichts veränderte, wendete er das Fahrzeug und fuhr über den Kiesweg in Richtung Landstraße. Er wollte wenigstens den Wagen rechtzeitig abliefern, um Konrad nicht auch noch Gründe für eine Rüge oder sogar einen Rauswurf zu geben.

© Stephan Meyer, Köln 2022 – Alle Rechte vorbehalten


Das war das dreizehnte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare. Ich freue mich auf deine Rückmeldungen.


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Dorfidylle #12

Sid.

Zögernd folgte David Sids Aufforderung und trat wieder in die Eingangshalle des Schlosses. Und weil Sid ihm immer noch die Hand hinhielt, ergriff er sie unsicher. Die Handflächen schmiegten sich augenblicklich aneinander und David spürte das Kribbeln in seinem Arm so intensiv wie nie zuvor. Was tat er hier?

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Aber er kam nicht dazu, darüber nachzudenken, denn Sid zog ihn zu dem Gemälde, das David schon ein paar Stunden vorher bewundert hatte.
»Das Bild hat meine Mutter gekauft, als meine Oma noch lebte. Harald hat das Bild immer gehasst, weil es ihm zu modern ist. Er steht eher auf diese alten Schinken im Goldrahmen. Davon gibts hier im Haus massenweise.« Sie standen Hand in Hand eine Weile schweigend vor dem Bild. »Ich mag diese Leichtigkeit, die die Frauen ausstrahlen. Sie wirken wie Elfen.«
David räusperte sich, um sprechen zu können. »Wer hat das Bild gemalt?«
Sid lachte leise. »Ich habe keine Ahnung.« Er wandte David den Kopf zu. »Und ehrlich gesagt ist mir das auch völlig egal. Es erinnert mich an meine Mutter. Oder zumindest an all das, was ich mit ihr verbinde.« Traurigkeit mischte sich in seinen Blick. »Ich habe sie ja nie kennengelernt. Ich war damals ein Jahr alt. Alles, was ich von ihr weiß, stammt aus den Erzählungen meiner Verwandten. Und die sprechen nicht besonders positiv über sie.«
Hinter ihnen hüstelte jemand und David erschrak. Er rechnete schon damit, den Grafen wieder vor sich zu sehen. Als sie sich umdrehten, stand da jedoch nur Karl, der alte Hausdiener, und sah sie freundlich an.
»Soll ich die Tür schließen und die Lichter löschen?«, fragte er.
Sid nickte. »Vielen Dank! Ich hätte das sonst auch gleich selbst gemacht.«
»Brauchst du sonst noch irgendwas?«, fragte Karl weiter.
»Du kannst schlafen gehen. Wir kommen schon zurecht.«
Karl wandte sich mit einem »Gute Nacht« ab und ging auf die Tür zu. Er stockte aber auf dem Weg noch einmal und fragte über die Schulter zu ihnen hinüber: »Was machen wir mit Bella?«
»Wo ist sie?«, erkundigte sich Sid.
»Im kleinen Salon.«
»Ich lasse sie raus.«
Mit einem kurzen Nicken wandte sich Karl ab.
»Wer ist Bella?«, fragte David neugierig. »Hast du eine versteckte Schwester?«
Sid lachte. »Ich stelle sie dir vor. Komm!«
Er zog David von dem Bild weg auf eine der Türen zu, die tiefer in das Gutshaus hineinführten. Die Scharniere quietschten, als Sid die Tür aufdrückte und mit David einen düsteren Gang betrat. Hier hingen auch an der rechten Wand die Ölgemälde, von denen er vorher gesprochen hatte.
»Das sind alles Verwandte von mir«, berichtete er. »Aber ich habe keinen Bezug zu diesen Menschen.« Vor einem Bild stoppte er dann trotzdem. »Meine Oma.« Er zeigte auf das Bild daneben. »Und mein Opa. Die sind beide fünf Jahre vor meiner Geburt kurz hintereinander gestorben. Das sind die Einzigen, die ich gerne noch kennengelernt hätte. Außer meinen Eltern natürlich.«
Sie gingen weiter, an Bildern und Türen vorbei. Auf der linken Seite des Ganges reihten sich die Fenster der Hausfront auf. David war gespannt, was ihn erwartete. Hatte Sid tatsächlich eine Schwester? Und warum war die dann nicht bei der Feier gewesen? Irgendwie klang das schräg in seinen Ohren.
Vor einer Tür blieben sie stehen. Sid sah ihn grinsend an.

»Bist du bereit für Bella?«

»Ich denke schon.«
Sid klopfte sachte an die Tür, drückte die Klinke herunter und zog sie dann auf. Sofort stürzte ein riesiger Schatten aus dem dämmerigen Licht des Raumes. Ein Hund! David erschrak und stolperte zurück. Das Tier war riesig. David hatte noch nie einen so großen Hund gesehen. Ohne einen Ton von sich zu geben, umkreiste Bella Sid und schmiegte sich an ihn. Sie reichte ihm mit der Schnauze fast bis an die Brust, wenn sie zu ihm nach oben sah. Sid kraulte Bella im Nacken und zwischen den Ohren. Dem Tier schien das zu gefallen und es grollte leise vor sich hin. Bella hatte ziemlich struppiges, graues Fell und einen schmalen Körperbau. Die Bewegungen waren bedächtig und Bella schien trotz der enormen Größe ein ruhiges Tier zu sein. Dennoch wirkte sie ein wenig furchteinflößend, was vermutlich daran lag, dass sie wie ein zu groß geratener Wolf aussah. Deshalb wich David sofort ein paar Schritte zurück, als Bella sich plötzlich umwandte und langsam auf ihn zukam. Für einen direkten Kontakt fand er sie deutlich zu unheimlich.
»Bella!«, raunte Sid sofort. »Sitz!«
Augenblicklich setzte sich das Tier hin und betrachtete David eingehend. Das gab dem die Gelegenheit, Bellas Gesichtszüge wahrzunehmen. Sie war zwar groß und wirkte auf den ersten Blick schon fast furchterregend, aber ihre Augen strahlten reine Gutmütigkeit aus.
»Sie ist ein bisschen unterkuschelt«, sagte Sid lächelnd. »Karl ist heute Abend zwar ein paarmal bei ihr gewesen und hat sie auch einmal in den Park rausgelassen, aber eigentlich steht ihr in diesem Haus jede Tür offen.« Er trat neben die hechelnde Hündin. »Du kannst sie ruhig anfassen. Sie hat noch niemandem etwas getan.«
Als David langsam die Hand nach Bella ausstreckte, schob Sid nach: »Nur meine Tante hat sie mal in den Hals gebissen …« David stockte mitten in der Bewegung, doch dann lachte Sid wieder leise. »Das war ein Scherz.«
Nicht dass David das vollständig beruhigt hätte, aber trotzdem griff er in das Fell der Hündin. Es war weicher, als er gedacht hatte. Und Bella hielt es jetzt nicht mehr auf dem Hintern, sondern sie erhob sich und drückte den Kopf behutsam gegen seinen Oberschenkel.
»Was ist das für eine Rasse?«, fragte David, der sich langsam mit dem Tier anfreundete.
»Ein irischer Wolfshund. Eine der sanftesten Hunderassen. Und Bella ist die sanfteste von allen.« Sid blickte David in die Augen. »Sie schläft nachts in der Regel in meinem Bett.«
»Dein Bett muss riesig sein«, rutschte es David heraus.
»Ich kann es dir zeigen.«
David schoss die Hitze ins Gesicht. »Das wollte ich damit nicht sagen …«
Mit einem Lächeln auf den Lippen wandte sich Sid ab und schlenderte den Gang weiter hinunter. Bella richtete sofort den Fokus wieder auf Sid und trabte ihm hinterher. Etwas ratlos sah David den beiden nach, bevor er ihnen schließlich folgte.
Am Ende des Ganges führte eine weitere Treppe nach oben, die Sid nun mit Bella im Gefolge hinaufstieg. Bevor David die erste Stufe betrat, fragte er sich kurz, ob er wirklich Sids Schlafzimmer sehen wollte. Denn über den Ausgang dieser Tour durch das Schloss brauchte er nicht lange spekulieren. Er wischte den Gedanken zur Seite. Er wollte sich darauf einlassen, ganz egal, welche Konsequenzen das nach sich ziehen würde. Also stieg er die Stufen hoch.
Oben warteten Sid und Bella auf ihn. Wie in der Etage darunter erstreckte sich hier ein Gang mit Fenstern, die zur Vorderseite des Gebäudes hinausblickten. Allerdings waren hier die Bilder an den Wänden viel freundlicher als unten. Sid stellte sich an eines der Fenster und Bella setzte sich neben ihn auf den Boden. David trat neben die beiden. Unter ihnen lag der Vorplatz mit seinen Bäumen und Büschen, mit der bekiesten Auffahrt und dem Transporter mit der Aufschrift »Zum brüllenden Bullen«, den David eigentlich noch in der Nacht vor dem Hotel wieder abstellen sollte.
»Meine Eltern haben damals in diesem Trakt des Hauses mit mir gewohnt«, sagte Sid, während er Bella, die zwischen ihnen saß, den Kopf kraulte. »Drei Zimmer mit eigener Küche und großem Bad. Auf der anderen Seite in der gleichen Etage hat mein Onkel seinen Wohnbereich. Aber es gibt hier oben keinen direkten Durchgang.«
Nachdenklich blickte er aus dem Fenster. Nach einer Weile ließ er Bella los und legte seine Hand auf Davids. Angenehme Wärme strahlte von ihr ab.
»Dieser Unfall …«, sagte David zögernd, weil er nicht wusste, ob er mit Sid darüber sprechen sollte. »Was ist da passiert? Du hast deinem Onkel vorhin den Vorwurf gemacht, dass er Schuld daran war …«
Kurz zuckte Sids Hand, dann lag sie wieder ruhig auf Davids Haut.

»Mein Onkel hatte nichts damit zu tun«, sagte Sid. Er wandte sich David zu.

»Meine Eltern waren bei Freunden auf einem Geburtstag. Mein Vater ist gefahren, meine Mutter saß neben ihm und meine schwangere Tante saß hinten. Die Frau von Harald.« Er schien einen Moment lang nachzudenken. »Eigentlich weiß bis heute niemand so richtig, was passiert ist. Vermutlich ist ihnen ein Auto entgegengekommen. Aber einen Beweis gibt es dafür nicht. Mein Vater ist offenbar ausgewichen und von der Straße abgekommen. Sie sind mit einem der Bäume auf der Allee kollidiert. Kennst du das Kreuz und die Blumen an der Landstraße?« David nickte. »Meine Eltern waren wahrscheinlich sofort tot. Meine Tante ist gestorben, kurz nachdem die Polizei angekommen war.«
Die Wärme war aus Sids Hand gewichen und hatte einer leicht feuchten Kühle Platz gemacht. David spürte einen unangenehmen Schauder seinen Rücken heraufwandern. Er schluckte. In Sids Augen erkannte er tiefe Trauer.
»Wo warst du?«, fragte David leise.
»Meine Eltern haben mich manchmal bei einer Frau im Dorf untergebracht, wenn sie verabredet waren. Sie hat auf mich aufgepasst.«
»Und dein Onkel?«
»Der war auf einer Geschäftsreise im Ausland. Das ist alles, was ich weiß.« Sid zuckte mit den Schultern. »Komm, ich zeige dir mein Reich.«
Er drückte sich von der Fensterbank ab und schritt auf die einzige Tür des Ganges zu. Er zog sie auf, rief leise nach Bella und die trottete sofort an ihm vorbei. Sid machte eine einladende Geste und David trat ein.
Im ersten Moment konnte er kaum etwas erkennen, doch dann drückte Sid auf den Lichtschalter und ein weitläufiger Raum erwachte von Davids Augen zum Leben. Ein opulentes Sofa, zwei Sessel und ein Couchtisch, links eine Wand mit Bücherregalen, eine Staffelei in der Ecke, in der anderen ein Klavier. Auf der Stirnseite führten drei Fenster nach hinten hinaus, vor denen bodenlange Gardinen hingen. Nach rechts und links führten jeweils zwei Türen ab. David sah sich neugierig um, während er den erwartungsvollen Blick von Sid auf sich spürte. Die Türen rechts führten in ein weiteres kleines Zimmer mit einem Schreibtisch und vielen Regalen, das ebenfalls zum Park ausgerichtet war, und in ein geräumiges Bad ohne Fenster. Links ging es in eine kleine Küche, deren Fenster zur Seite des Hauses ausgerichtet war und in ein Schlafzimmer mit Fenstern sowohl nach hinten als auch seitlich. Tatsächlich dominierte ein riesiges Bett den Raum. David fühlte sich in dieser Wohnung sofort wohl. Die Einrichtung war nach seinem Geschmack und hochwertig, die Farben der Möbel, der Wände und Böden hell. David konnte sich sofort vorstellen, in diesen Räumen zu leben. Als er sich bei diesem Gedanken erwischte, lächelte er kurz.
»Dir scheint es hier zu gefallen«, sagte Sid grinsend. »Herzlich willkommen!«
»Der Stil deiner Räume unterscheidet sich deutlich vom Rest des Hauses.«
»Das ist weitgehend noch die Einrichtung meiner Eltern. Als sie gestorben waren, habe ich hier mit wechselnden Kindermädchen gelebt.« Er wies auf das Arbeitszimmer. »Die hatten da ihre eigene Kammer und mir gehörte der Rest. Etwas dekadent, finde ich.«
»War das die Frau, bei der du am Abend des Unfalls warst?«
Sid schüttelte den Kopf. »Die ist wohl kurz nach dem Unfall weggezogen.«
David wandelte durch das Wohnzimmer und blieb vor der Bücherwand stehen, die zwar von den zwei Türen zu Küche und Schlafzimmer unterbrochen, aber elegant um diese herumgebaut war. Er las einige der Titel, doch die meisten Bücher waren auf Englisch, ein paar auf Französisch, nur wenig deutsche waren darunter.
»Ich dachte eigentlich, dass du in London aufgewachsen bist«, sagte er schließlich.
Sid schnaubte durch die Nase. »Ich bin meinem Onkel offenbar jahrelang zur Last gefallen«, sagte er und setzte sich auf das Sofa. »Stell dir mal vor: Deine Eltern kommen bei einem Unfall ums Leben, dein Onkel nimmt dich zwar auf, kann aber im Grunde nichts mit Kindern anfangen. Die Kindermädchen haben ständig gewechselt. Mal waren es Au-pairs, dann irgendwelche Frauen aus den umliegenden Dörfern. Mich hat nicht interessiert, was mit ihnen passierte. Also habe ich mir alles erlaubt, was mir in den Kopf kam. Als ich zehn war, hat es meinem Onkel gereicht. Er hat mich zu seiner Schwester nach London geflogen und bei ihr abgeladen. Er ist noch am gleichen Tag wieder abgereist. Und meine Tante hat mich sofort in ein Internat gesteckt, weil sie mit mir auch überfordert war.«
»Dann hat deine Mutter also zwei Geschwister?«
»Eine Schwester in London und einen Bruder hier.«

»Warum bist du nicht England geblieben?«

»Schottland. Da war zumindest das Internat. Ich hab vor zwei Jahren das Abi gemacht und bin dann tatsächlich erst mal zu meiner Tante nach London gezogen. Aber die hatte ein Problem damit, dass ich nur Party gemacht habe. Also hat sie mich zurückgeschickt.«
»Aber du hättest doch trotzdem in London bleiben können. Du bist ja schließlich erwachsen.«
»Alles, was du hier siehst, gehört meinem Onkel. Ich selbst habe fast nichts. Meine Mutter hat nur ein bisschen Schmuck geerbt und den will ich nicht verkaufen. Damit käme ich auch nicht weit. Also war es das Einfachste, erst mal hierher zurückzukehren.«
Sid blickte nachdenklich zu David herüber. Der lehnte sich an das Bücherregal hinter sich. Zum ersten Mal verstand er Sid richtig. Das hörte sich alles ziemlich beschissen an. Immer hin und hergereicht zu werden, wechselnde Kindermädchen, keine festen Bezugspersonen und dann auch noch das Internat. Ihm huschte kurz eine Erinnerung an Julian durch den Kopf. Dem schien es im Internat ja recht gut zu gehen. Zumindest hatte er neulich keinen völlig unzufriedenen Eindruck gemacht.
David erhob sich vom Sofa und legte sein schillerndes Jackett ab, das er die ganze Zeit noch getragen hatte. David lächelte, als Sid es über die Rückenlehne eines der Sessel legte. Sid bemerkte seine Reaktion und grinste ebenfalls.
»Das hat meinen Onkel ziemlich geärgert«, sagte er.
»Magst du deinen Onkel nicht?«
»Doch, ich mag ihn schon. Ich habe nur keine besonders emotionale Bindung zu ihm. Und ich will seinen Ansprüchen einfach nicht ständig genügen. Ich will lieber mein eigenes Leben leben.«
Als Sid jetzt näher kam, bemerkte David, dass er bei der Arbeit heute Abend ziemlich geschwitzt hatte und nach Schweiß roch. Sid trat auf ihn zu und legte seine Hände auf Davids Hüften. Von ihm ging wieder der wohlige Geruch seines Parfums aus. Leicht vermischt mit einem vagen Duft nach Nelken.
Sid sah ihm direkt in die Augen. Dann näherte er sich ihm weiter und legte seine Lippen auf Davids Mund. Ein durchdringendes, angenehmes Kribbeln durchflutete David sofort von den Zehenspitzen bis in die Kopfhaut. Er öffnete seinen Mund und schob seine Zunge zwischen Sids Lippen. Sein Schwanz zuckte erwartungsvoll vor sich hin. Sie küssten sich lange und Sid drückte sein Becken an Davids Leiste, wo sich ziemlich schnell eine feste Erektion gebildet hatte.
Dann löste sich Sid langsam wieder von ihm und blicke ihn liebevoll an.
»Ich springe mal schnell unter die Dusche«, sagte er und strich David über die Wange. »Wenn du willst, dann kannst du auch duschen.«
David nickte. Das war wohl wirklich nötig.
Bevor er etwas sagen konnte, wandte sich Sid um, zog sich das Hemd über den Kopf, löste die Schleifen in den Schuhen, stieg hüpfend aus Hose und Socken und ließ die Shorts nach unten rutschen. Hinter ihm ahmte eine Spur aus Kleidung seinen Weg nach und die letzten zwei Meter bis zum Badezimmer legte er vollständig nackt zurück. David bewunderte den schlanken Körper mit den beiden Lendengrübchen und dem schmalen Hintern. Dann verschluckte das Bad den Anblick und David seufzte. Als das Rauschen der Dusche einsetzte, sackte er müde aufs Sofa, zog sein Handy aus der Hosentasche und checkte seine Nachrichten. Tomas hatte vor Stunden gefragt, ob sie morgen zocken wollten. Seine Mutter hatte sich erkundigt, wann er nach Hause komme. Und Kevin wollte wissen, wann er endlich mal wieder beim Training auftauchen würde. David schrieb erst mal nur seiner Mutter, damit sie sich keine Sorgen machte. Er teilte ihr mit, dass er bei einer Kollegin übernachten würde. Die anderen mussten bis morgen auf eine Antwort warten.
Die Dusche rauschte noch einen Moment, dann wurde sie abgestellt. Kurz darauf erschien Sid wieder in der Badezimmertür. Er rubbelte sich mit dem Handtuch die Haare trocken und war ansonsten nackt. David betrachtete ihn und ließ den Blick über den noch feuchten Körper wandern. Sids Bauch war flach, aber nicht übermäßig trainiert, seine Brust war nur leicht ausgeprägt und glatt, wirkte jedoch nicht rasiert. Die Schamhaare waren ordentlich gestutzt und der Schwanz leicht erigiert. Sid kam ein paar Schritte auf David zu, lächelte und warf ihm ein sauberes Handtuch zu.
Also legte David das Handy zur Seite und drückte sich vom Sofa hoch. Sid strich im Vorbeigehen wie zufällig kurz über Davids Oberarm und steuerte dann das Schlafzimmer an. David überlegte, ob er ihn nach frischen Boxershorts fragen sollte, verwarf die Frage dann aber sofort und machte sich auf den Weg ins Bad.
Das heiße Wasser der Dusche tat gut. Er seifte sich gründlich ein, um den Geruch der Arbeit und vor allem den Schweiß loszuwerden. Sein Schwanz regte sich wieder und schien sich auf das zu freuen, was vor ihnen lag. David beeilte sich nicht, sondern genoss den ersten Moment seit Stunden, in dem er ein paar Minuten für sich ganz allein hatte.
Sid lag nackt auf dem Bett und hatte David den blanken Hintern zugekehrt, als der das Schlafzimmer betrat. In seinen Händen hielt Sid sein Handy, checkte irgendwas bei Instagram, schaltete das Gerät aber sofort ab und legte es auf einer Kommode neben dem Bett ab, als David hinter ihn trat. Er verschränkte die Arme unter seinem Kinn und wandte David den Kopf seitlich zu. Bei dem reckte sich angesichts des nackten Mannes vor sich der Schwanz augenblicklich in die Höhe. Ein Moment der Scham wallte ihn ihm auf, denn Sid starrte die Erektion unverhohlen an. Schnell warf sich David neben Sid aufs Bett.
Er spürte die Wärme des nackten Körpers neben sich, er roch den Duft nach Shampoo und Duschgel. Und wieder ein Hauch von Nelken. Das schien Sids ganz eigener Körpergeruch zu sein. Er platzierte seine Arme so wie Sid unter dem Kinn und sie sahen sich an. Sids Mund umspielte ein zartes Lächeln. Er streckte eine Hand aus und wischte sanft über die empfindliche Hautpartie direkt unter Davids Auge.
»Ein Wimper«, flüsterte er und pustete sie von seinem Finger.
»Du musst dir was wünschen«, erwiderte David.
»Hab ich getan.«

»Was hast du dir gewünscht?«

»Das darf ich nicht sagen, sonst gehts nicht in Erfüllung.«
Sids Finger strich jetzt über Davids Augenbrauen, an seinen Ohren entlang, er schob eine Haarsträhne zur Seite und wanderte über den Hals bis zu Davids Schultern.
»Du bist anders als die anderen Jungs hier aus der Gegend«, sagte Sid. »Nicht so plump und emotionslos.«
»Ich habe bis vor zwei Jahren in Berlin gelebt«, antwortete David. »Aber ich weiß nicht, ob das emotionaler macht.«
Sid lachte leise. »Ich würde dich gerne streicheln. Überall. Darf ich?«
Davids Erektion drückte sich tief in die Matratze, als er nickte. Ja, das wollte er auf jeden Fall.
Also ließ Sid seine Hände über Davids Körper wandern. Er begann an den Schultern und Armen, erforschte den Rücken und die Seiten. Nach einer Weile erreichte er den Hintern, legte sich dann auf die Seite, um besser an David heranzukommen, reckte ihm dabei die Erektion entgegen, die David sanft berührte. Sid richtete sich halb auf, strich über die Oberschenkel, kehrte dann zum Po zurück und fuhr langsam in die Ritze. David öffnete seine Beine leicht und Sid tauchte dazwischen ein. Er erreichte die Rosette, die sich bei der Berührung sofort verkrampfte. Doch als Sid keine Anstalten machte, in sie einzudringen, sondern sie lediglich sanft mit den Fingern berührte, entspannte sich David wieder. Er schloss die Augen und gab ein paar wohlige Töne von sich.
Sid arbeitete sich allmählich wieder an Davids Körper aufwärts, fuhr ihm mit gespreizten Fingern von hinten durch die feuchten Haare, wanderte erneut über jeden Zentimeter Haut wieder herab bis zu den Kniekehlen, den Waden und den Füßen. David war noch nie so ausgiebig erforscht worden und genoss jede Sekunde. Immer wieder stellten sich seine Haare auf den Unterarmen auf, wenn Sid eine besonders empfindliche Stelle berührte.
Als Sid wieder an Davids Kopf angekommen war, drückte er sich von der Matratze hoch und legten sich auf Davids Rücken. Der fühlte die warme Haut auf seiner ganzen Rückseite, der spürte das Gewicht von Sids Körper, ein neuer Schauer durchlief ihn, als Sid seinen Schwanz zwischen seine Beine schob. Sid legte seine Lippen an Davids Ohrmuschel und sein Atem ließ diesen erzittern. Ganz langsam bewegte Sid sein Becken auf und ab. Seine Erektion drückte sich tief zwischen Davids Beine.
»Und jetzt die andere Seite?«, flüsterte Sid ihm ins Ohr.
Er verlagerte sein Gewicht ein wenig zur Seite, sodass sich David umdrehen konnte. Sein Schwanz reckte sich nach oben. Sid legte sich neben ihn und begann das gleiche Ritual, das er gerade an Davids Rücken durchgeführt hatte, nun im Gesicht, wanderte über den Hals und die Brust zum Bauch. Er umkreiste mit einem Finger den Bauchnabel, versenkte danach alle Finger in den gestutzten Haaren der Scham, umging die Erektion verführerisch langsam. Sids Finger strichen über die Schenkel und die Knie. Dann wanderten sie wieder aufwärts. Diesmal strichen sie zart über die Hoden, ließen sie den Schwanz nicht aus, sondern glitten über und den Schaft, bis sie die freiliegende Eichel erreichten. David stöhnte vor Begehren. Immer wieder glitt der Finger um den Rand der Eichel, strich über die Öffnung. Und dann schloss sich die Hand um die Erektion.
David streckte nun ebenfalls die Hand aus und ertastete Sids Schwanz, der warm pulsierte. Sid seufzte genüsslich. Mit langsamen Bewegungen begannen sie, sich gegenseitig zu befriedigen. Sie sahen sich an und wandten den Blick nicht ein einziges Mal ab. Mit jeder Minute wurden sie schneller und der Atem hektischer. David spürte es unter seinen Finger glitschig werden. Auch er selbst sonderte ein paar Lusttropfen ab. Und das Verlangen durchströmte ihn immer intensiver. Er merkte, dass er es nicht mehr lange aushielt.
»Ich komme gleich«, murmelte er erhitzt.
»Dann knie dich über mich«, flüsterte Sid. »Ich will, dass du auf mir kommst.«
David drückte sich hoch und setzte ein Bein zwischen Sids Knien ab. Er beugte sich vor, stützte sich mit einer Hand ab und umfasste beide Schwänze mit der anderen. Sid schob sein Becken nach oben. Ein dünner Schweißfilm bildete sich auf seiner Brust und seiner Stirn. Er war auch bald so weit.
David erhöhte das Tempo und rieb die beiden Erektionen aneinander. Wieder drückte Sid sein Becken in die Höhe. In David staute sich die Energie und er hielt den Atem an. Sid explodierte eine Sekunde vor ihm. Sein Schwanz zuckte und spritzte den Samen aus sich heraus. David spürte im gleichen Moment jeden Millimeter seines eigenen Samenleiters, als sein Sperma durch ihn hindurch schoss und in einer langen Fontäne aus seinem Schwanz heraus spritzte. Mit verkrampftem Köper wichste er weiter, abwechselnd ergossen sie sich auf Sids Brust und Bauch, bis die Eruptionen abebbten.
David hielt die immer noch steifen Schwänze in der Hand. Weiterhin floss in kleinen Konvulsionen Samen aus ihren Spitzen. Und immer noch flatterte sein Herz aufgeregt. Sid hatte die Augen nicht eine Sekunde geschlossen und sah ihn mit entrückten Gesichtszügen an. Die Haut seiner Wangen war gerötet. Auf seiner Brust vermischte sich ihr Sperma zu einem gemeinsamen See.
Vorsichtig löste David seine Hand von den langsam weicher werdenden Erektionen und senkte sich zu einem Kuss auf den Mann unter sich herab. Er ertastete die Lippen, schmeckte die Zunge und die abebbende Lust. Er legte seinen Oberkörper auf Sid ab und spürte den Samen auf seiner heißen Haut. Sid schloss seine Arme um David und drückte ihn zärtlich an sich.
Sie lagen noch lange wach und redeten leise miteinander. Sie strichen sich mit den Fingern über die weiche Haut und entdeckten die empfindlichen und die lustvollen Orte. Irgendwann schliefen sie ein.
David träumte von Julian. Er war plötzlich wieder mit ihm allein in Schweden, wo sie sich kennengelernt hatten. Doch Julian wich immer weiter vor ihm zurück. Was auch immer David tat, alles entfernte ihn immer weiter von Julian. Jeder Schritt, den er auf ihn zu machte, schien die Distanz zu vergrößern. David rief nach ihm, er bettelte und begann irgendwann, über den immer länger werdenden Steg hinter ihm her zu laufen. Aber er erreichte ihn einfach nicht. Entmutigt blieb er stehen, sah Julian nach, begann zu weinen. Er spürte die Tränen, die sein Gesicht benässten. Doch da war auch noch etwas anderes, nasses, das ihm wie ein Waschlappen durch das Gesicht fuhr.
Erschrocken fuhr David auf.

© Stephan Meyer, Köln 2022 – Alle Rechte vorbehalten


Das war das zwölfte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare. Ich freue mich auf deine Rückmeldungen.


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Dorfidylle - Der Fortsetzungsroman

Dorfidylle #11

Der 21. Geburtstag.

Die letzten Spuren des Frühlingsfestes waren gerade erst weggeräumt, als sich im Hotel schon die nächste Hektik ausbreitete: Der einundzwanzigste Geburtstag von Georg stand auf dem Plan. David hatte sich damit abgefunden, die Organisation vor Ort, im Schloss des Grafen, zu übernehmen. Alina unterstützte ihn, so gut es ging, doch sie war für den ganzen Samstag, an dem die Feier stattfinden sollte, im Hotel eingeplant, denn viele der erwarteten Gäste hatten sich im Brüllenden Bullen einquartiert, weil er nur zehn Minuten mit dem Auto vom Gut des Grafen entfernt lag und es darüber hinaus in der Gegend keine anderen adäquaten Unterkünfte gab. Sobald David den Gasthof mit den Hilfskräften, dem Buffet und den Getränken verließ, war er also auf sich allein gestellt. Und das machte ihn dann doch allmählich ein bisschen nervös.

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Mit Konrads Transporter fuhr er am späten Nachmittag durch das Eisentor der gräflichen Anlage und staunte. Er hatte das Schloss bislang nie richtig gesehen, denn es war von einer Steinmauer und zahlreichen hohen Bäumen umgeben, sodass es von der Landstraße kaum zu erkennen war. Jetzt nahm David zum ersten Mal die Pracht der Gebäude wahr.
Das Hauptgebäude erstreckte sich quer zur Einfahrt bestimmt über vierzig Meter Breite auf zwei Etagen. Es war hell gestrichen, grüne Fensterläden zierten die Fassade, das Dach war mit roten, bemoosten Schindeln gedeckt und eine steinerne Freitreppe führte zur reich verzierten Eingangstür hinauf. Der Platz davor war teilweise mit Kies betreut, der Rasen um das Gut wie auf einem Golfplatz sorgfältig geschoren und als David aus dem Wagen stieg, hatte er den Eindruck, vor einem Schloss aus dem siebzehnten Jahrhundert zu stehen.
Er wurde bereits erwartet. Der Graf selbst trat aus der Tür und sah missmutig zu ihm herab.
»Du bist spät«, rief er und verschränkte die Arme. »Was ist mit Konrad? Kommt der noch?«
David schnappte sich zwei Champagner-Kisten und marschierte auf die Treppe zu. Als er vor dem Grafen stand, erklärte er ihm, dass Konrad im Hotel mit den Gästen des Geburtstags zu tun habe. Ohne ein weiteres Wort wies der Graf ihn an, die Kisten zu öffnen, und er zog eine der Flaschen heraus.
»Die sind ja fast warm«, beschwerte er sich.
Seit drei Tagen hatten die Kisten im Kühlraum bei vier Grad gestanden und hatten sich auf dem kurzen Weg zum Schloss nicht merklich aufgewärmt. Doch David kapierte sofort, dass es gar nicht darum ging, sondern dass der Graf seine Rolle als Auftraggeber unmissverständlich klarmachen wollte. Also kommentierte David die Bemerkung nicht, sondern fragte lediglich, wohin er die Kisten bringen sollte. Der Graf grummelte irgendwas vor sich hin und rief dann seinen Hausdiener, der David in die Wirtschaftsräume führte.
Erst als David kurz darauf mit den nächsten Kisten aus dem Transporter erneut in die Eingangshalle des Gutes kam, fiel ihm das große Gemälde an der Stirnwand auf. Er blieb einen Moment lang stehen, um es zu betrachten. Zwei in wehende Kostüme gekleidete, fast nackte Frau tanzten miteinander und erinnerten David an die Kunstwerke der Moderne, die er in seiner Schulzeit kennengelernt hatte. Ihm gefiel das Bild sofort, auch wenn es nicht so richtig in dieses Gebäude und schon gar nicht zu der eigenartig verbitterten Art des Grafen zu passen schien. Aber David hatte nicht die geringste Ahnung, welcher Künstler das Gemälde gemalt haben könnte. Er sah sich kurz um und trat dann näher heran. Das war ein Original. Und David war davon überzeugt, dass es nicht billig gewesen war.
Hinter ihm kamen jetzt auch die Hilfskräfte herein, die mit separaten Autos gefahren waren. Sechs junge Frauen und zwei ebenfalls junge Männer aus der Region, die David nur flüchtig kannte. Er sagte ihnen, wohin das Essen und die Getränke gebracht werden sollten, und konzentrierte sich wieder ganz auf seine Arbeit.
Nach fast zwei Stunden hatten sie alles aufgebaut und die Gläser noch einmal nachpoliert. Die letzten Dekorationen fehlten noch zwischen den Platten mit Häppchen und als David auf die Uhr sah, registrierte er, dass ihnen nur noch fünfzehn Minuten blieben, bis die ersten Gäste eintreffen sollten. Er machte seinen Kolleginnen Dampf und lief auf dem Weg aus der Küche beinahe dem Grafen in die Arme. Der wich keinen Zentimeter zur Seite, obwohl David gerade mehrere Eiskübel für den Champagner in den Händen balancierte.

»Ist das alles, was du an Essen mitgebracht hast?«

fragte der Graf. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengezogen. »Ich hatte mehr in Erinnerung.«
»Ich kann noch mal bei Konrad anrufen, ob er etwas vergessen hat«, versuchte David zu beschwichtigen, wusste allerdings, dass das nicht der Fall war.
Der Graf winkte genervt ab. »Wenn sich dein Chef wenigstens mal selbst hierher bemühen würde. Aber seit ich ihn kenne, hat er mein Haus nie betreten.«
Davon hatte David schon gehört, hatte allerdings keine Ahnung, warum Konrad nie hierher kam. Im Grunde interessierte ihn das auch gar nicht. Er hätte lieber gewusst, wo Sid war. Also Georg. Er war immerhin der Anlass der Feier, aber David hatte ihn bislang noch nicht zu Gesicht bekommen. Er konnte nicht verhehlen, dass er neugierig auf den Neffen des Grafen war, denn schließlich hatte der vor einer Woche ziemlich unverhohlen mit ihm geflirtet.
In diesem Moment veränderte sich die Miene des Grafen schlagartig. Er lächelte, breitete die Arme aus und schritt zügig auf den Eingang zu. Dort waren die ersten Gästen erschienen, ein Paar, Mitte fünfzig, sie im eleganten Kleid, er im schwarzen Smoking.
Von diesem Moment an war David ununterbrochen unterwegs. Er wies seine Leute ein, die teils sichtlich überfordert damit waren, ein Tablett mit Champagnergläsern vor sich zu halten, und versuchte verzweifelt, all die Missverständnisse und Versäumnisse, die sein Chef ihm überlassen hatte, aus der Welt zu räumen.
Erstaunlicherweise waren die Gäste – von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen – alle mindestens fünfzig, ein paar sicherlich schon über achtzig. David wunderte sich, dass Sid in diesem Kreis seinen Einundzwanzigsten feierte. Damit hatte er nicht gerechnet. Und erst als sich der Eingangsbereich, in dem offenbar der zentrale Teil des Abends stattfinden würde, sichtlich mit Gästen gefüllt hatte, kam das Geburtstagskind selbst.
Sid erschien plötzlich oben an der breiten Treppe, die in die erste Etage hinauf führte, und fast wäre David das Tablett aus der Hand gefallen, als er ihn bemerkte. Das Geburtstagskind trug einen über und über mit Pailletten besetzten Anzug, hatte sich die Augen dunkel geschminkt und verharrte eine Weile in der abgehobenen Position, bis sich ihm alle Augen zugewandt hatten. Dann tänzelte er die Treppe herab.
»Die Jugend …«, murmelte ein älterer Herr neben David seiner Begleitung zu, hob dann allerdings die Hände und begann zu klatschen.
Trotz der Irritationen in den Mienen der Gäste fielen sie in den Applaus ein. Sie intonierten Happy Birthday und Sid schien die Aufmerksamkeit zu genießen. Er stolzierte an David vorbei, nahm sich elegant ein Glas von dessen Tablett, sah ihn jedoch keine Sekunde an, sondern marschierte einfach einmal quer durch die Halle, nur um dann durch den Haupteingang nach draußen zu gehen. David war ernüchtert, dass Sid ihn offenbar nicht erkannt hatte. Er beobachtete, wie der den Champagner in einem Zug trank und das leere Glas auf dem Tablett einer der Hilfskräfte abstellte. Dann verschwand er aus Davids Blick.
Nachdem nun die Hauptperson des Abends anwesend war, wenn auch nicht mehr im Haus selbst, sondern irgendwo draußen, änderte sich die Stimmung unter den Gästen. Bis gerade war die Lautstärke gedämpft gewesen, beinahe wie auf einer Beerdigung, doch der glitzernde Anzug von Sid, sein affektierter Marsch durch die Menge und seine offen zur Schau getragene Ignoranz den Gästen gegenüber, führte zu angeregten Gesprächen. David hörte Getuschel von allen Seiten. Die einen regten sich über Sids Auftreten furchtbar auf, die anderen waren belustigt.

»Bei der Vergangenheit ist das kein Wunder«

sagte eine mit goldenen Armreifen und einem sehr tief ausgeschnittenen Kleid behängte Dame um die sechzig. »Wenn ich mir vorstelle, ständig hin- und hergereicht zu werden und wenn ich wüsste, dass mich eigentlich keiner haben will, dann würde ich mich auch so verhalten.«
Ihr Begleiter im gleichen Alter und im steifen Anzug mit fest gebundener, grauer Krawatte wiegte den Kopf von recht nach links.
»Immerhin wird er das hier alles Mal erben«, sagte er. »Da könnte er sich seinem Onkel gegenüber ein bisschen dankbarer zeigen. Außerdem hatte ich nicht so viele Gäste bei meinem Einundzwanzigsten.«
Die Dame lachte laut auf. »Ist dir aufgefallen, dass er offenbar keine eigenen Freunde hat?« Sie breitete die Arme aus. »Alles nur Gäste seines Onkels. Durchschnittsalter siebzig.«
»Du übertreibst mal wieder, Darling!«
David konnte nicht verstehen, worüber sich die beiden weiter unterhielten, denn der Graf gab ihm ein Zeichen und David huschte in die Küche. Er zündete die einundzwanzig Kerzen der üppigen, dreistöckigen Torte an und balancierte sie in die Halle. Umgehend wandten sich ihm alle Anwesenden zu und applaudierten erneut. David war diese Aufmerksamkeit unangenehm, doch zum Glück stieg der Graf jetzt die Treppe ein paar Stufen hinauf und die Menge verstummte.
»Ich freue mich, dass Sie so zahlreich zum Fest der Volljährigkeit meines Neffen Georg erschienen sind«, sagte er mit fester Stimme, die die gesamte Halle ausfüllte.
Er dankte ein paar Gästen persönlich für ihr Erscheinen, sagte ein paar Worte zu Georg und dass er sich freute, ihn jetzt endlich wieder bei sich zu haben. David stellte in der Zwischenzeit die Torte an ihrem vorgesehenen Platz in der Mitte des Buffets ab und setzte ein freundliches Lächeln auf. Den Worten des Grafen folgte er nicht mehr, denn seine Sinne waren voll und ganz auf den Eingang fokussiert, wo Sid mit verschränkten Armen am Türrahmen lehnte. In seinem Gesicht spiegelte sich Geringschätzung und Langeweile. David verstand ihn nur zu gut. Wenn sein nächster Geburtstag in einem solchen Rahmen stattfinden würde, dann hätte er auch keine Lust, sich daran zu beteiligen. Sid griff nach einem weiteren Glas Champagner, hob es grüßend in die Höhe, als sein Onkel mit der offenen Hand auf ihn wies und nahm das Glas leerend den nächsten Applaus entgegen.

David fand die Situation von allen Seiten ziemlich peinlich.

Der Graf hatte offenbar seine Geschäftspartner und Freunde eingeladen, um sich im besten Licht und als Retter der Jugend zu zeigen. Sid trat der Feier mit Missachtung gegenüber. Das Buffet war für diesen Anlass extrem üppig und die Gäste völlig überaltert. Der Champagner floss in Strömen. Nichts davon konnte David anerkennen, aber er machte hier ja auch nur einen Job. Der Gastgeber war König. Und wenn der Gastgeber dann auch noch so einflussreich und wohlhabend war wie der Graf, dann wäre es vollkommen unangemessen gewesen, einen anderen Blick auf die Situation zu haben. Also drückte David seinen Rücken durch und umrundete das Buffet, denn just in diesem Moment eröffnete der Graf die Schlacht um das Essen.
Der Aufforderung seines Onkels, die Kerzen aus der Torte auszublasen und sich dabei etwas zu wünschen, erwiderte Sid mit einem schiefen Grinsen, goss sich das nächste Glas Champagner in den Mund und trat dann wieder auf die Freitreppe nach draußen.
Die Entrüstung des Grafen ging im Gemurmel der Gäste unter. Die unterteilten sich umgehend in zwei Gruppen: Einige Gäste hielten sich offenbar für zu kultiviert, um das Essen überhaupt wahrzunehmen, die anderen stürzten sich auf das Buffet, als hätten sie seit Wochen nichts mehr zu essen bekommen. David hatte alle Hände voll zu tun. Er erklärte die Häppchen, wies auf Soßen hin, legte Hummerstücke auf Teller, beschrieb, wie man die Schalen der Garnelen am einfachsten entfernte und musste immer wieder seine Hilfskräfte in die Küche schicken, um für Nachschub zu sorgen.
Als sich der größte Ansturm ein wenig gelegt hatte, konnte David einen Moment durchatmen. Er ließ den Blick über die Gästeschar schweifen. Er entdeckte tatsächlich nach einer Weile das Geburtstagskind. Sid wirkte schon deutlich angetrunken und kam auf das Buffet zu. Er fixierte David und zwinkerte ihm über die Köpfe der anderen hinweg zu. Dann hatte Sid ihn also doch erkannt. David nickte ihm zu und war gespannt, ob Sid mit ihm sprechen würde. Der schaffte es zwar bis auf zwei Meter an David heran, doch als er sich auf dem Weg ein weiteres Glas Champagner von einem Tablett nahm, trat sein Onkel an ihn heran und nahm ihm das Glas aus der Hand.
»Reiß dich zusammen«, zischte er seinem Neffen zu. »Das mache ich schließlich alles nur für dich.«
Sid brach in ein raues Lachen aus.

»Für mich?«, fragte er. »Doch wohl eher für dich.

Du suhlst dich in Dankbarkeit und Anerkennung für die Errettung deines verlorenen Neffen. Mit mir hat diese langweilige Party nichts zu tun.«
Der Graf packte seinen Neffen am Oberarm und zog ihn von den Leuten weg, die schon neugierig zu ihnen herübersahen. David erkannte in den Gesichtern der Gäste die Gier nach einem Skandal, über den sie sich die Mäuler zerreißen konnten.
»Diesen einen Tag machst du mit«, fauchte der Graf. »Das wirst du mit deinem Kinderhirn wohl noch hinkriegen.«
Wieder lachte Sid. »Ich bin jetzt selbst nach deiner Definition volljährig, schon vergessen?«
Er entzog sich dem Griff seines Onkels, wandte David den Kopf zu, zwinkerte ihm noch einmal zu und tauchte wieder in die Menge ein. Der Graf richtete seine Augen auf David und warf ihm einen grimmigen Blick zu. Schnell wandte sich David wieder dem Buffet zu.
Vor ihm luden sich gerade die drei Damen, die das Gespräch zwischen Onkel und Neffen so neugierig belauscht hatten, die Teller voll. Zum dritten Mal, wenn sich David nicht täuschte. Und er fing ein paar Satzfetzen ihres Gesprächs auf.
»Man hat damals keine Bremsspuren gefunden«, sagte die erste Dame. »Der Wagen ist einfach vor den Baum geknallt.« Sie neigte der Frau neben sich den Kopf zu und flüsterte: »Mein Mann war damals als einer der ersten an der Unfallstelle. Er hat mir erzählt, dass die Gräfin zwischen den Sitzen eingeklemmt war. Sie hat noch gelebt, konnte aber nicht mehr sprechen.«
Die dritte Dame im Bunde schon nun ihren Kopf zwischen die beiden anderen und tuschelte: »Man erzählt sich, dass die Schwester der Gräfin direkt durch die Windschutzscheibe geschleudert ist. Sie soll zwanzig Meter entfernt gelegen haben.«
Die zweite Dame, die offenbar diese Details zum ersten Mal hörte, schlug sich vor Entsetzen eine Hand vor den Mund.
»Das ist Unsinn«, sagte nun die Erste. »Die Gräfin ist an der Unfallstelle verblutet, das Kind in ihrem Bauch soll noch zwanzig Minuten gelebt haben. Die Schwester lag auf der Motorhaube. Aber sie hatte wohl eine so große Wunde am Kopf, dass …«
»Tante Ute!«, sagte in diesem Moment eine Stimme und die Frauen fuhren überrascht herum. Hinter ihnen lächelte Sid.

»Ich hoffe, ihr bekommt genug zu essen auf meiner Party.«

»Oh, mein Junge«, sagte die erste Dame und nickte Sid mit trauriger Mine zu. »Selbstverständlich. Das Buffet hast du ganz hervorragend ausgesucht.«
»Das war Onkel Harald«, sagte Sid. »Er hat das alles hier ganz allein geplant. Ich bin ihm so dankbar, dass ich wieder bei ihm leben darf.«
Die Tante nickte zustimmend. »Harald ist ein guter Mensch. Dass er dich damals sofort aufgenommen hat, rechne ich ihm heute immer noch hoch an. Ich hätte das nicht gekonnt. Also wenn mein Artur bei einem Unfall ums Leben kommen würde, dann wäre ich ja mit ganz anderen Dingen beschäftigt, als mich um ein fremdes Kind zu kümmern.«
Ein gespieltes Lächeln zog sich über Sids Lippen. »Na na, ganz so fremd war ich ihm ja nicht. Immerhin habe ich hier mit meinen Eltern gelebt.«
»Worüber dein Onkel bis zu dem Unfall alles andere als glücklich war«, mischte sich die dritte Dame ein, bekam dafür aber von der Ersten einen giftigen Blick zugeworfen.
»Meine Mutter und mein Onkel waren sich nicht ganz grün, das ist richtig. Immerhin hat er von meinen Großeltern alles geerbt und sie nur ein bisschen Schmuck.«
»Was hätte deine Mutter denn auch mit all den Gütern und dem Unternehmen anfangen sollen?«, fragte die Dritte. »Sie war ja Schauspielerin und hat in dieser kleinen Show gespielt. Das wäre nichts für sie gewesen. Und der Schmuck war bestimmt sehr wertvoll.«
Sid grinste, als er süffisant sagte: »Das klingt aus deinem Mund, als hätte meine Mutter in einer Peepshow als Stripperin getanzt.«
Er zog die Augenbrauen in die Höhe und fixierte die drei Damen der Reihe nach.
»Ach, Kindchen, so ein Unfug«, sagte die dritte Dame.
Doch David sah ihr an, dass sie genau das gemeint hatte.
»Wenn die Damen mich entschuldigen«, fuhr Sid jetzt fort. »Ich muss mich leider noch ein bisschen besaufen. Ich empfehle mich!«
Er schob sich an den dreien vorbei, die ihm etwas pikiert nach starrten, ging um das Buffet herum und trat neben David.
»Diese alten Zicken gehen mir total auf die Nerven«, murmelte er und griff an David vorbei nach der Champagnerflasche und einem Glas. »Was würdest du an meiner Stelle tun?« Er hob den Blick und sah David herausfordernd an. »Würdest du ihnen sagen, dass es total unangemessen ist, sich an meinem Buffet über den Tod meiner Eltern die Mäuler zu zerreißen und am Leid anderer Menschen aufzugeilen? Oder würdest du sie einfach vor die Tür setzen?« Er goss den Champagner in das Glas, bis es überlief. »Ich habe mich dafür entschieden, alles in diesem«, er blickte auf das Etikett der Flasche und nickte anerkennend, »ziemlich teuren Gesöff zu ertränken.«
Sid setzte das Glas an die Lippen und trank, ohne den Blick von David abzuwenden.

Hitze wallte durch Davids Körper.

In seinen Unterarmen kribbelte es und er spürte, dass er rot wurde. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er Sid antworten sollte. Aber vermutlich erwartete der auch gar keine Antwort. Wie zur Bestätigung leerte er das Glas, nur um es sofort wieder aufzufüllen.
»Georg!«, schallte die Stimme des Grafen von der Treppe zu ihnen herüber. »Komm her! Ich möchte dich jemandem vorstellen.«
Sid verdrehte die Augen, stellte die Flasche ab und drückte David das Glas in die Hand.
»Versprichst du mir, dass du mich mit Getränken versorgst?«, fragte er leise. David nickte leicht. »Dann sehe ich dich gleich in der Küche.«
Sid drehte sich um und schwankte auf seinen Onkel zu, der sie mit Argusaugen beobachtete. David betrachtete die Flasche und das Glas in seinen Händen, stellte schließlich beides unter den Tisch und wandte sich wieder den Gästen zu, die sich mittlerweile ganz auf die kleinen Gläschen voller Zitronencreme, Früchte und Zabaione konzentrierten. Schnell schwanden die Cremes in den gierigen Mündern und David nutzte die Gelegenheit, kurz in die Küche zu verschwinden, um Nachschub zu holen.
Er hatte das Tablett mit den Gläsern gerade erst auf dem Buffet abgestellt, als sich der Graf neben ihm aufbaute. Gereizt starrte er David an.
»Mein Neffe trinkt keinen Alkohol mehr. Immerhin ist er der Gastgeber.« Der Graf machte eine Pause, als wenn David den Sinn seiner Aussage erst verstehen müsste. »Ich gehe also davon aus, dass du ihm ab sofort jedes weitere Glas verwehrst.« Er bohrte seine Augen in Davids. »Haben wir uns verstanden?«
»Natürlich!«, schoss es aus Davids Mund, bevor er nachdenken konnte.
Was hätte er auch anderes sagen sollen? Dass Sid erwachsen war? Das spielte für den Grafen offensichtlich keine Rolle. Aber jetzt steckte David in einer Zwickmühle, denn Sid hatte ihn ja als persönlichen Champagnerlieferanten auserkoren. Und irgendwie reizte es ihn, zu beobachten, was Sid bereit war, dafür einzugehen. Andererseits hatte der Onkel die Macht, über Davids Wohl oder Wehe zu entscheiden. Wie oft hatte David in den letzten Wochen gehört, dass ohne den Grafen hier in der Region nichts gehe?
Harald Graf von Lehengrund zu Schallenberg wandte sich abrupt ab und ließ David mit dem Nachtisch allein. Der atmete erst einmal tief durch. Dann zog er sein Handy aus der Tasche um auf die Uhr zu sehen. Halb elf. Ein Blick in den Raum zeigte ihm, dass sich die ersten Gäste offenbar schon verabschiedet hatten. Länger als bis halb eins würde diese Party hier vermutlich nicht dauern. David räumte die geleerten Nachtischgläser auf ein Tablett und ging damit in die Küche. Die hatten doch alle einen Knall da draußen, war das Einzige, was ihm zu dieser Feier noch einfiel.
Im Grunde hätte er damit rechnen müssen, doch als ihn Sid in der Küche erwartete, war er doch kurz überrascht, ihn so schnell hier zu treffen. Sid lehnte an einer der Arbeitsflächen, plauderte mit dem Hausdiener Karl, der eine Zigarette rauchte, und wandte sich David sofort zu, als er hineinkam. Ein spitzbübisches Lächeln huschte über sein Gesicht.

»Hat mein Onkel dich abgefangen und dir verboten, mir Champagner auszuschenken?«

David setzte das Tablett auf der Ablage ab. »So in der Art«, bestätigte er.
»Aber ich verdurste!«, jammerte Sid dramatisch. Er legte Karl einen Arm um die Schultern. »Mein bester Kumpel hier will mir auch nichts mehr geben.«
Der Hausdiener zuckte mit den Schultern. »Du musst selbst wissen, ob du dich aus Protest gegen deinen Onkel abschießt und dafür morgen den Kater in Kauf nehmen willst.«
Sid stöhnte. Dann zog der den Arm zurück, drückte sich von der Arbeitsfläche ab und trat auf David zu. Er blieb so dicht vor ihm stehen, dass David Sids Atem an der Wange spürte. Wieder kribbelten seine Arme und durchdringende Wärme wanderte seinen Hals herauf. Er roch den Alkohol. Aber auch den Geruch eines Deos oder Eau de Toilette, der ihm sanft in die Nase stieg. Ein angenehmer Duft, ausgewählt, wenngleich sich David mit Parfums überhaupt nicht auskannte. Unvermutet sammelte sich bei ihm das Blut in der Körpermitte und sein Schwanz zuckte leicht. Verdammt!
»Gönnst du mir noch ein Glas?«, fragte Sid und klimperte mit den Augen.
David musste dieser Nähe entkommen, sonst würde das hier richtig schief gehen. Immerhin war Sid der Gastgeber, der Sohn des Grafen. Mit dem sollte sich David lieber nicht auf etwas einlassen, was er später bereuen würde. Aber er durfte es sich mit ihm auch nicht vollständig verscherzen. Das war David klar. Vorsichtig trat er einen Schritt zurück. Sid sah ihn enttäuscht an.
»Ehrlich gesagt, glaube ich auch, dass du schon genug hast«, sagte David behutsam. »Du willst ja nicht zwischen deine Gäste kotzen.«
Sid sah ihn einen Moment lang konsterniert an, dann begann er zu kichern.
»Was für eine fantastische Idee!«, jauchzte er. »Dann mal her mit der Plörre!«
Er wirbelte herum und scannte mit den Augen die Küche ab. Aber der Champagner war im Kühlraum nebenan. David fragte sich, ob Sid noch nie in dieser Küche gewesen war und daher nichts von dem Raum wusste, oder ob er auf naiv machte, um bei David irgendwas zu erreichen.
»Mir ist es ja egal«, sagte David. »Denk aber bitte auch an meine Leute da draußen. Die haben es nicht verdient, deine Kotze wegwischen zu müssen.« David trat auf die Kühlraumtür zu und zog sie auf. »Der Champagner ist übrigens hier!« Er wies in den von einer Neonröhre erhellten Raum hinein.
Sid machte ein paar Schritte auf den Raum zu, stockte dann aber und sah sich nach David um.
»Ok«, sagte er mit resigniertem Ton in der Stimme. Er kam wieder einen Schritt auf David zu. »Dann machen wir einen Deal: Ich trinke ab sofort Wasser. Aber wenn der Puff hier vorbei ist, dann stoßen wir beide draußen auf der Treppe zum Abschluss noch mit einem Glas Champagner an.« Er heftete seine Augen auf Davids Gesicht und streckte die Hand aus. »Einverstanden?«
David schlug ein. »Deal«, bestätigte er.
Karl drückte seine Zigarette aus und verließ kopfschüttelnd die Küche.
Sid warf David noch einen Blick zu, dann schlenderte er hinter dem Hausdiener her in Richtung Halle mit den Gästen. David verharrte in der Küche und fragte sich, was an diesem Abend noch alles auf ihn zukommen würde. Dann macht auch er sich wieder auf den Weg nach draußen.

Die letzten Gäste gingen tatsächlich schon um kurz nach zwölf. In der Zwischenzeit hatten David und seine Hilfskräfte bereits den größten Teil des Geschirrs über den Lieferanteneingang in den Transporter geladen. Nur der Tisch mit den Warmhalteplatten stand noch in der Halle. Um den Prozess nicht unnötig in die Länge zu ziehen, schleppten sie die Sachen durch den Haupteingang nach draußen und dann schickte David seine Leute nach Hause. Sie hatten genug geschuftet. Die verbleibenden drei Kisten mit Gläsern konnte er allein ins Auto bringen.
Er trug die Kisten nach draußen und als er die Heckklappe des Wagens zuschlug, bemerkte er Sid auf der Treppe. Er winkte David zu und rief:

»Du denkst doch an unsere Abmachung?«

»Ich bin gleich fertig«, rief David zurück.
Er wollte eine letzte Runde durch die Küche und die Halle drehen um zu kontrollieren, ob er nichts vergessen hatte. Also eilte er die Freitreppe hinauf, ging an Sid vorbei, der es sich auf der steinernen Balustrade bequem machte und traf in der Halle auf den Grafen.
»Ich habe dann wohl alles«, sagte David und ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Ich schaue auch noch mal kurz in der Küche nach und dann werde ich mich auf den Heimweg machen.«
Der Graf wirkte erschöpft und nickte. Er ging nach draußen zu seinem Neffen, während David in der Küche verschwand. Als er in die Halle zurückkam – er hatte nur noch ein leeres Glas gefunden – hörte er die Stimmen des Grafen und seines Neffen von draußen hereinschallen.
»Wie stellst du dir das vor?«, bellte der Graf gerade. »Du erscheinst in dieser albernen Jacke bei deinen Gästen, kippst dir den Champagner wie Saft in den Schlund und redest kein Wort.«
»Was hast du denn erwartet?«, blaffte Sid zurück. »Soll ich wie dein Schoßhündchen alles tun, was du verlangst? Das ist lächerlich!«
David stoppte kurz vor der Tür. In diesen Streit wollte er nicht hineinplatzen.
»Du bist jetzt erwachsen und musst endlich den Arsch hochkriegen!«, fauchte der Onkel. »Du hast genug Zeit in London verloren. Hier läuft das eben anders. Im Herbst beginnst du mit dem BWL-Studium und dann steigst du ins Geschäft ein. Dafür brauchst du Kontakte. Deshalb waren diese Leute hier. Sonst wird das nie was mit dir!«
»Hast du dich mal gefragt, ob ich das überhaupt will?«
»Du wirst das hier alles einmal von mir erben. Hast du das schon vergessen? Aber ich werde dich nur adoptieren, wenn du dich wenigstens ein bisschen bemühst. Die Zeiten des Schlendrians sind vorbei. Basta!«
»Aber ich brauche das alles gar nicht. Ich will dieses Haus nicht. Und nicht den Wald und auch nicht deine Unternehmen. Mach damit, was du willst.«
In der Stille, die jetzt einsetzte, hörte David den Grafen entrüstet schnauben.
»Von irgendwas musst du aber leben«, fuhr der Onkel etwas ruhiger fort. »Und deine Eltern hätten von mir erwartet, dass ich dich ins Familienunternehmen einführe.«
»Was meine Eltern gewollt hätten, steht hier nicht zur Debatte! Wenn du nicht so ein Arschloch wärst, würden die noch leben!«
»Lass die alten Geschichten ruhen. Du weißt genau, dass ich keine Schuld an dem Unfall hatte. Auch ich habe dabei einen großen Verlust erlitten.«
»Ich will leben. Und das kann ich auch ohne dein Geld.«
»Apropos leben: Du wirst sofort damit aufhören, meinen Namen hier in der Gegend in den Dreck zu ziehen!«
Sid lachte. »Was genau meinst du damit?«
»Du weißt genau, was ich meine!«
»Du sprichst davon, dass ich auf Jungs stehe und mich damit nicht verstecke?«
Sids Onkel grunzte zur Antwort.
»Komm klar!«, rief Sid. »Ich lasse mir von dir nichts vorschreiben.«
»Ich will nichts mehr davon hören!«, grollte der Graf. »Ich gehe jetzt ins Bett. Wir reden morgen weiter.«
Im nächsten Moment eilte er herein und rauschte an David vorbei, ohne ihn zu bemerken, weil der im Schatten hinter der Tür stand. Mit dem Grafen wehte ein kühler Lufthauch mit herein. David wartete einen Moment, bis der Graf verschwunden war, dann trat er aus der Tür des Schlosses heraus auf die Treppe. Sid lehnte an der Balustrade und blickte in den Park und die Nacht hinaus. David stellte sich neben ihn. Wieder nahm er Sids Duft wahr. Ein leichtes Kribbeln seiner Unterarme war die augenblickliche Reaktion seines Körpers darauf.

»Ist das mit Eltern auch so kompliziert?«, fragte Sid und wandte David den Kopf zu.

Dessen trauriger Blick irritierte David für einen Moment. Am liebsten hätte er die Arme um den Jungen neben sich geschlungen und ihn getröstet.
»Es ist anders«, sagte er leise.
»Lebst du noch bei deinen Eltern?«
David seufzte. Schwere Themen zu später Stunde. Das war eigentlich nicht so sein Ding.
»Meinen Vater habe ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Und meine Mutter ist krank.«
»Was hat sie?«
»Depressionen. Oder irgendwie so was in der Art. Ich bin kein Arzt.«
»Ist sie in Behandlung?«
David schüttelte den Kopf. Er wollte jetzt nicht über seine Mutter reden.
»Dann mache ich jetzt mal die letzte Flasche Schampus auf«, sagte Sid und grinste.
Er hockte sich vor der Balustrade auf den Boden und zauberte eine Flasche und zwei Gläser aus dem Schatten. Der Korken flog laut knallend in die Höhe. Der Champagner schäumte in den Gläsern. Sie stießen an und tranken. Der Champagner schmeckte köstlich. David hatte bisher nur Sekt getrunken und war begeistert von dem neuen Geschmackserlebnis.
»Und jetzt zeige ich dir das Haus«, beschloss Sid und schnappte sich die Flasche. Er ging in das mittlerweile dämmerige Licht der Eingangshalle hinein und als David ihm nicht sofort folgte, hielt er noch einmal inne und sah sich nach ihm um. »Komm!«
Er streckte die Hand nach David aus.

© Stephan Meyer, Köln 2022 – Alle Rechte vorbehalten


Das war das elfte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare. Ich freue mich auf deine Rückmeldungen.


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Dorfidylle - Der Fortsetzungsroman

Dorfidylle #10

Scheune.

David spülte die letzten Gläser und schob die Gedanken an Georg, der sich Sid nannte, endgültig zur Seite. Warum sollte er auch weiter über einen Typen nachdenken, der sich zwar an ihn herangeschmissen hatte, aber auf eigenartige Weise befremdlich wirkte? Nur weil er angeblich auf Jungs stand? Das war doch bescheuert! Statistisch gesehen traf das auf acht Prozent aller Männer zu. Und er konnte ja nicht allen Jungs geifernd nachglotzen, die einen Trigger bei ihm trafen. Damit machte er sich lächerlich.

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In der Gaststätte war auch nicht mehr viel los, sodass er Alina dort nicht helfen brauchte. Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten, David drückte dem völlig betrunkenen Konrad die Geldkassette in die Hände und beschloss dann, nach Hause zu gehen. Er war total erledigt und freute sich auf ein paar Stunden Entspannung und Ruhe.
»Hast du den Abend gut überstanden?«, fragte eine warme Stimme, als er durch den Torbogen am Ende der Zufahrt zum Hotel trat.
Alexander lehnte an der Hauswand neben dem Bogen und steckte sein Handy in die Hosentasche. Er wirkte angetrunken aber nicht ganz und gar hinüber, seine Haare waren leicht zerzaust und seine Augen glänzten im Licht der Straßenlaterne.
»Hast du auf mich gewartet?«, fragte David belustigt.
»Ich war auf dem Weg nach Hause und habe mir gedacht, ich schaue einfach noch mal bei euch rein. Aber dann habe ich gesehen, dass du tatsächlich schon Schluss gemacht hast. Und ich war mir nicht sicher, ob du dich einfach wieder klammheimlich vom Acker machst.«
Er lächelte süffisant.
»Warum sollte ich das tun?«, fragte David.
Alexander lachte. »Du hast neulich nicht mal auf meine Nachricht reagiert. Vielleicht brauchst du einen kleinen Anstoß, um dich an mich zu erinnern.«
David schwankte zwischen dem Wunsch, möglichst schnell ins Bett zu kommen, und dem Reiz, mit Alexander in die Scheune zu gehen, hin und her. Er war müde. Er hatte mit so vielen Menschen geredet. Er war den ganzen Abend über konzentriert und belagert gewesen. Doch je länger er den Winzersohn vor sich stehen sah, desto mehr sehnte er sich danach, in die Arme genommen zu werden. Also gab er sich einen Ruck.

»Zeigst du mir deine Arbeitsgeräte?«, fragte er schmunzelnd.

Alexander drückte sich von der Hauswand ab und schob David vor sich her. Er erzählte ihm von den besoffenen Jugendlichen, die an der Dorfkirche versucht hatten, Autos quer auf die Straße zu schieben. Was ihnen natürlich nicht gelungen war, weil sie sich kaum auf den Beinen halten konnten. David spürte Alexanders Hände auf seinem Rücken und bemerkte dessen angetrunkenen Gang. An der nächsten Kreuzung mussten sie abbiegen, um zum Winzerhof zu kommen, und Alexander hielt an und küsste ihn. Er drückte ihn gegen eine Hecke, in die sie beinahe hinein stürzten. Im letzten Moment bewahrte David sie davor. Er griff Alexanders Hand und zog ihn entschlossen hinter sich her.
Trotz des Frühlingsfestes trafen sie auf den Straßen keine Menschen mehr. Ländliche Sille hatte sich über allem ausgebreitet, der Himmel war klar und nur aus der Ortsmitte waren noch vage ein paar Stimmen zu hören.
Auch David hatte in der letzten halben Stunde seines Dienstes etwas mehr Bier getrunken, als er während er Arbeit hätte trinken sollen. Aber er hatte das gebraucht. Julian war immer wieder durch sein Hirn gegeistert und er wollte die Gedanken an ihn einfach nur noch loswerden. Während er jetzt Alexander hinter sich herzog und sie nur hin und wieder ein paar Worte wechselten, kamen die lästigen Erinnerungen wieder zurück. Was hatte er, David, sich bloß dabei gedacht, diesem Jungen aus dem Internat nachzuhängen? Veronika hatte vollkommen recht gehabt: Er hätte schon viel früher aufräumen sollen. Nicht erst jetzt. Er hätte sich einfach mit Julian treffen sollen, um mit ihm zu reden. Stattdessen hatte er sich in eine Fantasie reingesteigert, durch die er die Realitäten vollkommen aus den Augen verloren hatte.
»Was beschäftigt dich?«, fragte Alexander, der sich jetzt nicht mehr ziehen ließ, sondern neben ihm her ging. »Bist du einfach nur müde oder ist heute Abend irgendwas passiert?«
David hatte ihm nie von Julian erzählt und wollte jetzt auch nicht mehr damit anfangen. Das Thema war gegessen. Er wollte sich auf das Leben konzentrieren, statt sich wieder in seinen Gedankenspielen zu verirren.
»Kennst du Sid?«, fragte er also, um seine wahren Gedanken für sich zu behalten.
Alexander lachte laut auf. »Du meinst Georg Graf von Lehengrund zu Schallenberg? Den Knaben, der hier seit drei Wochen hechelnd durch die Gegend und mit jedem anzubändeln versucht, der unter fünfundzwanzig ist?«
David fühlte sich in seinem Urteil über Sid bestätigt. Auf unbestimmte Art hatte er das Gefühl gehabt, dass Sid gar nicht ihn speziell gemeint hatte, als er mit ihm geflirtet hatte, sondern dass er lediglich als Blitzableiter für unerfüllte Begehren herhalten musste.
»Eckt der damit nicht bei den Jungs hier an?«, fragte er. »Die haben bislang nicht den Eindruck auf mich gemacht, mit schwulen Männern besonders tolerant umzugehen.«
Alexander legte seinen Arm kumpelhaft um Davids Schultern und stützte sich ein wenig bei ihm ab.
»Offenbar gibt es Menschen, die sich das leisten können. Geld hat eine euphorisierende Wirkung.«
Erstaunt hielt David an. »Willst du mir erzählen, dass sich jemand darauf eingelassen hat?«
Taumelnd blieb Alexander vor ihm stehen. »Er sieht doch ganz sexy aus.«
»Hast du ihm das Versteck in deiner Scheune gezeigt?«
Bis gerade war David davon ausgegangen, dass er als einziger eine Ahnung von Alexanders Rückzugsraum und damit auch von seinen sexuellen Vorlieben habe.

»Bist du etwa eifersüchtig?«, lachte Alexander.

Er sah David im schwachen Licht der Straßenlaternen tief in die Augen. Dann trat er auf ihn zu und küsste ihn. Als er sich von ihm löste, sagte er: »Ich würde mich niemals auf diesen Jungen einlassen. Der ist viel zu jung für mich.«
Auch wenn David Alexanders Küsse mochte, wollte er dabei nicht an einen anderen denken und drückte ihn sanft von sich fort.
»Er wird in den nächsten Tagen einundzwanzig«, sagte er. »Damit ist er sogar älter als ich.«
»Dann hast du also mit ihm gesprochen und ihn ausgequetscht?«
David fasste wieder nach Alexanders Hand und sie gingen weiter.
»Er war vorhin am Bierausschank. Und wir haben kurz miteinander geredet. Aber dass er Geburtstag hat, weiß ich, weil er groß feiern wird. Konrad hat mir die Aufgabe zugeschoben, das Catering zu organisieren.«
Einen Moment trabte Alexander schweigsam neben ihm her. Ein Auto kam ihnen entgegen und sofort lösten sie ihre Hände voneinander.
»Einundzwanzig?«, fragte Alexander, als das Auto vorbeigefahren war. »Er wirkt deutlich jünger.«
»Vielleicht kommt das vom vielen Geld«, scherzte David.
»Die Leute erzählen ziemlich viele Geschichten über den Jungen. Er hat angeblich bis vor Kurzem bei seiner Tante, einer Schwester des Grafen, in London gelebt und soll da exzessiv durch die Klubs gezogen sein. Deshalb ist er hierhergeschickt worden. Aber er will sich offenbar nicht beugen und versucht, hier in der Provinz sein Londoner Leben weiterzuführen.«
»Irgendwie wirkte er ganz handzahm, als er vorhin bei mir an der Theke war.«
»Dann hat er dich also mit seinem Charme rumgekriegt?«
»Ich fand ihn ganz nett. Aber auch ein bisschen arrogant.«
Sie hatten den Hof erreicht und Alexander legte David einen Finger auf die Lippen. Ab hier mussten sie leise sein, weil Alexanders Mutter nie tief schlief und wenn sie ihr Geheimnis bewahren wollten, dann sollten sie verhindern, erwischt zu werden. Alexander blickte an der Fassade des Hauses hoch. Alle Fenster waren dunkel. Also zog er David hinter sich her über den Hof bis zur Scheune. Er drückte das Tor vorsichtig auf, um die Scharniere nicht zum Quietschen zu bringen, und David kicherte, als sie doch einen hellen Ton von sich gaben. Schnell zog Alexander ihn in die Dunkelheit und schloss das Tor wieder.

Wie beim ersten Mal standen sie zwischen den Treckern und Landmaschinen.

Die Wand mit den aufgestapelten Heuballen war links vage zu erahnen. Langsam gewöhnten sich Davids Augen an das fahle Licht. Alexander ging mit unsicheren Schritten auf das Heu zu, drehte sich um, als er sie erreichte und sah David herausfordernd an. Er zog sich das Hemd über den Kopf, stieg aus seinen Schuhen, schlüpfte aus Jeans und Boxershorts und stand nackt im schwachen Licht, das von einer der Lampen im Hof durch die Ritzen der Scheune zu ihnen hereinfiel.
Langsam trat David auf ihn zu. Er begutachtete den wohlgeformten Oberkörper, der registrierte die steil aufgerichtete Latte zwischen den muskulösen Beinen und mit einem Mal ärgerte er sich, diesen Mann in der letzten Zeit links liegengelassen zu haben.
Alexander lächelte verführerisch, als David bei ihm ankam. Er schob seine schwieligen Hände unter dessen Shirt, strich zart über Davids Haut und befreite ihn dann von dem überflüssigen Stoff. Davids Schwanz hatte sich in rekordverdächtiger Geschwindigkeit versteift und drückte von innen gegen die Hosen. Sanft legte Alexander eine Hand auf die Erektion. Er drückte seine Lippen auf die von David und forderte ungeduldig Einlass. Als David seinen Mund leicht öffnete, schmeckte er den Wein, er roch den Schweiß, gemischt mit dem Duft von Alexanders Shampoo, und griff mit seinen Händen nach dem knackigen Hintern. Sie drückten sich aneinander und bewegten die Hüften rhythmisch vor und zurück.
Schließlich entfernte sich Alexander ein paar Zentimeter von David, um sich an dessen Hosenknöpfen zu schaffen zu machen. Er knöpfte die Hose langsam auf, schob sie zusammen mit den Shorts runter und versenkte Davids Schwanz tief in seinem Mund. Ein Schauer des Wohlbefindens durchfuhr David. Er spürte die Lippen an seiner Eichel, stieß in den feuchten Rachen und fühlte die kräftigen Hände auf seinen Arschbacken. David stöhnte. Wieder und wieder bewegte sich Alexander an seiner Erektion auf und ab und trieb seine Lust konsequent auf den Höhepunkt zu.
David legte seine Hände auf Alexanders Kopf und drückte ihm sein Becken entgegen. Sie waren schon oft genug in dieser Scheune gewesen, um die gegenseitigen Vorlieben gut zu kennen. Und David wussten, wie sehr Alexander es liebte, seinen Schwanz im Mund zu haben. Er brauchte sich keine Gedanken darüber zu machen, dass einer von ihnen zu kurz kam. Nicht hier. Nicht wenn es um sie beide ging.
Aus den Augenwinkeln sah David, dass sich Alexander mit einer Hand an den eigenen Schwanz fasste und ihn rieb. Er spürte sein Herz pulsieren. Seine Hoden zogen sich langsam zusammen und er wusste, dass er das nicht mehr lange aushielt.
»Ich komme gleich«, murmelte er, ohne die Bewegungen seines Beckens zu unterbrechen.
Alexander fuhr noch ein paarmal mit dem Mund an seinem Schwanz auf und ab, dann löste er sich von David und nahm dessen Erektion in beide Hände. Er wichste ihn immer schneller und David spannte sich an. Tief in ihm staute sich die Energie, konzentrierte sich einzig auf seinen Körper und seine Lust. Er sah nach unten und blickte in Alexanders Augen, die auf ihn gerichtet waren. Er lächelte. Er wichste.

Und dann explodierte David.

Er schleuderte sein Sperma aus sich heraus und stöhnte laut. Sein Becken zuckte und in seinem Gehirn schienen alle Synapsen eine Party zu feiern. Alexander bewegte seine Hände weiter auf und ab. Wieder ergoss sich David. Heiß schoss der Samen durch seine Erektion und spritzte aus der Eichel heraus. Die Handbewegungen wurden ruhiger, ohne dass sich Davids Lust verringerte. Er streckte noch einmal das Rückgrat durch und kam bebend. Als er sein letztes Feuer verschoss, sah er an sich herab. Alexanders Gesicht war feucht von Davids Lust. Und er lächelte immer noch.
David sackte langsam im Stroh zusammen. Diesmal hatten sie es noch nicht einmal bis in die Tiefe der Höhle unter den Ballen geschafft, wo sie sich sonst liebten. Alexander legte sich mit dem Rücken auf einen der Heuballen und griff sich zwischen die Beine. David hockte sich auf Alexanders Oberschenkel und schob dessen Händen zu Seite. Jetzt war er dran. Er griff nach dem festen Schwanz und hielt ihn eine Weile einfach nur fest. Er spürte die Schwellkörper zwischen seinen Fingern pulsieren und strich sanft mit einem Daumen über die Öffnung am Ende der Eichel. Glitschiger Samen sickerte heraus und machte die Bewegungen schlüpfriger. Dann begann David, die Erektion zu bearbeiten.
Erstaunlicherweise wurde er selbst dabei sofort wieder hart und ging dazu über, mit je einer Hand eine der Erektionen zu bearbeiten. Er rückte noch ein wenig nach oben und umschloss schließlich beide Schwänze mit einer Hand. Alexander hob einmal kurz den Kopf. Ihm schien zu gefallen, was er sah und was David tat, denn er ließ den Kopf langsam wieder auf das Stroh sinken und schloss die Augen.
Die beiden Erektion fühlten sich in Davids Hand perfekt an. Er spuckte sich in die Hand, um die Bewegungen gleitender zu machen, und steigerte allmählich die Geschwindigkeit. Wieder spürte er die Lust im gesamten Körper und schneller, als er erwartet hatte, kündigte sich die nächste Eruption an. In seinem Rücken begann es zu kribbeln. In diesem Moment zuckte Alexander zusammen und spritzte seinen Saft in einer hohen Fontäne aus sich heraus. Und als er den zweiten Schub aus sich herausschleuderte, kam auch David erneut. Sie ejakulierten gemeinsam in zuckenden Bewegungen. David schloss die Augen und bestand für einen Augenblick nur noch aus Lust.
Als es vorbei war, ließ er sich neben Alexander auf den Heuballen sinken. Die Halme stachen ihn in die Seiten, doch das störte ihn nicht. Er strich über die behaarte Brust, verteilte ihrer beider Samen und schmiegte sich an die kräftigen Schultern neben sich. Alexander legte einen Arm um ihn und zog ihn nah zu sich heran. Eine Weile lagen sie so aneinandergeschmiegt und beinahe wäre David eingeschlafen.
»David?«, hörte er Alexander neben sich.
»Hmmm.«
»Sei vorsichtig mit diesem Typen.«
David brauchte einen Moment, um etwas mehr Klarheit in seinem Kopf zu versammeln und zu verstehen, von wem Alexander sprach.

»Sid?«
»Der ist nicht ganz richtig im Kopf.«

David stützte sich auf einen Ellenbogen auf und sah Alexander schmunzelnd an.
»Jetzt bist du eifersüchtig.«
Alexander lachte leise. »Ich weiß, dass du immer zu mir zurückkommst.« Dann wurde er wieder ernst. »Dieser Junge hat viel Scheiße mitgemacht. Du weißt, dass er seine Eltern bei einem Autounfall verloren hat, als er klein war?« David nickte. »Das ist zwar zwanzig Jahre her, aber das prägt einen Menschen. Er ist danach im Grunde von einem zum andern weitergereicht worden. Und er hat sich nie mit seinem Schicksal abgefunden.«
»Woher weißt du das alles?«
»Ich habe mein ganzes Leben hier im Dorf verbracht. Und ich erinnere mich an die Zeit, bevor er nach London geschickt wurde. Er hat draußen beim Grafen auf dem Gutshof gewohnt. Ich habe manchmal mit ihm gespielt.«
»Dann weißt du also doch, wie alt er ist!«
»Ich hatte das einfach vergessen. Aber gerade sind mir Situationen von damals wieder eingefallen. Ständig hat er irgendjemanden gequält. Andere Kinder, seine Kindermädchen, seinen Onkel. Und wenn kein Mensch da war, dann hat er Tiere gequält.«
»Aber das ist doch alles ewig her.«
Alexander nickte. »Ich wollte dir das trotzdem sagen.«
David lächelte. »Mach dir keine Sorgen. Ich laufe dir nicht weg.«
Mit ernstem Blick sah Alexander ihm in die Augen. David sah, dass er mit irgendwas haderte. Und er kannte ihn. Also wartete er geduldig ab, bis Alexander den Mund aufmachte.
»Ich habe in den letzten Wochen manchmal darüber nachgedacht, wie es wäre, richtig mit dir zusammen zu sein.« Er strich David zärtlich über den Rücken. »Und ich weiß, wie sehr du dich nach einer festen Beziehung sehnst.« Er machte eine Pause. »Wenn du das möchtest, dann können wir das versuchen.«
David schossen die Gedanken chaotisch durchs Hirn. Wollte er das? Konnte er eine Beziehung mit einem Mann hier in der Provinz führen? Welche Konsequenzen würde das haben? Doch das führte alles schon viel zu weit. Er betrachtete Alexander. In gewisser Hinsicht liebte er ihn. Er liebte sein Gesicht und seinen Körper. Er liebte seinen Schwanz, den Sex und die Gespräche mit ihm. Aber er war nicht in ihn verliebt. Zumindest nicht so, dass er sein Leben mit ihm verbringen wollte. Und jetzt bot ihm Alexander genau das an.
»Willst du das denn?«, fragte David vorsichtig. »Willst du mit mir zusammen sein?« Er hob die Hände und malte Gänsefüßchen in die Luft. »Bis dass der Tod uns scheidet?«
»Ich wäre echt sehr traurig, wenn ich dich verlieren würde«, sagte Alexander. »Und ich möchte dir einfach eine Perspektive bieten. Vielleicht verändert sich unsere Gesellschaft ja und wir werden auch hier respektiert.«
David nickte verstehend. Aber das war nicht das, was er wissen wollte. Also musste er das anders angehen.
»Ich wäre auch traurig, wenn ich dich nicht mehr hätte. Es tut mir sehr leid, dass ich mich in der letzten Zeit so weit zurückgezogen habe. Ich musste ein paar Dinge für mich klären. Jetzt bin ich wieder da.« Er überlegte noch einmal, ob er das nächste wirklich sagen sollte. Doch dann wurde ihm klar, dass es nicht anders ging. »Ich mag es, mit dir im Stroh zu ficken, mit dir zu reden und dich in den Armen zu halten. Aber ich will keine Beziehung mit dir führen.«
Einen Moment lang war es still und sie sahen sich einfach nur an. Dann zeichnete sich ein breites Grinsen auf Alexanders Gesicht ab.
»Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, das zu hören«, sagte er. »Wenn es nach mir geht, brauchen wir nichts zu verändern. Alles ist gut so, wie es ist. Vorausgesetzt, du ziehst dich nicht wieder zurück.«
Sie lagen noch lange auf den Heuballen und verbrachten viel Zeit damit, die in den vergangenen Wochen verpasste körperliche Nähe nachzuholen. Sie rieben sich aneinander, sie brachten sich zur Ektase, sie lästerten über die Menschen aus dem Dorf. Erst als sich ein Sonnstrahl oben im Giebel der Scheune abzeichnete, zogen sie sich an. Unter seinem rechten Fuß knisterte etwas. Er wischte mit den Zehen im Stroh hin und her. Eine offene Kondomverpackung. Wie kam die denn hierhin? Er hatte mit Alexander nie Kondome gebraucht. Er schob den Gedanken zu Seite, als Alexander ihm einen letzten Kuss gab. Kurz darauf schlich David über einen zugewachsenen Pfad hinter der Scheune fort und fiel zehn Minuten später erschöpft in sein Bett.
Sowohl Julian als auch Sid hatten sich aus seinem Gehirn davongestohlen. Für immer, davon war David fest überzeugt. Er vergaß dabei jedoch, dass er am kommenden Wochenende die Feier für Sid organisieren würde.

© Stephan Meyer, Köln 2022 – Alle Rechte vorbehalten


Das war das zehnte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare. Ich freue mich auf deine Rückmeldungen.


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Dorfidylle - Der Fortsetzungsroman

Dorfidylle #09

Frühlingsfest.

Veronika war noch am Nachmittag des gemeinsamen Internat-Besuchs in den Zug gestiegen, um rechtzeitig bei ihrem Treffen am Bodensee anzukommen. Und David war froh gewesen, Zeit für sich zu haben. Er hatte die Begegnung mit Julian erst einmal allein verarbeiten müssen. Gleichzeitig tat es ihm auch gut, viel arbeiten zu können. Die Abläufe im Hotel und der Gaststätte waren noch neu für ihn und nach der Arbeit war er immer völlig erledigt in sein Bett gefallen. Erst hatten ihn die Gäste des Internats, von denen einige im Brüllenden Bullen abgestiegen waren, mit ihren ausgefallenen Wünschen auf Trab gehalten, danach hatte die Vorbereitung für das anstehende Frühlingsfest viel Aufmerksamkeit verlangt. Eine Woche nach der frustrierenden Erkenntnis, dass Julian einen Neuen hatte und ihn offenbar nicht hatte erkennen wollen, bereitete David nachmittags den Außenausschank des Bullen vor der Gaststätte vor.

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»Schaffst du das alleine?«, fragte Alina, die aus der Gaststätte herauskam. »Keine Ahnung, wie Konrad sich das vorstellt, dir den Ausschank hier draußen ohne Unterstützung zu überlassen.«
Sie lehnte sich an die Theke und beobachtete, wie David das Bierfass an die Zapfanlage anschloss.
»Irgendwie werde ich das schon hinkriegen«, antwortete der, als er die Verbindung endlich fest verschraubt hatte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wo ist der Chef überhaupt?«
»Der sitzt drinnen mit dem Bürgermeister und trinkt schon sein drittes Bier.« Alina sah auf ihr Handy. »Ich denke, spätestens gegen fünf Uhr ist der voll.«
David sah sich in dem engen Raum um, der ihm zum Arbeiten zur Verfügung stand. Der Wein war da. Mehrere Sorten von Winzern aus der Region. Ihm fehlte lediglich noch der Sekt. Und die Preisschilder musste er aufhängen. Auch er sah auf die Uhr seines Handys. Kurz vor vier. Gleich ging es los. Und er kannte die Leute hier in der Umgebung: Die warteten nicht erst, bis es dunkel wurde, um sich zu betrinken.
»Bis wann haben wir eigentlich geöffnet?«, fragte er Alina und ihm wurde bewusst, dass Konrad ihm diese Information gar nicht gegeben hatte.
Alina lachte. »Theoretisch geht es bis um zehn. Hat mit den Lizenzen zu tun. Aber in der Praxis ist selten vor zwölf Uhr Schluss. Es sei denn, es fängt an zu regnen. Dann ist zumindest für dich hier draußen nichts mehr zu tun. Aber dafür wirds dann drinnen bei mir voll.«
»Ich komme dann rein und helfe dir.«
David goss sich ein Glas Cola ein und atmete noch einmal tief durch, bevor hier gleich die Hölle ausbrach. Er war natürlich in den letzten Jahren immer beim Frühlingsfest dabei gewesen. Als trinkender Gast. Neben dem Weinfest im Herbst was das die einzige Attraktion des Ortes und es gehörte zum guten Ton, sich als Jugendlicher vollaufen zu lassen, bis man in irgendeinem Vorgarten oder einer Scheune einschlief. Nicht selten in einer Lache der eigenen Kotze. Je älter die Leute hier wurden, desto weniger übergaben sie sich. Aber sie tranken trotzdem nicht weniger.
»Was mache ich am Schluss mit dem Geld?«, erkundigte sich David und hielt Alina noch einmal zurück, bevor er sie für die nächsten Stunden vermutlich nur noch im Vorbeigehen sehen würde, wenn er Getränke aus dem Kühlraum holen musste. »Wenn Konrad besoffen ist, dann sammelt er das bestimmt nicht ein, oder?«
»Keine Sorge, wenn´s ums Geld geht, ist der sofort wieder stocknüchtern.«
Alina zwinkerte ihm zu und steuerte die Gaststätte an, deren Tür weit offen stand. Im Hotel waren nach dem vergangenen vollen Wochenende heute nur wenige Gäste, die meisten gehörten irgendwie zum Dorf und hatten sich von auswärts zu Besuch kommend, gezielt für das Frühlingsfest eingebucht. Anderen Gästen wäre eine Übernachtung mitten im Partygetümmel wohl auch nicht zuzumuten.

Die ersten zwei Stunden verliefen erstaunlich ruhig. David konnte sich langsam an die Zapfanlage und das gleichzeitige Ausschenken von Wein und das Kassieren gewöhnen. Er hoffte, sich nicht allzu oft zu verrechnen. Aber letztendlich würde das sowieso niemand nachvollziehen können, weil er nur eine einfache Kassette für das Geld vor sich stehen hatte und keine Bons ausdruckte. Am Ende würde niemand wissen, wie viele Getränke er rausgegeben hatte, sondern lediglich das Geld in der Kasse würde Aufschluss über den Erfolg des Abends geben.
Alina kam noch einmal zu ihm nach draußen, um ihn zu fragen, ob alles in Ordnung war. David nickte. Mit fortschreitender Zeit hatte er zwar immer mehr zu tun, aber noch hatte er den vollen Überblick.


»Wenn dir irgendjemand blöd kommt, dann kipp ihm einfach ein Bier über den Kopf«, scherzte Alina. »Das wirkt in der Regel sofort.«

Immer mehr Leute sammelten sich nun nach und nach in dem Hof des Bullen. Am anderen Ende hatte der Metzger aus der Nachbargemeinde eine Grillstation aufgebaut und aus der Entfernung konnte David beobachten, dass ihm die Steaks und hausgemachten Würstchen quasi aus den Händen gerissen wurden. Das würde sich positiv auf die Mägen der Besucher auswirken, denn mit Fett im Bauch vertrugen sie den Alkohol besser. Trotzdem verloren die ersten Jüngeren aus dem Dorf schon das Gleichgewicht und einer von ihnen torkelte über die Wiese. David war sich nicht sicher, ob er ihnen überhaupt Bier ausschenken durfte, hatte aber auch keine Lust, sich mit einem von ihnen anzulegen. Und dem Chef war es erfahrungsgemäß völlig egal, wer seine Getränke konsumierte. Wer bezahlte, bekam, was er bestellte. Natürlich versuchte der eine oder andere von den Jugendlichen, die David alle kannten, ihm Freibier abzuschwatzen. Aber David war auf der Hut: Er rechnete jederzeit damit, dass Konrad hinter ihm auftauchen und ihn kontrollieren würde. Also lehnte er jedes Mal resolut ab.
Die Arbeitsfläche, der Holzboden unter seinen Füßen und selbst die Geldkassette schwammen nach ein paar Stunden in Bier und Wein. David schaffte es nicht mehr, über die Flächen zu wischen, und immer wieder standen Leute vor ihm und versuchten seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, indem sie mit Geldscheinen wedelten. Gegen acht Uhr erreichte der Abend seinen vorläufigen Höhepunkt und David verlor schließlich doch den Überblick.
»Machst du mir vier Bier?«, rief eine Stimme hinter ihm. »Und eine Cola mit Rum. Und eine Weißweinschorle.«
David drehte sich nicht einmal mehr um, denn vor ihm warteten schon weitere Kunden, die langsam ungeduldig wurden. Um den zu allen Seiten offenen Ausschank scharten sich bestimmt zwanzig Leute, die alle etwas zu Trinken haben wollten. David schwitzte, obwohl es spürbar kühler wurde, sein Nacken schmerzte und er wünschte sich nichts mehr, als einfach nur ein paar Minuten auf einem Stuhl zu sitzen und die Augen zu schließen. Aber das ging jetzt nicht.
Hinter sich hörte er die Luke zu seinem Verkaufsstand quietschen und er spürte, dass jemand neben ihn trat. David sah leicht gestresst zur Seite und da stand Alexander, den er im letzten Herbst auf dem Weinfest zum ersten Mal getroffen hatte. Er hatte die Ärmel seines karierten Hemdes bis zu den Bizepsen hochgekrempelt, die oberen drei Knöpfe standen offen und ließen den Blick auf die muskulöse Brust zu.
»Ich übernehme das hier«, sagte der Winzersohn gelassen zu ihm. »Mach du mal fünf Minuten Pause.«
Ohne eine weitere Reaktion von David abzuwarten, zapfte er vier Gläser Bier und reichte sie nach hinten.
»Weinschorle und Cola gibts erst in zehn Minuten wieder«, sagte er mit fester Stimme zu dem Gast. »Ich rufe dich dann.«
Offenbar akzeptierte der Gast die Ansage ohne Murren. Alexander trat wieder neben David und grinste ihn an.
»Danke!«, sagte David und fühlte sich augenblicklich besser. »Ich weiß nicht, was Konrad dazu sagt, wenn er dich hier sieht.«
Alexander zuckte mit den Schultern. »Als wenn mich das interessieren würde. Ich helfe dir jetzt und basta.« Er boxte David leicht in die Seite. »Geh du mal raus und hol Luft.«
Aber das war gar nicht mehr nötig. Solange David diesen Wahnsinn nicht allein ertragen musste, war das alles nicht so schlimm.
»Ich spüle die Gläser«, sagte er. »Das ist wie Meditation. Und dann kann ich gleich wieder voll einsteigen.«
Sie arbeiteten wie ein perfekt eingearbeitetes Team hinter der Theke und nach fünfzehn Minuten hatte Alexander den Stau abgearbeitet. Sogar Sonderwünsche gab er jetzt wieder raus. Als schließlich für einen Moment mal niemand etwas von ihnen haben wollte, lehnte sich Alexander an den Tresen, während David versuchte, die größten Bierlachen mit einem Lappen aufzuwischen.
»Du hast dich lange nicht mehr gemeldet«, sagte Alexander leise und sah ihn neugierig an. »Und ich war ein bisschen überrascht, dass du bei Konrad arbeitest. Hast du deinen Job also endlich geschmissen?«
In den ersten Monaten, nachdem sie sich über den Weg gelaufen waren, hatten sie sich mindestens einmal wöchentlich in der Scheune des Hofs von Alexanders Eltern getroffen. Das war eine irgendwie erfüllende Zeit gewesen. Und die körperliche Nähe zu dem gut gebauten Winzersohn hatte David über den Frust der blöden Erfahrung mit Julian hinweggetröstet. Doch gegen Ende des Winters hatten sich seine Skrupel gemeldet, sodass er Alexander mehr und mehr aus dem Weg gegangen war. Seit einer Woche wusste David nun, dass er sich die Skrupel hätte sparen können. Er hätte einfach in vollen Zügen leben sollen. Und Alexander war ein Mensch, der ihm das Leben spürbar einfacher machte, denn er stellte meist nicht viele Fragen.
»Ich hatte eine Menge mit mir selbst zu tun«, entschuldigte sich David. »Ich musste mit mir klarkommen und entscheiden, wie ich weitermache.«
»Ich hätte dich dabei unterstützen können«, sagte Alexander und streifte mit seinen Fingern wie zufällig über Davids Unterarm.
Das Kribbeln auf seiner Haut signalisierte ihm, wie sehr er diese Berührungen vermisst hatte. Zum ersten Mal seit Langem wurde ihm warm im Bauch. Keine Spur von klebrigem Teer.

»Ich glaube, das musste ich mit mir allein ausmachen.«

»Wie du meinst.«
Noch immer lächelte Alexander ihn an. Dann standen wieder Gäste vor ihnen und fast zwei Stunden lang hatten sie alle Hände voll zu tun. Im Vorbeigehen berührten sich ihre Hände manchmal und David fühlte sich trotz der vielen Arbeit und den immer betrunkener werdenden Kunden sauwohl. Sie gaben Getränk um Getränk heraus, wechselten sich beim Spülen der Gläser ab und als dann schließlich gegen halb zehn der Strom an Bestellungen nachließ, füllte Alexander zwei Gläser mit Sekt und reichte David eins davon.
»Auf die gute Teamarbeit!«, sagte er und sie stießen an.
Der Sekt stieg David sofort in den Kopf. Er hatte seit Stunden nichts gegessen. Aber das war ihm jetzt egal. Der große Ansturm war überstanden. Sie hatten es geschafft.
»Danke für die Hilfe«, sagte er. »Ich glaube, ab jetzt komme ich allein zurecht.«
Alexander nickte.
»Vermutlich bist du hier nicht vor Mitternacht fertig«, sagte er mit warmer Stimme. »Ich laufe ein bisschen durch den Ort und gucke mal, ob noch jemand meine Unterstützung braucht. Aber ich habe mein Handy in der Tasche und wenn du nach Feierabend nicht sofort in dein Bett willst, dann melde dich. Vielleicht kann ich dir dann noch anderweitig zur Hand gehen.«
Er zwinkerte David zu, leerte sein Glas, stellte es zu den anderen gebrauchten Gläsern und trat durch die Luke aus dem Getränkestand heraus. Er winkte David noch einmal zu, deutete mit der Hand eine Telefoniergeste an und tauchte dann zwischen den Leuten im Hof vor der Gaststätte unter. David sah ihm nach und war wirklich froh, Alexander zu kennen. Die Unterstützung heute Abend war perfekt gewesen. Und die Aussicht auf ein prickelndes Treffen im Stroh ließ die vor ihm liegenden Stunden leichter erscheinen.
Natürlich hatte David nicht nur einmal darüber nachgedacht, ob er mit Alexander nicht genau die Art von Beziehung führen könnte, die ihm vorschwebte. Etwas Festes, aber ohne zu offensichtlich zu sein, sodass die Leute im Dorf über sie zu reden beginnen würden. Vermutlich käme das auch Alexander sehr entgegen, der schließlich irgendwann den Hof seiner Eltern übernehmen und damit an diese ziemlich konservative Region gebunden war. Offen schwule Männer gab es hier eben nicht. Alles lief immer nur im Geheimen, so wie er es Viktoria erzählt hatte. Aber der große Haken an der Sache mit Alexander war: David war einfach nicht verliebt. Er mochte den Sex mit ihm. Er genoss es, danach mit ihm im Stroh zu liegen und zu reden. Vieles passte gut zusammen. Nur das Gefühl, das er mit Julian gehabt hatte, hatte sich bei Alexander einfach nicht eingestellt.
»Machst du mir ein Bier?«, fragte eine Stimme hinter David und riss ihn aus seinen Gedanken.
Er legte das Trockentuch, mit dem er gerade gedankenverloren ein Weinglas abgetrocknet hatte, aus der Hand und wandte sich der Stimme zu. Vor der Theke stand ein junger Typ, etwa zwanzig Jahre alt, glattrasiert, mit halblangen braunen Haaren und hellbraunen Augen. Er trug ein weißes Poloshirt und seine Lippen strahlten pure Erotik aus und sein Lächeln schien ihn geradezu schweben zu lassen.
»Oder machst du schon zu?«, fragte er und jetzt lächelten auch seine Augen.
David räusperte sich und schluckte seine Überraschung hinunter.
»Keine Sorge, ich bin noch eine Weile hier«, sagte er und griff nach einem Glas.
»Das beruhigt mich«, sagte der Typ und lehnte sich lässig an die Theke. »Die meisten hier sind ja ansonsten steinalt oder stockbesoffen. Du bist die große Ausnahme«. Er zwinkerte David zu.
Der setzte dem Bier noch eine schöne Krone auf und reichte es dann über die Theke.
»Was kriegst du?«
David winkte ab. Er hatte so viel Geld eingenommen, da spielte das eine Bier keine Rolle. »Lass mal«, sagte er. »Geht aufs Haus.«
»Vielen Dank. Trinkst du auch ein Glas?«
David füllte sich ein Bierglas zur Hälfte und hielt es dem anderen entgegen.

»Ich bin Sid«, sagte der.

Sie stießen an. »Ich hab dich hier im Ort noch nie gesehen. Aber ich lebe auch noch nicht lange hier.«
David erzähle, dass er im Nachbardorf lebte und seit Kurzem hier bei Konrad arbeitete. Auf die Frage, was Sid hier in die Gegend verschlagen hatte, antwortete der ausweichend. David hörte dabei heraus, dass er offenbar nicht ganz freiwillig hier war, etwas außerhalb lebte und dass ihn familiäre Gründe in die Gegend verschlagen hatten.
»Aber was macht ein gut aussehender Mann wie du hier in der Provinz?«, fragte Sid und lenkte damit unverhohlen von sich selbst ab.
David tat es gut, dieses Kompliment zu hören. Auch wenn er Sid überhaupt nicht einordnen konnte. Stand der auf Typen? Oder war er einfach nur wahnsinnig sympathisch? David umriss knapp, dass er vor ein paar Jahren aus Berlin hierhergezogen war und noch bei seiner Mutter lebte.
»Bei der Familie leben, ist nicht immer ein Segen.« Sid grinste. »Zum Glück gibt es hier in der Umgebung ja genügend Möglichkeiten, sich mal in Ruhe zurückzuziehen.« Er machte eine kurze Pause, sah David dabei belustigt an und nippte dann an seinem Bier. »Nicht dass ich das wirklich bräuchte, aber für den Fall der Fälle finde ich das ganz beruhigend.«
David wusste für einen Moment nicht, was er dazu sagen sollte. Sid flirtete mit ihm. Er konnte sich nicht so sehr täuschen. Und Sid reizte ihn tatsächlich. Viel intensiver als Alexander, der durch die körperliche Arbeit deutlich kräftiger war. Sid ganz war anders. Zierlicher, schmaler, jungenhafter. Aber zugleich hatte er auch etwas distanziert Arrogantes an sich, das David nicht genau greifen konnte.
Ausgerechnet in diesem Moment zeigte sich Konrad zum ersten Mal an diesem Abend und steuerte mit leicht schwankendem Gang auf David zu. Als er Sid bemerkte, ging ein leichter Ruck durch seine Körper, er bemühte sich sichtlich um Haltung, trat dann neben ihn und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter.
»Guten Abend junger Mann«, sagte er. David hörte ihm den Alkohol deutlich an. »Mach unserem Gast doch noch ein Bier«, sagte er zu David. »Besondere Gäste trinken bei uns natürlich aufs Haus.«
David zapfte das Bier, machte seinem Chef auch eins und reichte die Gläser weiter. Sid zwinkerte ihm verschwörerisch zu und stieß dann mit Konrad an.
»Wie geht es deinem Onkel? Ist er mit den Vorbereitungen zufrieden?«
»Alles läuft wie geplant«, bestätigte Sid und nickte. »Nur die Getränke sind noch ein offener Punkt.« Sid wies auf die Weinflaschen hinter David. »Das Zeug wirst du bei uns doch wohl nicht ausschenken.«
»Natürlich nicht!«, ereiferte sich Konrad sofort. Er beugte sich fast unterwürfig zu Sid vor und flüsterte: »Das ist hier fürs einfache Volk.«
»Das beruhigt mich.«
Konrad warf David einen Blick zu und sagte dann: »Der Herr trinkt natürlich den Rest des Abends auf meine Kosten.«
»Verstanden«, sagte David.
Sid sagte nichts dazu, lächelte bloß in sich hinein. David fand das irgendwie eigenartig, sagte aber lieber nichts dazu. Konrad zog sich taumelnd zurück und Sid wandte sich mit einem leisen Stöhnen David wieder zu. Der hoffte, jetzt ein bisschen mehr über Sid zu erfahren, den sein Chef so umgarnte, wurde aber von einer Frau in seinem Alter daran gehindert, weitere Fragen zu stellen. Sie tauchte unvermittelt neben Sid auf und legte ihm einen Arm um die Schultern.
»Schäkerst du schon wieder mit Fremden?«, fragte sie und sah David dann neugierig an. »Ich bin die Anstandsdame dieses jungen Herrn und muss ihn dir jetzt leider entführen.«
Sid verdrehte die Augen und ließ sich dann von seiner Freundin von David fortziehen, ohne den eines weiteren Blickes zu würdigen. Leicht verwirrt sah David den beiden nach. Er hätte wirklich gerne mehr über ihn erfahren. Vor allem, ob Sid einfach nur unsicher war, ob er diese leichte Überheblichkeit, die er Konrad gegenüber an den Tag gelegt hatte, immer ausstrahlte oder warum er sonst so ambivalent auf David wirkte. Aber wenn er sich nicht ganz täuschte, dann würden sie sich sicherlich noch mal über den Weg laufen.
»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte Alina, die überraschend neben ihn trat. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass sie in der Nähe war. Sie sah in die gleiche Blickrichtung wie David und brach in Lachen aus. »Ich verstehe.«
»Wer ist das?«, fragte David. »Ich hab den noch nie gesehen.«
»Das ist Georg. Der Neffe des Grafen.«
»Er hat gesagt, er heißt Sid.«
»Er hasst seinen richtigen Namen. Deshalb nennt er sich Sid.«
»Wie dieses Faultier aus Ice Age?«
Alina nickte. »Die Mädels hier in der Region beißen sich die Zähne an ihm aus. Alle wollen mit ihm ausgehen. Aber er lässt sie eine nach der anderen abblitzen.«
»Warum?«
Alina zog dramatisch die Augenbrauen hoch.
»Was?«, fragte David.
»Der Junge ist schwul.« Alina steckte sich eine Zigarette an. »Probier du es doch mal bei ihm. Vielleicht hast du mehr Erfolg.«
Gerade wollte David zu einem Dementi ansetzen. Doch dann winkte er innerlich ab. Warum sollte er sich denn noch weiter verstellen? So lange keiner damit hausieren ging, konnte er nur gewinnen. Glaubte er zumindest.

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Das war das neunte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare. Ich freue mich auf deine Rückmeldungen.


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Dorfidylle #08

Tag der offenen Tür.

Weil David am späten Nachmittag im Hotel eingeplant war, machte er sich schon um elf Uhr mit Veronika zu Fuß auf den Weg zum Internat. Er war sich absolut nicht mehr sicher, ob seine Entscheidung, richtig war, zum Tag der offenen Tür zu gehen, um Julian zu sehen. Mit jedem Schritt, den sie dem Institut näher kamen, wurde er hibbeliger. Bereits, als sie das Ortsschild seines Dorfes passierten, stoppte er und sah Veronika verzweifelt an.

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»Das ist eine bescheuerte Idee«, sagte er. »Lass uns zurückgehen.«
Veronika lachte. »Das fällt dir jetzt erst auf?« Sie packte ihn am Arm und zog ihn weiter. »Du hast beschlossen, dahin zu gehen, also gehen wir.«
David zierte sich noch einen Moment, doch dann gab er nach.
»Du hast ja recht«, sagte er. »Vielleicht ist er gar nicht da. Oder er ist fett geworden.« Er grinste schief.
»Auf die Idee, dass er sich freuen könnte, dich zu sehen, kommst du nicht, oder?«
David schwankte in seiner Vorstellung, wie Julian auf ihn reagieren könnte, zwischen den Extremen hin und her. In einem Moment stellte er sich vor, Julian könnte in Tränen ausbrechen und auf ihn zustürzen und sie würden danach nahtlos dort anknüpfen, wo sie letztes Jahr in Schweden aufgehört hatten. Aber dann wurde er von dem Bild in seinem Kopf überwältigt, Julian würde ihn wüst beschimpfen und vor allen Anwesenden bis auf die Knochen bloßstellen. Vielleicht hatte Julian auch für sich festgestellt, dass er gar nicht auf Jungs stand, und David war für ihn damals nur ein Experiment gewesen. Oder er war gar nicht mehr in dem Internat. Sie hatten sich ja schließlich acht Monate lang nicht gesehen. In der Zeit konnte viel passiert sein.
»Er wird dir schon nicht den Kopf abreißen«, versuchte Veronika ihn zu beruhigen, die offenbar mitbekam, dass seine Gedanken gerade Amok liefen. »Du redest einfach ein paar Sätze mit ihm und danach guckst du mal, wie sich das Ganze entwickelt.«
Sie gingen nebeneinander auf dem Radweg, der parallel zur Landstraße verlief, und Veronika quetschte David nach des Details des vergangenen Sommers aus. Und David erzählte ihr, wie er sich sofort in Julian verknallt hatte, als sie an dem Steg in der schwedischen Einsamkeit mit den Kanus angelegt hatten, um ihn nach Trinkwasser für ihre Tour über die Seen zu fragen. Veronika war zwar selbst bis zum nächsten Morgen dabei gewesen, aber sie hatte damals gar nicht mitbekommen, was in David vorgegangen war. Sie betonte, sie habe sich bloß gewundert, als er mit ziemlich fadenscheinigen Argumenten darauf bestanden hatte, nicht mit der Gruppe den See weiter nach Norden hinaufzufahren, sondern bei diesem damals völlig fremden Typen zu bleiben. Als David ihr von der Gewitternacht erzählte, in der er endlich den entscheidenden Schritt in Julians Richtung gewagt hatte, bekam er eine Gänsehaut. Das war einer der schönsten Momente in seinem Leben gewesen.
»Als ihr nach ein paar Tagen wieder aufgetaucht seid, um mich einzusammeln, ist für mich die Welt zusammengebrochen«, sagte er. Und er fühlte erneut den Schmerz, der ihn beinahe verrückt gemacht hatte, als er in das Kanu gestiegen und Julian nach zehn unvergesslich schönen Tagen den Rücken gekehrt hatte. »Ich hätte einfach bei ihm bleiben sollen«, murmelte David. »Aber ich habe mich nicht getraut, zu ihm zu stehen.«
Veronika betrachtete ihn eingehend von der Seite.
»Das ist jetzt acht Monate her?«, fragte sie. David nickte. »Und du hast ihn nie im Internat besucht?«

»Er hat doch den Kontakt abgebrochen, nachdem ich ihm das bescheuerte Angebot gemacht habe, eine offene Beziehung zu führen.«

Eine Weile gingen sie wortlos nebeneinander her.
»Was ich nicht verstehe«, sagte Veronika, »warum bist du nicht einfach zu ihm gegangen und hast versucht, mit ihm zu reden?«
David stoppte. Hatte er sich so unverständlich ausgedrückt?
»Er wollte mich nicht mehr sehen!«, sagte er gereizt.
»Das habe ich kapiert. Und jetzt sind wir trotzdem auf dem Weg zu diesem Internat.« Veronika betrachtete ihn nachdenklich. »Warum jetzt? Warum hast du das nicht schon vor acht Monaten getan?«
»Vielleicht, weil ich es einfach satthabe, mir über ihn Gedanken zu machen«, platzte es aus David heraus. Er atmete tief durch und beruhigte sich wieder. »Ich habe so viel über ihn nachgedacht. Ich habe mich so oft verflucht. Dabei habe ich noch nicht einmal mehr sein Gesicht so richtig vor Augen. Mein Handy war damals kaputt. Deshalb habe ich kein einziges Foto von ihm. Ich habe gar nichts. Nur die Erinnerung. Und das beschissene Gefühl, alles falsch gemacht zu haben.«
Veronika nickte.
»Dann willst du eigentlich für dich überprüfen, ob du ihn überhaupt noch liebst?«
»Natürlich liebe ich ihn!«, fauchte David. Doch dann überlegte er. War das überhaupt richtig? »Ich liebe die Erinnerung an ihn. Aber ich weiß einfach nicht mehr, ob diese Erinnerung mit der Realität übereinstimmt. Wenn ich mich früher in der Schule in einen Jungen unglücklich verknallt hatte, dann konnte ich jeden Tag checken, ob diese Gefühle noch da waren. Ob sie noch echt waren. Ich brauche den Typen nur sehen und entweder passierte etwas in mir oder eben nicht. Irgendwann war das dann immer plötzlich vorbei. Bei Julian hatte ich diese Möglichkeit nicht, weil ich ihn einfach nicht mehr gesehen habe. Das will ich heute endlich ändern, auch wenn ich ein flaues Gefühl im Bauch habe.«
»Dann lass uns weitergehen und das Ganze möglichst schnell hinter uns bringen«, sagte Veronika. »In einer Stunde bist zu schlauer.«
»Und unglücklicher …«
Sie boxte ihn freundschaftlich in die Seite und fast wäre David in den Graben neben dem Radweg gefallen. Veronika lachte ihn aus, weil er sich so einfach aus der Spur bringen ließ. Sie reichte ihm die Hand und sie gingen weiter.

Ein paar Hundert Meter weiter entdecke David unvermittelt das weiße Holzkreuz an der Unfallstelle, wo vor zwanzig Jahren drei Menschen ums Leben gekommen waren. Er starrte auf die andere Straßenseite zu dem Kreuz hinüber.
»Was ist das?«, fragte Veronika.
David erzählte ihr, was er von dem Unfall wusste, und sie liefen über die Straße, um sich das Kreuz genauer anzusehen. In einer Vase davor standen frische Blumen. Eine kleine Plakette auf einem Stein neben dem Kreuz erinnerte an die Unfallnacht und die Menschen, die an dieser Stelle gestorben waren.
»Ich habe neulich von diesem Ort geträumt«, sagte David und erzählte Veronika von seinem eigenartigen Traum.
»Glaubst du, dass du Julian verloren hast?«, fragte sie. »Wenn er in deinem Traum gesagt hat, dass du auf dem richtigen Weg bist, dann brauchst du ihn vielleicht gar nicht mehr, um glücklich zu sein.«
Nachdenklich sah David auf das Kreuz vor sich. Möglicherweise hatte Veronika recht. Dann war es im Grunde auch gar nicht mehr nötig, diese Straße weiter zu gehen, um Julian zu treffen. Er ließ den Blick über die Blumen in der Vase und den Baum dahinter schweifen. An der Rinde waren tatsächlich noch Spuren von dem Aufprall des Autos zu erkennen. Er bückte sich und strich mit den Fingern darüber.
»Kann es nicht sein, dass die Wunden, die das Leben hinterlässt, nie ganz verheilen, wenn man sich nicht ordentlich um sie kümmert?«, fragte er.
Als er mit dem Finger an das blanke Holz kam, das durch die damals verletzte Baumrinde hervorblitzte, meinte er, ein Stück scharfes Metall zu ertasten.

»Wenn die Splitter tief in der Wunde stecken, dann muss man sie doch herausholen, sonst bleiben sie für den Rest des Lebens in deinem Körper und verursachen jedes Mal Schmerzen, wenn du mit der Verletzung konfrontiert wirst.«


Veronika sah ihn erstaunt an, als er den Blick zu ihr hob. Er lächelte verlegen, um das eben Gesagte möglichst schnell aus ihrem Gehirn zu löschen.
»Seit wann wirst du philosophisch?«, fragte sie ihn belustigt.
»Lass uns weitergehen«, sagte David und erhob sich. »Ich will wissen, was dran ist an diesem Typen.«

Etwas später erreichten sie das düstere Schloss, in dem das Internat untergebracht war. Auf dem Kies vor dem alten Gebäude standen teure Autos in der Sonne und Menschen scharten sich um ein paar Stehtische auf dem akkurat gemähten Rasen. David wurde erneut von seinen Zweifeln überrollt und stoppte noch einmal kurz. Doch als Veronika ihn fragend ansah, nickte er nur mit dem Kopf und sie gingen auf das Gebäude zu.
Ohne Schwierigkeiten gelangten sie über eine geschwungene Steintreppe zum Haupteingang, wurden zwar skeptisch von einem Mann, der vermutlich einer der Lehrer am Internat war, begutachtet, doch niemand hielt sie auf. Hinter der massiven Holztür erwartete sie eine kühle Eingangshalle, in der noch mehr Menschen herumstanden und sich unterhielten. David erahnte sofort die an der Schule interessierten Eltern mit ihren etwas verängstigt wirkenden Söhnen und Töchtern zwischen den Lehrerinnen und Lehrern und war froh, nie in so eine Situation geraten zu sein. Wenn er sich vorstellte, seine Mutter hätte ihn in ein Internat stecken wollen, gruselte es ihn. Alles hier wirkte ehrwürdig und alt. Und zugleich jagte ihm genau das eine irrationale Angst ein.
Sie schoben sich an den Eltern, Schülern und Lehrern vorbei, stiegen am Ende der Halle eine beeindruckende Treppe hinauf, um sich von oben einen Überblick zu verschaffen. Sie fanden einen guten Platz neben einer Säule und lehnten sich an die Balustrade. Von der ersten Etage aus konnten sie die Menschen unter sich gut beobachten. Eine Gruppe Schülerinnen kam aus einem Flur, lief lachend und laut redend durch die Menge, wobei sie den potenziellen neuen Mitschülern neugierige Blicke zuwarfen. Kurz darauf waren sie wieder verschwunden.
»Hast du ihn schon irgendwo entdeckt«, fragte Veronika.
»Bisher sind ja noch gar keine Jungs aus der Schule hier gewesen.«
In diesem Moment schlenderte Julian tatsächlich in die Halle. David stockte der Atem, als er ihn entdeckte. Er streckte intuitiv die Hand nach seiner Freundin aus und drückte ihren Arm so fest, dass sie leise aufschrie. Schnell zog er seine Hand zurück.
»Welcher ist es?«, fragte Veronika.
Erst jetzt bemerkte David, dass Julian nicht allein war. Er war in Begleitung eines Mädchens und eines Jungen in seinem Alter. Die beiden gingen rechts und links von ihm und während das Mädchen impulsiv auf Julian einredete, war der Junge in sein Smartphone vertieft.
»Der in der Mitte«, flüsterte David.
»Jetzt erkenne ich ihn wieder. Der sieht nett aus.«
Gerade wollte David sie bestätigen, als er beobachtete, wie der andere Junge sein Handy wegsteckte und mit einer Bemerkung Julians Aufmerksamkeit auf sich zog. Die Stimmen gingen im allgemeinen Geraune der Menschen um sie herum unter. Das Mädchen verstummte, als sich Julian zur anderen Seite umwandte und seine Hand nach der des Jungen ausstreckte, sie drückte und etwas zu ihm sagte. Was erst wie eine freundschaftliche Geste aussah, dauerte dann allerdings zu lange. Die drei waren stehen geblieben, sahen zu den Neuen hinüber und unterhielten sich offenbar über die potenziellen Mitschülerinnen, die mit ihrem Eltern zusammenstanden. Julian und der andere Junge hielten sich dabei die ganze Zeit an den Händen. Sie flirteten offen miteinander und ihr Umgang miteinander ließ deutlich erkennen, dass sie nicht einfach nur miteinander befreundet waren.
»Wer ist der andere?«, fragte Veronika.
Das hätte David auch gerne gewusst. Hatte Julian ihn einfach gegen einen anderen ausgetauscht? Ging das bei ihm so schnell? Schwärzer und klebriger als je zuvor klumpte sich der Teer in seinem Bauch zusammen. Er spürte seine Beine leicht zittern und für einen kurzen Moment befürchtete er, sie würden ihn nicht mehr tragen. Dann beruhigte er jedoch sich wieder.
»Offensichtlich hat er einen Freund«, murmelte David.
Der Junge sagte etwas zu Julian und als der ihn irritiert ansah, lachte der Junge laut auf. Er entzog sich Julians Hand und eilte auf die Treppe zu und rannte sie hinauf. Julian wirkte irritiert, sah dem Jungen nach, sprach kurz mit der Freundin und hastete dann ebenfalls auf die Treppe zu. Die beiden kamen direkt auf David und Veronika zu, die halb versteckt hinter ihrer Säule an der steinernen Balustrade lehnte. Intuitiv zog sich David ein wenig zurück.
»Da scheint dicke Luft zu sein«, vermutete Veronika. »Das ist der perfekte Moment, um mit ihm zu sprechen.«
Der fremde Junge rannte allerdings auf ihrer Etage in die entgegengesetzte Richtung und verschwand in einem Gang. Julian stoppte auf der Hälfte der Treppe, sah dem Jungen nach und lehnte sich dann mit frustriertem Gesichtsausdruck ans Treppengeländer. Er sah zu seiner Freundin nach unten.
»Kannst du mir bitte mal erklären, was der jetzt schon wieder hat?«, rief Julian zu ihr hinunter. Seine Stimme war jetzt deutlich zu hören, weil er näher gekommen war und lauter sprach. »Warum macht der das?«
»Jungs!«, grollte das Mädchen von unten kopfschüttelnd. »Frag mich bloß nicht, wie die funktionieren.«
Veronika trat aus dem Schatten der Säule und zog David entschlossen hinter sich her. Durch die plötzliche Bewegung zogen sie Julians Aufmerksamkeit auf sich und er hob den Blick. Eine Sekunde lang sahen sich David und Julian direkt in die Augen. David meinte in Julians Gesicht eine vertraute Regung zu entdecken. Die grauen Augen schienen sich in seine zu bohren. Davids Herz setzte für einen Schlag aus. Er machte einen Schritt vorwärts, um auf ihn zuzugehen. Doch dann wandte sich Julian ohne ein Zeichen des Erkennens einfach ab. Er trabte die Treppe herunter, schnappte sich seine Freundin und tauchte unter der Balustrade ab.
Fassungslos starrte David auf die Stelle, von der Julian eben noch zu ihm herübergeblickt hatte. Er hatte ihn nicht erkannt! Er war einfach gegangen, ohne ihn zu grüßen. Ohne ein Wort zu sagen. David fühlte Hitze und Kälte gleichzeitig durch seinen Körper schießen. Er tastete nach der Balustrade. Neben sich nahm er Veronika wahr, die ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter legte und ihn besorgt ansah. Ein Schweißtropfen rann David über die eiskalte Stirn. Er erwiderte Veronikas Blick, straffte die Schultern und sagte:

»Lass uns gehen!«

Er wartete nicht, ob Veronika ihm folgen würde. Er steuerte die Treppe an, fiel sie beinahe herunter, so eilig hatte er es. Er zwängte sich zwischen den Menschen in der Halle hindurch und erreichte die Eingangstür. Er wollte so schnell wie möglich von diesem Ort verschwinden. Er bemühte sich, nicht zu rennen, sondern einfach zügig zu gehen, denn er wollte nicht auch noch Aufmerksamkeit der Leute vor dem Internat auf sich ziehen. Am liebsten hätte er sich einfach in sein Bett gebeamt, um bloß mit keinem Menschen reden zu müssten.
Erst als er die Landstraße erreichte, verlangsamte er seine Schritte, stoppte schließlich und sah sich um. Veronika war knapp hinter ihm, sagte allerdings kein Wort. Sie eilten über den Radweg, passierten die Unfallstelle und immer noch schnürten die Erinnerungen an das soeben erlebte David die Kehle zu. Er keuchte und spürte sein Herz flattern.
Damit hatte er nicht gerechnet. Mit allem anderen, aber nicht damit, dass Julian einen Neuen hatte. Dass er ihn ausgetauscht hatte. Julian hatte ihn noch nicht einmal erkannt. Oder hatte er ihn nicht erkennen wollen? Hatte er einfach nur so getan, als hätte er David noch nie gesehen? Das war so demütigend!
»David!«, rief Veronika schließlich und hielt ihn fest.
Er wollte nicht mit ihr reden. Er wollte mit niemandem reden. Warum auch? Er hatte sich acht Monate etwas vorgemacht und sich in eine Erinnerung hineingesteigert, von der Julian offenbar nichts mehr wissen wollte.
»Warte!«, sagte Veronika.
Jetzt spürte David die Erschöpfung. Er zog Veronika mit sich in einen Feldweg hinein und sackte auf eine Bank. Wie eine Eruption stürzten ihm die Tränen aus den Augen und er beugte sich nach vorne. Wie hatte ihm das passieren können? Wieso hatte er Julian von sich gestoßen? War er so ein schlechter Mensch?
Veronika legte ihm eine Hand auf den Rücken und ließ ihn weinen. Mit jeder Träne, die aus ihm herausquoll, verschwand ein bisschen von Julian. Und das tat gut.
»David«, sagte Veronika vorsichtig, als er sich allmählich wieder fing. »Das tut mir wahnsinnig leid.«
David lehnte sich an die Rückenlehne der Bank und sah in die Baumwipfel über sich. Ein sanfter Wind bewegte die Blätter über ihnen. Der Luftstrom kam von irgendwoher und wehte über ihren Köpfen einfach weiter. Er störte sich nicht daran, was hier unten geschah.
»Und jetzt?«, fragte David mehr sich selbst als Veronika.
»Jetzt musst du ihn ziehen lassen.«
David nickte.

© Stephan Meyer, Köln 2022 – Alle Rechte vorbehalten


Das war das achte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare. Ich freue mich auf deine Rückmeldungen.


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Dorfidylle - Der Fortsetzungsroman

Dorfidylle #07

Besuch.

Veronika fiel ihm um den Hals, als sie aus dem Zug stieg. Sie hatten sich seit dem Urlaub im letzten Spätsommer nicht mehr gesehen und in der Zwischenzeit lediglich telefoniert und geschrieben. Sie hatten eine Menge nachzuholen. Also brachten sie Veronikas Rucksack zu David nach Hause, plauderten kurz mit seiner Mutter und gingen dann im nahe gelegenen Wald spazieren.

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»Was ist mit deiner Mutter«, fragte Veronika, als sie in den Waldweg einbogen. »Die sieht ehrlich gesagt nicht gut aus.«
David überlegte kurz, wie viel er seiner besten Freundin erzählen konnte, und entschloss sich für die Wahrheit.
»Sie hat Depressionen. Schon lange. Das ist auch der Grund, warum wir aus Berlin hierher umgezogen sind.«
Veronika nickte nachdenklich. »Ich habe mir schon so was gedacht.«
Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinanderher und David war sich plötzlich unsicher, ob er Veronika mit dieser Information überfordert hatte. Doch sie begann dann, ihn nach der genauen Situation auszufragen:
»Ist sie in Behandlung? Ich meine: Macht sie eine Therapie? Depressionen sind doch eigentlich ganz gut behandelbar.«
»Sie weigert sich, damit zu einem Arzt zu gehen«, entgegnete David. »Sie ist davon überzeugt, dass sie das alleine hinkriegt, und keine Hilfe braucht.«
»Das ist doch bescheuert!«, regte sich Veronika auf. »Meine Tante ist auch depressiv. Und die hat genauso gedacht. Bis es irgendwann nicht mehr ging und sie für drei Monaten in die Klinik musste, damit sie einigermaßen wieder auf die Beine kam. Heute gehts ihr gut. Aber nur, weil sie regelmäßig zu ihrer Therapeutin geht und Medikamente nimmt.«
David hatte aufgehört, zu zählen, wie oft er seiner Mutter vorgeschlagen hatte, gemeinsam mit ihr zu einer Beratungsstelle oder zum Arzt zu gehen. Er wollte auch eigentlich gar nicht mehr darüber sprechen, denn schließlich gab es so viel Anderes, worüber er mit Veronika reden wollte. Also zuckte er bloß mit den Schultern.
»Du solltest nicht einfach daneben stehen und nichts tun«, forderte Veronika.

»Was ist denn in Berlin passiert, dass ihr deshalb weggezogen seid?«

David seufzte. Er kam um das Thema offenbar nicht herum.
»Sie war schon immer etwas labil. Keine Ahnung, warum. Vielleicht liegt das in der Familie. Eigentlich steht sie regelmäßig kurz vor der Einweisung in eine Klinik. Sie kann wegen der Depression seit Jahren nicht mehr arbeiten. Das war in Berlin schon so. Irgendwann ist das in der Stadt immer schlimmer geworden. Sie ist nicht mehr aus dem Haus gegangen, hat keine Menschen mehr getroffen. Aber sie hat ständig von der schönen Zeit hier im Dorf geschwärmt. Das waren oft die einzigen Momente, in denen sie wirklich aus ihren Tiefs aufgetaucht ist. In der Stadt sind offenbar aus allen Richtungen so viele Eindrücke auf sie eingestürzt, das war einfach zu intensiv für sie. Ich habe ihr deshalb damals vorgeschlagen, umzuziehen. Raus aus der Stadt. Zurück in ihr Dorf, in dem sie alte Schulfreundinnen hatte. Und sie hat sich darauf eingelassen. Das hat aber leider nicht viel gebracht. Zumindest nicht lange.«
Sie erreichten die große Wiese, an deren Rand der Hochsitz stand. Er bog in einen anderen Weg ein, weil er gerade keine Lust auf die Erinnerungen hatte, die mit diesem Ort zusammenhingen. Veronika folgte ihm schweigend, sie wusste ohnehin nichts von der Bedeutung des Hochsitzes.
»Und was ist mit deinem Vater? In Berlin ist der doch hin und wieder noch mal bei euch gewesen.«
»Zu dem habe ich fast gar keinen Kontakt mehr. Er schreibt hin und wieder eine Postkarte von irgendeinem Ort in der Welt. Zum Geburtstag schickt er manchmal Geld. Aber auch nicht immer. Nach meiner Mutter hat er sich seit Jahren nicht mehr erkundigt. Und ich glaube auch nicht, dass die beiden Kontakt haben.«
Veronika schüttelte verständnislos den Kopf. Ihre Eltern waren zwar auch getrennt, trafen sich aber regelmäßig und schienen ein gutes Verhältnis zu haben. David hatte sich immer gewünscht, dass seine Eltern ähnlich miteinander umgehen würden. Aber er hatte die Hoffnung auf eine Verbesserung der Beziehung zwischen seinen Eltern schon lange aufgegeben.
»Ist denn zwischen den beiden irgendwas Dramatisches passiert?«, fragte Veronika weiter. »Oder haben die sich einfach auseinandergelebt?«
Darüber hatte David immer wieder gerätselt. Aber er hat bis heute nie erfahren, was damals wirklich vorgefallen war. Natürlich hat er seine Mutter danach gefragt, doch das hat jedes Mal nur zu Streit geführt. Deshalb hatte er sich mit der Situation abgefunden, auch wenn ihm das eigentlich nicht gefiel.
»Ich weiß nur, dass es in meiner Kindheit etwas gegeben hat, was offenbar zur Trennung geführt hat. Aber ich weiß nicht, was das war. Eine andere Frau vielleicht. Oder ein Mann. Einmal hat meine Mutter Andeutungen gemacht, warum sie mit mir von hier weggegangen ist. Ich bin hier im Ort ja in den ersten eineinhalb Jahren aufgewachsen. Aber offenbar waren meine Eltern zu dem Zeitpunkt schon getrennt. Allerdings hatten sie ein gutes Verhältnis. Und das ist auch schon alles, was ich im Laufe der Zeit aus meiner Mutter herausbekommen habe.«
Sie erreichten die Kuppe eines Hügels, auf der sich die Bäume lichteten und den Blick auf die umgebende Landschaft freigaben. Veronika staunte über das Panorama auf die Weinhänge und Wälder. In der Entfernung waren die glänzenden Dächer des Internats zu erkennen.
»Hier muss es einem doch besser gehen«, sagte Veronika und legte einen Arm um Davids Schultern. »Wenn du in Berlin einen solchen Ausblick haben willst, dann musst du mit den Touris auf den Alex hochfahren. Und dann siehst du meist doch nicht so richtig weit, weil der Dreck in der Luft alles vernebelt.« Sie sah David in die Augen. »Warum kommst du nicht zurück. Wir vermissen dich alle echt. Wir könnten uns zusammen eine Wohnung suchen und eine WG gründen. Kellnern kannst du auch in der Stadt.«
David genoss die Nähe und die reizvolle Vorstellung, die Veronika in ihm heraufbeschwor. Er war wirklich froh, dass sie hier war. Trotz der Schwere, die sich gerade in ihm ausbreitete. Er spürte wieder einmal den zähen Klumpen Teer in seinem Bauch und presste sein Gesicht jetzt dicht an den Hals seiner Freundin. Sie drückte ihn fest an sich und zum ersten Mal hatte er das Bedürfnis, zu erzählen, was damals in Berlin passiert war. Er schloss die Augen und zählte bis zehn. Dann war er bereit.

»Sie hat Tabletten genommen«, murmelte er.

Veronika reagierte nicht und David dachte einen Moment, sie habe ihn gar nicht gehört oder nicht verstanden, weil er ihn ihre Haare geredet hatte. Doch dann verstärkte sie den Druck ihrer Arme um ihn.
»Das hast du mir nie erzählt«, sagte sie leise. »Hast du sie gefunden?«
Aus der Tiefe seines Körpers durchströmte ihn die Angst, als er an die Situation in jeder Nacht zurückdachte. Er war nicht in der Lage, zu antworten, weil ihm die unterdrückten Tränen den Hals zuschnürten, und so nickte er lediglich leicht mit dem Kopf.
»Das tut mir wahnsinnig leid!«, sagte Veronika.
Als sich die überströmenden Gefühle ein wenig beruhigten, löste sich David von seiner Freundin und wandte sich dem Ausblick zu. Das hier war wirklich wunderschön. Er hatte fast vergessen, dass es diesen Ort hier oben gab. Er beschloss, ab sofort häufiger hierher zu kommen. Ohne sich umzudrehen, redete er weiter und war sich sicher, dass Veronika ihm genau zuhörte.
»Ich kann hier nicht weg, solange es meiner Mutter nicht wirklich besser geht. Ich habe jeden Tag Angst, dass sie das noch mal macht. Auch wenn sie mir hoch und heilig versprochen hat, dass sie das nicht tun wird. Es fällt mir wahnsinnig schwer, ihr zu vertrauen.« Er machte eine Pause, bevor er weitersprach. »Natürlich könnte ich auch sagen, dass das ihre eigene Verantwortung ist. Aber das funktioniert einfach nicht.« Er wandte sich zu Veronika um. »Verstehst du das? Ich könnte mir nie verzeihen, wenn ich eines Tages einen Anruf kriege und am Telefon erfahre, dass sie sich umgebracht hat.«
Veronika nickte. »Trotzdem kannst du nicht den Rest ihres Lebens auf sie aufpassen. Du musst doch dein eigenes Leben leben.«
»Ich weiß!«, antwortete David und nahm den gereizten Ton in seiner Stimme wahr. Er atmete tief durch. »Ich war damals vierzehn, als ich sie gefunden habe. Das ist zu früh für so einen Scheiß.«
Veronika nahm in fest in die Arme und sie hielten sich lange fest, bis der Schmerz in Davids Bauch allmählich nachließ. Er hatte es so vermisst, mit einem Menschen wie Veronika zu sprechen. Die Leute hier in der Umgebung hatten ihm bislang nie einen richtigen Halt geben können. Lediglich Julian hätte vielleicht diese Rolle übernehmen können. Aber dem war er hier ja gar nicht mehr so begegnet, wie vorher in Schweden. Als hätte Veronika genau gespürt, was David gerade durch den Kopf ging, fragte sie ihn nach Julian:
»Was ist mit diesem Typen aus Schweden? Hast du den noch mal getroffen?«
»Warum sollte ich?«, entgegnete David gereizt.
»Hast du nicht erzählt, dass der auch hier in der Gegend wohnt? In einem Internat?«
David wies mit der Hand auf die in der Sonne glitzernden Dächer. »Da drüben.«
»Du hast mir ja nie genau erzählt, was mit dem gelaufen ist. Aber du hattest sich ziemlich verliebt, oder?«
»Wie kommst du denn darauf?«, fuhr es aus David heraus.
»Ach komm, David! Mach mir doch nichts vor.« Veronika stöhnte genervt.

»Du bist schwul und der Typ hat dir letzten Sommer komplett den Kopf verdreht.

Wir wissen das seit Jahren von dir, auch wenn dir das vermutlich keiner gesagt hat.«
Die Wut stieg in David hoch und platzte aus ihm heraus: »Ich weiß, ihr coolen Berliner habt immer den Durchblick. Ihr wisst immer genau, was richtig und was falsch ist. Aber das ist hier anders. Das hier«, David breitete die Arme weit aus und drehte sich im Kreis, »das hier alles um uns herum ist völlig andes, als in Schöneberg zu leben und sich auf Partys in Hinterhöfen herumzutreiben.« Er hätte schreien können. »Hier zieht man sich nicht einfach ein Kleid an und rennt geschminkt über die Pride. Das hier ist Provinz. Tiefste Provinz. Hier ist nichts. Nur Wein und total ignorante Menschen. Ja, ich stehe auf Jungs. Ich bin schwul. Ich kenne alle Websites und ich kenne mich mit Safer Sex aus. Ich hab diesen Kerl aus dem Internat gefickt und mir den Schwanz von ihm blasen lassen. Aber das war in einer anderen Welt. Da war außer uns keiner. Da kannte uns niemand. Da waren wir allein. Und hier? Soll ich dir sagen, wie das hier abläuft? Hier trifft man sich heimlich mit irgendeinem Typen in einem abgelegenen Waldstück und muss ständig damit rechnen, dass er seine Kumpels mitbringt, die dir die Fresse polieren, sobald du die Hose aufmachst!«
Wütend stampfte David mit dem Fuß auf und er hätte liebend gerne mit irgendwas um sich geworfen, doch er hatte keine leeren Flaschen dabei, unter seinen Füßen wuchsen nur ein paar Frühlingsblumen und er war sich auch im nächsten Moment im Klaren darüber, dass er völlig überreagierte.
Veronika sah ihn mit traurigen Augen an. Eine Welle von Mitgefühl schwappte zu ihm herüber und David fühlte sich so verstanden wie schon ewig nicht mehr.
»Entschuldige«, murmelte er. »Ich wollte dich nicht anschreien.«
Veronika trat auf ihn zu und legte erneut die Arme um ihn.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Nicht dafür, dass du hier festhängst. Das ist nicht deine Schuld.«
Eng umschlungen standen sie wieder eine Weile auf der Wiese. Leichter Wind kam auf und ließ David frösteln. Die Sonne hatte sich in der Zwischenzeit immer mehr dem Horizont genähert und David hatte plötzlich unbändigen Hunger. Er schob Veronika von sich und machte den Vorschlag, zu ihm nach Hause zu gehen und etwas zu kochen. Sie bogen also wieder in den Waldweg ein, den sie auf dem Hinweg schon genommen hatten.
»Ich habe mich echt beschissen verhalten«, sagte David nach einer Weile, als sie sich langsam dem Dorf näherten. »Julian war am Boden zerstört, als ich ihm damals gesagt habe, dass ich hier keine für alle sichtbare Beziehung führen kann. Er hat das überhaupt nicht verstanden. Und ich war so fest davon überzeugt, dass das nicht geht. Da hat er sich radikal von mir abgewandt. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen.«
»Obwohl er ganz in der Nähe wohnt?«, fragte Veronika. »Läuft man sich hier nicht zwangsläufig mal über den Weg?«
David schüttelte den Kopf. »Das Internat scheint eine vollkommen abgeschlossene Welt für sich zu sein. Wir haben überhaupt keine Überschneidungspunkte. Dabei würde ich ihn echt gerne mal wiedersehen.«
In diesem Moment schoss ihm eine Idee durch den Kopf. Darauf hätte er auch schon früher kommen können. Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen.
»Was ist los?«, fragte Veronika erstaunt.

»Der Tag der offenen Tür!«, rief David.

»Wovon sprichst du?«
David sprang auf Veronika zu und tanzte um sie herum.
»Am Wochenende ist Tag der offenen Tür im Internat. Für die Eltern, die ihre Kinder hier einschulen wollen. Das ist der einzige Tag im Jahr, an dem man als Fremder in das Internat reinkommt.«
»Und?« Veronika schien immer noch nicht zu verstehen, was das bedeutete.
»Wir gehen hin!«, kicherte David. »Morgen. Und dann schauen wir mal, ob wir Julian sehen.«
Entgeistert betrachtete Veronika ihn. »Bist du sicher, dass du das tun willst?«
»Warum denn nicht? Es gibt bestimmt auch Häppchen und Getränke.«
»Ich weiß nicht recht …«
»Keine Widerrede. Ich habe beschlossen, dass wir morgen ins Internat gehen und uns den Laden mal genau angucken.«
David wurde von einem Hochgefühl getragen, das er schon lange nicht mehr erlebt hatte. Und er freute sich wirklich darauf, Julian wiederzusehen.

© Stephan Meyer, Köln 2022 – Alle Rechte vorbehalten


Das war das siebte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare. Ich freue mich auf deine Rückmeldungen.


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Dorfidylle #06

Frühstück im Hotel.

Die Sonne arbeitete sich gerade erst über den Horizont, als David am nächsten Morgen von seinem Wecker aus dem Schlaf gerissen wurde. Schon lange war er nicht mehr so früh aufgestanden, denn in der Physiotherapie-Praxis hatte er erst um halb neun mit der Arbeit begonnen. Doch obwohl ihm diese frühe Zeit nicht passte, freute er sich darauf, den lange herausgeschobenen Neuanfang endlich umzusetzen. Außerdem hatte er diese Nacht keinen Albtraum gehabt und er deutete das als ein gutes Vorzeichen für die Dinge, die ihn heute erwarteten.

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Eine dreiviertel Stunde später stand er in der frischen, noch etwas kühlen Morgenluft vor der Seitentür des Brüllenden Bullen und wartete auf die Kollegin, die ihn in die Vorbereitung des Frühstücks einweisen sollte. David kannte Alina vom Sehen. Sie kam aus einem der Nachbardörfer und war knapp fünfzehn Jahre älter als er. Sie arbeitete manchmal in der Gaststätte hinter der Theke, daher hatte er sich an dem ein oder anderen Abend schon mit ihr unterhalten.
»Ach du bist das!«, sagte sie amüsiert, als sie aus ihrem Auto stieg und auf ihn zu kam. »Konrad hat mir nur gesagt, dass mir heute ein neuer Kollege beim Frühstück helfen wird.« Sie schloss die Tür auf und ließ David herein. »Aber ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dich hier zu treffen.«
Sie zeigte ihm, wo er seine Sachen ablegen konnte, führte ihn kurz durch die Wirtschaftsräume von Hotel und Gastwirtschaft, bevor sie ihn zum Bäcker drei Straßen weiter schickte, wo er die bestellten Brötchen abholen sollte.
»Aber beeil dich«, sagte sie. »Wir haben eine knappe Stunde, um alles vorzubereiten.«
Also marschierte David los und war acht Minuten später mit drei Tüten voller Gebäck zurück.
»Viel ist das ja nicht«, meinte er und blickte in die Tüten. »Reicht das für alle Gäste?«
Alina lachte glucksend. »Keine Sorge, das reicht. Im Moment sind nicht so viele Gäste im Hotel. Acht Leute glaube ich. Fast alles Vertreter. Die erkennst du sofort. Ein Ehepaar ist auch dabei. Die machen hier Urlaub. Aber die essen nur Müsli und Obst.«
Sie sagte David, wo die Platten für den Aufschnitt verstaut waren und wie viel Käse und Wurst er darauf verteilen sollte.
»Woran erkennt man die Vertreter?«, erkundigte sich David.
»Die sitzen immer allein, lesen Zeitung und tragen Anzug und Krawatte. Die Urlauber sind lockerer angezogen und breiten spätestens beim zweiten Kaffee die Wanderkarten auf dem Tisch aus.«
Während David das Obst klein schnitt und parallel darauf achtete, dass die nicht mehr ganz funktionstüchtige Industriekaffeemaschine nicht überlief, rannte Alina hin und her und trug alles fürs Frühstück in den Gastraum.
»Heute ist Donnerstag, oder?«, fragte sie im Vorbeigehen. David nickte. »Dann wirds ab morgen Nachmittag voll.« Alina nahm sich eine Tasse Kaffee, lehnte sich an die Arbeitsfläche neben David und steckte sich eine Zigarette an. »Am Wochenende ist Tag der offenen Tür im Internat. Da kommen all die Eltern mit ihren missratenen Sprösslingen, die sie gerne hier zu uns abschieben wollen. Und weil der Bulle das einzige Hotel in der Umgebung ist, sind wir ausgebucht.« Sie inhalierte tief. »Ein wirklich lohnendes Geschäft für Konrad.«
Sie fixierte David, der gerade mit einer Honigmelone leicht überfordert war, drückte die Zigarette aus und nahm ihm das Messer aus der Hand. Mit schnellen Bewegungen teilte sie die Melone in mundgerechte Stücke, ohne das kleinste Fitzelchen der harten Schale zu übersehen.
»Die Kids im Internat werden doch bestimmt nicht alle abgeschoben«, sagte David nachdenklich. »Es gibt ja viele Gründe, warum man auf ein Internat geht.«
Erneut lachte Alina. Sie drückte ihm das Messer wieder in die Hand und zeigte auf die Birnen und Äpfel, die noch darauf warteten, klein gehackt zu werden.
»Und welche Gründe sollen das sein?«, fragte sie.
»Wenn die Eltern viel unterwegs sind, zum Beispiel.«
David dachte an Julian und ihm fiel auf, wie distanziert der von seinen Eltern gesprochen hatte. Er erinnerte sich auch an die mitgehörten Telefonate, insbesondere den Anruf des Vaters zu Julians achtzehntem Geburtstag, der genau in die Zeit gefallen war, als sie gemeinsam in Schweden waren. Julian hatte dabei alles andere als glücklich gewirkt.

»Dann sag mir, warum Menschen Kinder kriegen, wenn sie eigentlich keine Zeit für sie haben?«

David wollte einfach nicht glauben, dass es wirklich Eltern gab, die ihre Kinder in ein Internat abschoben. Wenn er allerdings genauer darüber nachdachte, passte das zumindest zu Julians Familiengeschichte perfekt.
»Das ist doch schräg«, sagte er und unterbrach seine Arbeit für einen Moment. »Da kriegen die Leute Kinder, um erst danach festzustellen, dass die nicht in ihr Lebenskonzept passen. Warum machen Menschen so was?«
Alina deutete mit dem Kopf auf die immer noch wartenden Birnen und goss den Kaffee in glänzende Thermoskannen.
»Du wirst hier im Hotel viele Menschen treffen, die nicht deiner Vorstellung von sozialem Miteinander entsprechen. Ich weiß nicht viel von dir, aber immerhin habe ich dich ein bisschen kennengelernt, wenn du an der Theke gestanden hast. Betrunkene reden gerne.«
Sie kicherte leise in sich hinein. Und David fragte sich sofort, was er Alina wohl alles im angetrunkenen Zustand erzählt hatte. Genau erinnern konnte er sich nicht mehr daran. Dafür waren diese Situationen auch zu häufig vorgekommen.
»Hab ich mich peinlich benommen?«, erkundigte er sich vorsichtig.
Alina winkte ab. »Du hast mir noch gar nicht erzählt, warum du jetzt hier arbeitest. Hast du deinen alten Job verloren?«
David erzählte in wenigen Worten von seinen Erfahrungen der letzten eineinhalb Jahre in der Praxis und dem Wunsch nach einem Neuanfang. Alina hörte ihm aufmerksam zu, während sie Geschirr und Lebensmittel in den Gastraum trugen.
»Bist du dir sicher, dass es eine gute Idee ist, diesen Job hier als einen Neuanfang zu bezeichnen«, fragte sie ihn schließlich nachdenklich, schob ihn dann aber zügig in die Küche, bevor er antworten konnte. Die ersten Gäste waren zum Frühstück gekommen.

Sie arbeiteten bis halb elf ohne Pause. Auch wenn nicht viele Gäste im Hotel abgestiegen waren, gab es trotzdem immer genug zu tun. Und vor allem warnte Alina ihn davor, zu offensichtlich längere Pausen zu machen, denn Konrad konnte jeden Moment auftauchen und wenn er merkte, dass sie nicht arbeiteten, würde er den Personalplan radikal zusammenstreichen.
»Der spart, wo immer er etwas zum Sparen findet«, sagte sie und wies mit dem Gesicht durch das Fenster in den Hof, wo Konrad gerade aus seinem Auto stieg. »Wenn man vom Teufel spricht …«
»Aber du arbeitest doch schon seit Jahren hier«, sagte David. »Und offenbar hat er deine Stelle nicht eingespart.«
Er erhielt jedoch keine Antwort mehr von Alina, weil ihr Chef in diesem Moment zur Tür hereinkam.
»Ist Anastasia noch nicht da?«, fragte er schlecht gelaunt und knallte die Tür hinter sich zu. »Um zwölf kommt der Graf und dann muss hier was Vernünftiges auf dem Tisch stehen.« Konrad warf einen kritischen Blick auf die Reste des Frühstücks, die David und Alina gerade in die Küche geräumt hatten. »Die kann man noch mal nehmen!«, stauchte er David zusammen, der gerade eine Scheibe Gouda mit angetrocknetem Rand in den Müll werfen wollte. Konrad griff nach einem Messer, schnitt die trockenen Ränder ab und legte sie in eine Metallschale. »Die Scheibe kommt zurück in den Kühlschrank und die Kanten kann Anastasia zum Überbacken von irgendwas benutzen.« Mit dem Messer in der Hand baute er sich vor David auf. »Wenn ich das noch mal sehe, ziehe ich dir das vom Lohn ab.«
Hinter Konrad sah David Alina demonstrativ die Augen verdrehen. Folgsam nickte er und schien Konrad damit zufriedengestellt zu haben. Der wandte sich jetzt zu Alina herum.
»Anastasia ist gerade gekommen«, sagte sie und zeigte mit dem Finger aus dem Fenster. »Sie schließt nur noch ihr Fahrrad ab. Wenn du ihr eine halbe Stunde mehr bezahlen würdest, hätte sie auch nicht so einen Stress vor dem Mittagessen.« Konrad wollte ihr ins Wort fallen, doch Alina redete einfach weiter: »Und wenn es dir so wichtig ist, dass Harald hier was Angemessenes zwischen die Zähne kriegt, dann solltest du auch die passenden Lebensmittel dafür kaufen. Nicht nur dieses Convenience-Zeug. Irgendwann kriegt der das spitz und ich weiß nicht, ob er dann noch seine Geschäftskunden hier unterbringt.«
David hörte Konrad genervt schnaufen. Ihm war klar, dass Alina ihrem Chef gerade eine volle Breitseite gegeben hatte. Und der schien darüber alles andere als erfreut zu sein. Außerdem hatte er gerade etwas sehr Relevantes über die in dieser Region so hochgelobte Küche des Brüllenden Bullen gelernt:

Offenbar wurde hier bei Weitem nicht so frisch gekocht, wie alle dachten.

Und tatsächlich schleppte Anastasia, die für die Küche im Mittagsbetrieb zuständig war und von Konrad bloß einen mürrischen Blick, aber keinen Rüffel erhielt, kurz darauf geschälte Kartoffeln, Fertigsoßen und bereits panierte Schnitzel in die Küche und trieb David an, endlich die Reste des Frühstücks wegzuräumen. Die trockenen Käsekanten warf sie mit leicht angeekeltem Gesichtsausdruck in den Müll.
»Wenn die Gäste wüssten, wie Konrad seine Küche wirklich betreibt, würde kaum noch einer kommen«, sagte Alina, als sie David endlich für eine kurze Pause in den Hof hinter dem Hotel gelotst hatte. »Und glaub mir: Der macht echt ein gutes Geschäft, indem er diese Fertiggerichte als Spitzenküche verkauft. Die meisten Leute schmecken den Unterschied sowieso nicht. Aber sie kriegen was anderes, als sie bestellt haben.« Sie steckte sich eine Zigarette an. »Wenn ich wollte, könnt ich den hochgehen lassen.«
David war ein wenig desillusioniert von der Realität in dieser Hotelküche. Auch bei der Vorbereitung des Frühstücks war ihm schon aufgefallen, dass Alina das Rührei zwar in einer großen Pfanne gebraten hatte, aber sie hatte dazu einfach einen Tetrapack aufgeschnitten und die Eimasse ausgekippt.
Er schloss einen Moment lang die Augen, weil er von der ungewohnten Arbeit ziemlich erschöpft war. Doch sofort blitzte die Erinnerung an den Traum, den er vorletzte Nacht gehabt hatte, durch sein Hirn. Für einen Sekundenbruchteil sah er den Baum erneut auf sich zurasen. Schnell öffnete er die Augen wieder.
»Dieser Graf«, sagte er dann nachdenklich. »Was ist mit dem eigentlich? Konrad klang ja fast so, als hätte er Angst vor dem.«
Fragend sah David zu Alina herüber, die mit ebenfalls geschlossenen Augen an die Hauswand gelehnt rauchte und sich die Sonne ins Gesicht scheinen ließ. Ein Schmunzeln zog sich über ihre Lippen. Sie nahm noch einen Zug und drückte die Kippe dann aus.
»Dem gehört hier alles«, sagte sie.
»Was meinst du mit alles?«, erkundigte sich David erstaunt. »Der Gutshof?«
Alina schüttelte den Kopf. »Mit alles meine ich alles.« Sie breitete die Arme aus. »Das Hotel, die Gaststätte, die Wiesen und die Wälder da hinten. Die meisten der Weinhänge in dieser Gegend. Alles.«
»Alexanders Vater hat eigenen Wein«, warf David ein. »Du kennst Alexander doch, oder?«
Alina nickte. »Wer kennt Alexander nicht?« Sie zwinkerte ihm zu.

Heiß schoss David das Blut ins Gesicht. Niemand wusste, woher er Alexander kannte und was die beiden miteinander verband.

Alinas Zwinkern brachte ihn ein wenig aus dem Konzept und er fragte sich sofort, ob er ihr im angetrunkenen Zustand schon einmal von ihm erzählt hatte.
»Ich meine …«, stammelte er. »So weit ich weiß, hat sein Vater eigene Weinhänge.«
»Die Gratners gehören zu den wenigen Familien, die sich gegen die Kaufwut des Grafen bislang erfolgreich zur Wehr gesetzt haben. Das stimmt. Und ich hoffe, dass das auch so bleibt.« Alina legte den Kopf schief, als sie David eingehend ansah. »Und wie kommst du gerade auf Alexander?« Sie grinste.
»Ich habe ihn hier mal auf dem Weinfest kennengelernt.«
Alina nickte langsam und verstehend. »Kennengelernt.« Sie malte Gänsefüßchen in die Luft.
David zog es vor, ihre Bemerkung nicht zu kommentieren. Er wollte sich nicht gleich am ersten Tag zu weit aus dem Fenster lehnen. Er kannte Alina ja im Grunde gar nicht richtig.
»Also der Graf«, fuhr sie nun mit ihrem Bericht fort, »dem gehört hier also alles. Klar so weit?« David nickte. »Wenn der keinen Bock mehr auf Konrad hat, dann schmeißt er ihn einfach raus. Das Hotel ist schließlich nur gepachtet. Und dann kriegt Konrad hier in der ganzen Region keinen Fuß mehr an die Erde, denn der Graf hat überall seine Finger drin. Mit dem musst du dich gut stellen. Egal, was passiert.«
David zuckte mit dem Schultern. »Ich werde dem vermutlich nie begegnen.«
Alina lachte laut auf. »Das hat sich ab heute dramatisch geändert. Indem du hier arbeitest, wirst du dich wohl daran gewöhnen müssen, dem Grafen immer wieder über den Weg zu laufen.«
»Aber mir kann der ja nichts«, warf David ein.
»Du solltest einfach nur wissen, dass der Mann ein wenig launisch ist. Nach dem, was der damals durchgemacht hat, bringt den nichts mehr aus der Fassung.«
»Was meinst du mit durchgemacht? Sprichst du von dem Unfall?«
Dunkel erinnerte sich David, dass Tomas berichtet hatte, die Frau des Grafen sei bei dem Unfall damals ums Leben gekommen. Alina nickte und zog sich noch eine Kippe aus ihrer Schachtel.
»Wusstest du, dass seine Frau schwanger war, als sie in diesem Autowrack gestorben ist?«
David schüttelte überrascht den Kopf.
»Und der Sohn seiner Schwester, also sein Neffe, der ist in der Unfallnacht zur Waise geworden.«
»Ich wusste nicht mal, dass er einen Neffen hat.«
»Auch dem wirst du über den Weg laufen. Angeblich ist der bei seiner Tante in London rausgeflogen und zu unserem Grafen abgeschoben worden. Ist noch nicht lange her. Ein paar Wochen vielleicht. Jetzt schmachten ihn die Mädchen hier im Dorf alle sehnsüchtig an, denn immerhin ist er der Alleinerbe des Grafen und wenn der irgendwann mal stirbt, dann ist Georg ein reicher Mann.« Alina zog an ihrer Kippe. »Und er sieht verdammt scharf aus.« Sie zwinkerte David schon wieder zu.
»Dann schmeiß dich doch an ihn ran«, sagte David und spürte erneut das Blut in seinem Gesicht pulsieren. »Du siehst doch auch toll aus.«
»Danke für das Kompliment«, erwiderte Alina und verschluckte sich beinahe am Rauch. »Aber erstens bin ich für den ein paar Jahre zu alt. Zum anderen …« Sie winkte ab. »Ach, das merkste schon selbst.« Sie trat die Kippe aus und wies auf die Tür zur Küche: »Wir sollten mal wieder rein.«

Harald Graf von Lehengrund zu Schallenberg rauschte um fünf nach zwölf durch die Tür in die Gaststätte. David hielt sich zu diesem Zeitpunkt hinter der Bar auf und polierte die Weingläser, an denen er nicht den kleinsten Fleck entdecken konnte. Da Konrad aber felsenfest davon überzeugt war, dass sie dringend noch einmal mit einem weichen Tuch behandelt werden müssten, tat David, was der Chef von ihm verlangte. Seine durchaus langweilige, wenn auch etwas meditative Tätigkeit gab ihm allerdings die Gelegenheit, dem Gespräch zwischen dem Grafen und Konrad zu lauschen.
Konrad schnippte mit dem Finger zu David herüber und raunte halblaut:

»Mouton Rothschild!«

David hatte fast keine Ahnung von Wein, aber er meinte, einmal davon gehört zu haben, dass dieser Wein ziemlich teuer war. Er drehte sich ratlos um und scannte die Flaschen hinter sich nach dem Namen ab. Aber er fand kein Etikett, dass auch nur annähernd dem entsprach, wie er den Namen des Weingutes buchstabieren würde.
»Nimm die hier«, sagte Alina, die plötzlich neben ihn trat und ihm eine Flasche reichte. Sie warf einen prüfenden Blick zu Konrad und dem Grafen hinüber und flüsterte dann: »Da ist natürlich ein anderer Wein drin. Hab ich gerade noch in die leere Flasche umgefüllt.« Als David erstaunt die Augenbrauen hochzog, kicherte Alina. »Der Graf merkt das nie im Leben. Und du glaubst doch nicht, dass Konrad einen Wein für mehrere Hundert Euro ausschenkt.«
»Aber die Flasche ist verkorkt«, bemerkte David.
»Na klar ist die verkorkt. Hab ich grad mit einem Nudelholz zugekloppt. Sonst denkt der Graf noch, er würde betuppt.« Sie kicherte leise.
Alina drückte ihm noch schnell die Rotweingläser in die Hand, als er nach den Weißweingläsern greifen wollte, dann zog David mit der gefälschten Flasche ab. Am Tisch entkorkte er sie und goss Konrad und seinem Gast die Gläser bis zum Rand voll.
»Wir werden das so richtig groß aufziehen«, sagte der Graf gerade, als David ihm den Wein einschenkte. »Der Junge ist faul und völlig unfähig. Meine Schwester hat mir aus London Geschichten erzählt, wo der sich überall herumgetrieben hat – ich würde mich in Grund und Boden schämen.«
David zog sich langsam wieder zurück, hielt aber die Ohren weiter offen. Denn offenbar ging es um den gut aussehenden Neffen des Grafen.
»In zweieinhalb Wochen wird der Junge Einundzwanzig. Für mich ist das immer noch das Alter, in dem ein Mann volljährig wird, ganz egal, was das Gesetz sagt. Ich erwarte etwa hundert Gäste. Und ich will ein üppiges Buffet. Mit allem Pipapo. Kriegst du das hin?«
Beinahe schon unterwürfig bestätigte Konrad, dass er das selbstverständlich schaffen würde, und begann, einzelne Speisen aufzuzählen, die er servieren könnte. Doch der Graf winkte genervt ab.
»Verschon mich mit den Details. Es darf nur an nichts fehlen! Ich habe einige Gäste dabei, die nur das Beste gewohnt sind. Und die sollen meinen nichtsnutzigen Neffen unter ihre Fittiche nehmen und in die Finanzwelt einführen. Dann wird aus dem vielleicht doch noch was.«
Der Graf erhob sich und schritt an David vorbei, ohne ihn wahrzunehmen. Von dem Wein hatte er nicht einmal genippt. Alina hatte also die richtige Entscheidung getroffen und in diesem Moment verstand David sogar seinen Chef ein bisschen. Der Graf legte es ja geradezu darauf an, betrogen zu werden.
Konrad stürmte auf David zu und sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
»Zweieinhalb Wochen, um ein Büffet für hundert Leute auf die Beine zu stellen!« Er stöhnte. »Gib mir einen Mariacron!«
David schenkte Konrad ein Glas ein, der kippte das Zeug weg und forderte wortlos mehr. Auch das zweite Glas trank der Chef in einem Zug leer. Dann hellte sich seine Miene schlagartig auf und er sah David freudestrahlend an. Er kam um die Bar herum und schlug ihm auf die Schulter.
»Und? Wie gefällt es dir hier?!«, fragte er jovial.
»Gut so weit.«
»Prima. Dann schlage ich vor, dass du den Service auf der Feier übernimmst. Natürlich nicht allein«, fügte er hinzu, als David ihn erschrocken ansah. »Aber federführend. Damit kannst du dich beweisen!«
Er schlug ihm noch einmal kräftig auf die Schulter und zog dann summend ab. Sprachlos sah David ihm nach. Alina kam aus der Küche und schüttelte fassungslos den Kopf.
»Der ist wahnsinnig. Ich meine: Du schaffst das bestimmt. Aber eigentlich sollte das jemand mit Erfahrung machen. Am besten er selbst. Aber aus irgendeinem Grund betritt er das Schloss des Grafen nicht. Zumindest habe ich das noch nie erlebt.«

An diesem Abend sackte David so erschöpft auf seinem Bett zusammen, dass er sich noch nicht einmal bei seiner Mutter erkundigte, wie sie den Tag verbracht hatte. Und auch auf Alexanders Nachricht, ob sie sich heute noch am üblichen Ort treffen sollten, ließ er unbeantwortet. Lediglich seiner Berliner Freundin Veronika schrieb er, dass er sich total freuen würde, wenn sie am Wochenende bei ihm vorbeikäme. Sie hatte per WhatsApp angekündigt, sie könnte auf dem Weg zu einer Weiterbildung am Bodensee bei ihm einen Zwischenstopp einlegen.
Wenn er geahnt hätte, wie unerwartet das Wochenende verlaufen sollte und was die Ereignisse lostreten würden, dann hätte er ihr wohl besser abgesagt.

© Stephan Meyer, Köln 2022 – Alle Rechte vorbehalten


Das war das sechste Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare.

Was glaubst du, wird am anstehenden Wochenende passieren? Schreib mir deine Ideen in die Kommentare!


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Dorfidylle - Der Fortsetzungsroman

Dorfidylle #05

Tischtennis.

Auf den Stufen vor dem Haupteingang warteten die anderen. Kristin sah ihm mit verzerrtem Gesichtsausdruck entgegen und blaffte ihn zur Begrüßung an.
»Was machst du denn hier?«, fauchte sie. »Ich habe gedacht, du würdest wenigstens den Anstand haben, hier nicht mehr aufzutauchen.«
David lehnte sein Rad an den Zaun und zog seine Sporttasche vom Gepäckträger. Als er von Paula und Kevin auch eher unfreundliche Blicke zugeworfen bekam, spielte er kurz mit dem Gedanken, tatsächlich wieder umzukehren. Aber würde das nicht wie ein Eingeständnis von Schuld auf die anderen wirken? Das wollte er nicht. Er warf sich die Tasche über die Schulter und ging auf die drei zu.

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»Was ist mit dir los?«, fauchte Kristin ihn jetzt an. »Wie beschränkt muss man sein, sich per WhatsApp zu trennen und danach nicht ans Telefon zu gehen?«
Sie war aufgestanden und stellte sich ihm in den Weg, sodass er nicht an ihr vorbei in die Halle gehen konnte. Frostig durchlief es David. Wie sollte er Kristin erklären, was er noch nicht einmal selbst richtig kapierte? Aber ihn fragte ja nie jemand, wie es ihm ging. Immer sollte er nur Rechenschaft für das ablegen, was er einfach nur sein Leben nannte. Für andere wirkte sein Leben allerdings wohl eher ziemlich chaotisch.
»Tut mir leid«, murmelte er und wollte schon weitergehen, doch Kristin ließ ihn immer noch nicht durch.
»Tut mir leid? Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?« Sie blickte ihm direkt ins Gesicht. »Bist du wirklich so erbärmlich?«
David sah die Tränen in ihren Augen schwimmen. Er seufzte. Ihm blieb die Auseinandersetzung offenbar nicht erspart. Dabei hatte er doch nur den einfachsten und unkompliziertesten Weg nehmen wollen, ohne Kristin zu verletzen.
»Das war bescheuert von mir«, sagte er. »Ich hab mich selbst nicht verstanden. Und ich hätte mit dir reden müssen.«
Entgeistert sah Kristin ihn an.
»Und was bedeutet das jetzt? Willst du die Trennung wieder zurückziehen?«
David schüttelte den Kopf.


Du bist so ein fieses Arschloch!«, fauchte Kristin.

Dann drehte sie sich abrupt um und verbarg das Gesicht in den Händen. Paula trat neben sie, warf David einen bösen Blick zu und nahm Kristin in die Arme.
David spürte einen schmerzenden Klumpen in seinem Bauch, wie zäher Teer, der sich in alle Richtungen auszudehnen schien und drohte, ihn bis in jede Zelle seines Körpers auszufüllen. Ratlos stand er auf den Stufen der Sporthalle und hasste sich selbst. Aber was hätte er denn tun sollen? Hätte er sich und seine Umwelt weiter belügen sollen? Hätte er an der Beziehung zu einem Mädchen festhalten sollen, das er nicht liebte? In ihm tobte doch schon seit Monaten dieser heftige Sturm aus Gefühlen, für die er einfach kein Ventil fand, ein Sturm, der ihn jeden Morgen als erstes erfasste und bis zum Schlafengehen begleitete. Er wusste, dass er eigentlich aus diesem Dorf verschwinden sollte. Nach Berlin oder auch nach München oder nach Hamburg. Irgendwohin, wenn er nur nicht in diesem Kaff hängen bleiben musste, das ihm jede Entfaltung verwehrte.
Kevin packte ihn an den Schultern und schob ihn die letzten Treppenstufen hinauf, durch die Glastür und in den nach feuchten Turnschuhen riechenden Gang hinein, bis zu den Umkleiden.
»Ich schnall´s nicht, Alter«, sagte er, als die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war. »Ich meine: Klar kann mal eine Beziehung in die Brüche gehen. Aber ´ne Trennung über WhatsApp geht gar nicht.« Kevin schmiss seine Tasche auf den Betonboden. »Das sollte selbst bei dir angekommen sein. Oder kriegst du gar nichts mehr mit?«
David zuckte mit den Schultern und setzte sich auf die Holzbank, um seine Schuhe auszuziehen.
»Liegt das an dem Typen vom letzten Sommer?«, fragte Kevin weiter. »Auf den hast du damals so aggressiv reagiert, als er der hier aufgetaucht ist. Was ist da gelaufen? Der war doch total in dich verknallt!«
Hitze schoss durch Davids Körper und er sprang wütend auf.
»Wie kommst du denn auf den Scheiß?«, blaffte er seinen Freund an.

»Der war doch nicht in mich verknallt!«

Kevin schien erst von Davids Wutausbruch überrascht, dann brach er in Lachen aus.
»Natürlich war der das. Ich hab das sofort gesehen. Und mal ehrlich: So wie du reagiert hast, muss zwischen euch in diesen paar Tagen in Norwegen echt was Dramatisches vorgefallen sein.«
»Schweden!«
»Was?«
»Das war in Schweden, nicht in Norwegen!«
Kevin machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Der hat sich ja offenbar bis in unser Dorf durchgeschlagen, nur um mit dir zu reden. Hast du mit dem das Gleiche gemacht, wie jetzt mit Kristin? Einfach den Schwanz einziehen und abtauchen?«
David war schwindelig. Der Raum um ihn herum drehte sich, der Boden schien wie bei einem Erdbeben zu wanken. Er setzte sich hin, damit er nicht das Gleichgewicht verlor. Kevins Worte ließen aus dem Sturm einen Orkan werden. Konnte es sein, dass sein Verhalten einem Muster folgte? Verdammte Scheiße! Ihm wurde schlecht.
»Alles in Ordnung mit dir?«, erkundigte sich Kevin, der offenbar bemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«
David schüttelte den Kopf.
»Was kann ich denn dafür, wenn die Leute sich immer sofort in mich verknallen?«, fragte er erschöpft. Als ihm klar wurde, was er da gerade gesagt hatte, spannte er die Schultern an und sah Kevin geradeaus an. »Und selbst wenn dieser Typ sich in mich verguckt hat, dann ist das doch sein Problem. Ich kann ihm nicht helfen.«
Jetzt schlüpfte er aus den Sneakern, schüttelte die Hose von den Beinen und zog sich das T-Shirt über den Kopf. Er wühlte hektisch seine Sportsachen aus seiner Tasche und zog sich an. Er wollte nicht weiter über Julian reden. Und auch nicht über Kristin. Er wollte überhaupt nicht reden. Aber Kevin war offenbar noch nicht fertig mit ihm.
»Warum dann die Trennung von Kristin?«, erkundigte er sich. »Du hast doch den ganzen Winter über alles für sie getan.«

»Sie ist eben nicht mein Typ«, antwortete David. »So einfach ist das.«

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Kevin ihn an.
»Nicht dein Typ? Was genau ist denn dann dein Typ?«
Das Chaos in Davids Kopf gipfelte in Wut. Er wollte einfach nur noch weg.
»Krieg du mal dein eigenes Leben auf die Reihe, dann reden wir weiter!«, blaffte er Kevin an und marschierte an ihm vorbei in die Sporthalle.
Im gleichen Moment wusste er, dass er Kevin unrecht getan hatte. Aber er wollte jetzt nicht mehr umkehren.
»Idiot!«, rief Kevin ihm noch nach, doch die zufallende Tür unterbrach jedes weitere Wort.
In der Halle wartete Björn schon auf sie. Der Trainer sah David erstaunt an, denn offenbar hatte er die letzte Beschimpfung von Kevin noch mitgekommen.
»Alles okay bei euch?«, fragte er.
»Nur ein bisschen Stunk, mehr nicht«, gab David zurück und trat an eine der Tischtennisplatten, um mit einem Ball Aufschläge zu üben.
»Bei den Mädchen scheint auch gerade die Welt unterzugehen«, sagte Björn mit leicht genervtem Ton in der Stimme. »Kristin heult und Paula redet die ganze Zeit auf sie ein. Habt ihr euch getrennt?«
»Warum wollen eigentlich alle von mir immer wissen, was in der Welt passiert?«, konterte David und knallte den Ball mit so großer Wucht an die Hallenwand, dass er eingedrückt auf die Erde fiel.
»Ehrlich gesagt habe ich gehofft, dass die Pubertät bei euch mal so langsam vorbei ist«, stöhnte Björn. »Aber offenbar habe ich mich da getäuscht.«
Frustriert hob David den kaputten Ball auf und steckte ihn in seine Hosentasche. Er hatte Kristin nicht verletzen wollen. Aber er hatte den Eindruck, dass es für eine ausführliche Erklärung oder sogar eine Entschuldigung zu spät war.

Ein paar Minuten später schlug Kevin ihm die Bälle in einer solchen Schärfe um die Ohren, dass David kaum hinterherkam. Er versuchte, die Oberhand über das Spiel zu bekommen, doch immer, wenn er sicher war, den Ball zu erwischen, spielte Kevin ihm diesen in einem nicht erreichbaren Winkel zu.
»Was ist los?«, fragte David und sah seinen Freund wütend an.
»Das fragt der Richtige! Sag du es mir!«
»Willst du mir jetzt den Rest des Tages vorhalten, dass ich mich bescheuert verhalten habe?«
Kevin setzte zu einem neuen Aufschlag an und schmetterte den Ball flach über das Netz. David verfehlte ihn.
»Nicht nur den ganzen Tag. Auch länger, wenn du nicht den Mund aufmachst und sagst, was mit dir los ist.«
»Was genau willst du denn von mir hören?«
Kevin legte den Schläger ab und stützte sich mit den Händen sich auf die Platte.
»Du verhältst du in letzter Zeit echt eigenartig. Du redest kaum noch.« Er machte eine Pause. »Du trennst dich Hals über Kopf, ohne Erklärung, ohne ein einziges Wort zu Kristin. Oder wenigstens zu mir. Keiner von uns kapiert, was du da tust.«
David zuckte mit den Schultern. Er fühlte sich mies. Wie der letzte Versager, der nichts mehr auf die Reihe kriegt.
»Du hättest ihr wenigstens sagen können, was mit dir los ist. Warum du nicht mehr mit ihr zusammen sein willst. Das hat sie verdient. Immerhin wart ihr ein paar Monate zusammen.«
Als David nicht antwortete, seufzte Kevin.
»Hör mal: Wenn du schwul bist, dann ist das echt in Ordnung für mich«, sagte er. »Ich hab kein Problem damit.«

»So ein Quatsch«, wehrte David ab. »Ich bin doch nicht schwul!«

Kevin ließ den Ball über die Platte rollen und schien nachzudenken.
»Und dann diese Kündigung in der Physio-Praxis. Du hast doch immer gesagt, dass du genau das machen willst. Und dann erfahre ich über Umwege, dass du da aufhörst. Ist das nicht alles ein bisschen überstürzt?«
Für David war das alles andere als überstürzt, aber er verhandelte ja auch schon seit einem Jahr mit sich selbst, ob er die Ausbildung abbrechen sollte, oder nicht. Immer wieder hatte er sich Termine gesetzt, bis wann er eine endgültige Entscheidung treffen wollte. Und immer wieder hatte er die Entscheidung vor sich her geschoben, weil er Schiss vor dem hatte, was danach kommen würde. Vor einer Woche hatte er dann einfach die Geduld mit sich selbst verloren und Nägel mit Köpfen gemacht. Sein Chef hatte nicht gerade erfreut reagiert, schließlich musste er Davids Patienten absagen und neue Termine mit ihnen vereinbaren.
»Ich fange im Brüllenden Bullen an«, sagte David.
Kevin riss die Augen auf. »Beim alten Konrad? Bist du bescheuert?«
»Ich will halt was Neues machen. Und so viele Möglichkeiten gibts auf die Schnelle hier in der Gegend nicht.«
Kevin verdrehte die Augen.
»Das ist eine Schwachsinnsidee. Ausgerechnet im Bullen! Mit Konrad kommt doch keiner klar. Der nutzt seine Mitarbeiter aus, bis sie nicht mehr können. Und dann ekelt er sie raus. Mit meiner Cousine hat er das so gemacht. Erst vor einem dreiviertel Jahr.«
David zuckte mit den Schultern. Klar hatte er schon viele Geschichten über Konrad gehört. Und er wusste auch, dass er nicht der umgänglichste Chef war. Aber er mochte den Bullen. Immerhin traf er sich da regelmäßig mit den Jungs aus dem Dorf.
»Morgen früh um sechs gehts los«, sagte er, um seine Entscheidung zu untermauern. Jetzt konnte er nicht mehr zurück.
»Was zahlt er dir?«, fragte Kevin provokant.
»Ist das so wichtig?«
»Ich wette, er zahlt dir nicht mal den Mindestlohn.«
»Neun Euro.«
Kevin brach in schallendes Gelächter aus.
»Für neun Euro würde ich mich nicht morgens um fünf aus dem Bett quälen. Gisela zahlt zwölf für ihre Hilfskräfte. Dann stinkst du zwar nach Schweinescheiße, aber immerhin kommst du damit durch den Monat.«
»Ich arbeite doch nicht im Schweinestall!«
»Warum denn nicht? Ich kann meine Tante fragen, ob sie noch jemanden braucht.«
David schüttelte energisch den Kopf. »Ne, lass mal. Ich komm schon klar.«
»Um sechs im Bullen«, lachte Kevin. »Ich glaubs nicht.« Er beugte sich nach vorne und schnappte sich den Ball, der ans Netz gerollt war. »Ich werde an dich denken, wenn ich mich im Bett noch einmal herumdrehe und mir vorstelle, wie sich Paula dazu legt.«
Diesmal stöhnte David. »Ich weiß nicht, ob ich deine Fantasien so genau hören will.«
»Das kann ich mir vorstellen!«, antwortete Kevin und setzte zum nächsten Aufschlag an.
Das Spiel war jetzt ruhiger, dennoch war David am Ende des Trainings völlig verschwitzt und schleppte sich mit letzter Kraft in die Umkleiden. Die Mädchen hatte sich während des Trainings von ihm ferngehalten und Paula hatte ihm manchmal aus der Entfernung auffordernde Blicke zugeworfen, so als wollte sie ihm signalisieren, doch endlich zu einer Entschuldigung herüberzukommen. Doch David hatte sich dazu nicht aufraffen können. Ihm fehlte die Kraft zu dieser Konfrontation.
Während er eine Weile gedankenverloren auf der Bank vor sich hin stierte, zog sich Kevin aus. Er zerrte sein Handtuch aus der Tasche und wandte sich dann zu David um.
»Was ist?«, fragte er. »Willst du nicht duschen?«
Er trat vor David, sodass der den Kopf in den Nacken legen musste, um Kevin nicht auf den nackten Bauch oder sogar auf den Schwanz zu gucken. Er schüttelte den Kopf.
»Ich will gleich noch ne Runde joggen«, sagte er zur Erklärung. »Ich dusche dann zu Hause.«
Wieder lachte Kevin.

»Du hast Schiss, dass du einen hochkriegst, wenn du mit mir duschst. Das ist es.«

»Quatsch!«
Kevin zuckte mit den Schultern.
»Wie du meinst.« Er drehte sich um und schlenderte zu den Duschen. »Ich verstehe dich einfach nicht«, rief er, als er das Wasser anstellte. »Du bist echt schräg zurzeit.«
David stopfte seine Klamotten in die Tasche, trank einen Schluck Wasser aus seiner Flasche, lehnte sich für ein paar Sekunden an die raue Wand unter den Kleiderhaken und schloss die Augen. Er hörte das Wasser der Dusche rauschen, er roch den Schweiß, der sich im Laufe der Jahre in die kargen Möbel der Umkleide gefressen hatte, und er schmeckte die bittere Erkenntnis auf seiner Zunge, dass er sich selbst nicht mehr verstand. Ja, er war schwul. Im letzten Sommer hatte er genau das in den Tagen mit Julian endgültig kapiert. Und offenbar wussten auch alle anderen um ihn herum, dass er auf Männer, auf Jungs stand. Seine Mutter, Kevin, vermutlich auch Kristin. Aber er selbst schaffte es nicht, dieses Wissen zu akzeptieren. Er wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen. Kevin hatte recht: Er hatte Schiss. Er wollte nicht der Aussätzige hier im Dorf sein. Auch wenn ihn bislang niemand mobbte. Aber wenn er erst einmal offen dazu stehen würde, wie er wirklich gestrickt war, dann würde das die Runde machen. Und nicht alle waren so offen wie Kevin und seine Mutter. Von Konrad, seinem neuen Chef, hatte er sogar schon einige ziemlich erniedrigende Kommentare gehört. Er wollte sich nicht den neuen Job kaputtmachen, bevor er ihn angetreten hatte.
David drückte sich von der Wand ab und schnappte seine Tasche. Ohne sich von Kevin zu verabschieden verließ er die Umkleide, schnallte draußen seine Sachen auf den Gepäckträger und schob sein Rad nach Hause. Morgen würde ein neuer Abschnitt seines Lebens beginnen. Und schon wieder hatte er Schiss. Diesmal, weil er nicht wusste, ob er dem Job in Kneipe, Restaurant und Hotel gewachsen war.

© Stephan Meyer, Köln 2022 – Alle Rechte vorbehalten


Das war das fünfte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare.

Wie soll sich David denn jetzt verhalten? Was soll er tun? Kannst du seine Verzweiflung verstehen?


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Dorfidylle # 04

Hochsitz.

Erschöpft verließ David den Brüllenden Bullen und schob sein Fahrrad auf die menschenleere Dorfstraße. Er war zufrieden mit sich, weil er den Job bekommen hatte. Aber er ärgerte sich auch über den von Konrad festgelegten Stundenlohn. Das war wirklich mickrig wenig und er würde sich einschränken müssen, zumindest wenn er irgendwann einmal bei seiner Mutter ausziehen wollte.

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Von Westen zog eine Regenfront auf ihn zu, aber er wollte jetzt nicht nach Hause gehen. Denn er war sich sicher, dass es seiner Mutter noch nicht besser ging. Er brauchte jetzt einen Moment für sich allein. Also schwang er sich auf sein Rad und radelte auf den Wald zu. Der drohende Regen war ihm egal, später würde er sowieso noch zum Tischtennistraining gehen und musste danach duschen. Außerdem konnte er sich im Wald unterstellen, wenn es zu ungemütlich wurde.
Er überquerte nach einem Kilometer die Autobahn, die die Landschaft in zwei Hälften schnitt, bog in einen Waldweg ab und sog den Duft des nahenden Frühlings tief in seine Lungen ein. Auf einer freien Fläche konnte er in der Entfernung das Dach des Internats ausmachen, entschied sich aber, einen großen Bogen um die Einrichtung zu machen und keuchte, als er einen steilen Abhang hochfuhr.
Plötzlich tauchte vor ihm der Hochsitz auf, den er erst einmal bestiegen hatte. David bremste und ließ sein Fahrrad auf den Waldboden fallen. Prüfend umrundete er die Konstruktion, die ursprünglich für Jäger gebaut, aber offenbar seit Jahren nicht mehr genutzt worden war. Erinnerungen schossen ihm durch den Kopf. Der Nachmittag vor ein paar Monaten, als er Julian hier getroffen und ihm das Angebot gemacht hatte. Die körperliche Nähe, die er mit Julian erlebt hatte. Die Zurückweisung. Und nicht zuletzt seine Sehnsucht nach ihm. Wieso hatte David sich damals bloß so bescheuert verhalten?
Als es im Wald hinter ihm knackte, wirbelte er erschrocken herum und einen Moment lang glaubte er, Julian wäre hier. Aber er hatte sich getäuscht. Ein Reh sprang aus der Dämmerung des Waldes heraus und rannte über die Wiese unterhalb des Hochsitzes. Warum sollte Julian hier auch gerade jetzt auftauchen? Er konnte ja nichts davon wissen, wo David war. Außerdem hatte Julian sehr deutlich gemacht, dass er auf einen Kontakt mit David keinen Wert mehr legte.
David legte die Hände an die Leiter und blickte nach oben. Die Sprossen waren mit Moss bedeckt und wirkten glitschig. Trotzdem setzte er den rechten Fuß auf die unterste Leiste und stieg vorsichtig in die Höhe. Oben sah noch alles so aus wie beim letzten Mal. In der Ecke lag eine Decke, die Dose mit den Keksen war noch da. Und die auch der kleine Holzkasten mit den Büchern wirkte unberührt. Blätter vom letzten Herbst und der Staub des Winters überdeckten alles. David hatte den Eindruck, dass seit seinem letzten Besuch auf diesem Hochsitz niemand mehr hiergewesen war. Dabei hatte Julian doch erzählt, dies sei sein Rückzugsort, wenn er es im Internat nicht mehr aushielt und allein sein wollte.
David stellte sich an die Brüstung und ließ den Blick über die Wiese und die dahinter wuchernden Wälder schweifen. Erneut sog er den Geruch des Waldes ein. Der Frühling machte sich allmählich breit, an den Laubbäumen zeigten sich die frischen Knospen und hellgrüne Blätter drängten ans Licht. Noch war es kühl, doch wenn der Mai in ein paar Tagen begann, dann würde es bestimmt auch endlich wärmer werden. David sehnte sich nach Sonne und Wärme wie selten zuvor.
Er blieb auf dem Hochsitz, bis sich irgendwann seine Blase meldete. David atmete tief durch und wäre lieber hier oben geblieben, etwas abgehoben über der Welt, auf dem Beobachtungsposten, anstatt wieder in die Realität herabzusteigen, die ihm im Moment viel zu viele Veränderungen einbrockte. Beim Abstieg schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, all seine Entscheidungen der vergangenen Tage wieder rückgängig zu machen. Doch als er den weichen Waldboden unter seinen Schuhen spürte, wurde ihm klar, dass dieser Gedanke Mist war.

Er hatte sich entschieden. Und das war gut so.

Im Haus war es still. David stand eine Weile mit dem Schlüssel in der Hand im Flur und lauschte. Von seiner Mutter war nichts zu hören. Vielleicht schlief sie. Oder war weggegangen. Obwohl sie das eigentlich nie tat, es sei denn, sie musste in den Supermarkt oder zum Arzt. Und selbst dann kam David in der Regel mit. Allein konnte sie das noch nicht.
»Mama?«, rief er halblaut ins stille Haus hinein.
Aus der Etage über ihm hörte er tapsende Schritte. Seine Mutter erschien am oberen Treppenabsatz und sah zu ihm herab.
»Wie ist es gelaufen?«, fragte sie und David meinte in ihrer Stimme ein leichtes Zittern zu hören.
»Ich fange morgen an«, sagte David.
Seine Mutter nickte nur und schlurfte in ihr Zimmer zurück.
David streifte sich die Schuhe von den Füßen und hängte seine Schlüssel an das Schlüsselbrett mit der kleinen Figur des Heiligen Antonius. Er verbrachte den Rest des Tages im Garten und scrollte durch die Instagram-Profile seiner Freunde in Berlin. In der Hauptstadt schien alles beim Alten. Seine Freunde cruisten durch die Stadt, gingen auf Partys und posteten jeden ihrer Schritte für den Rest der Welt. Er selbst hatte seit einem halben Jahr kein neues Bild mehr in sein Profil eingestellt, konnte sich aber auch nicht dazu durchringen, seinen Account zu löschen. Nicht solange er zumindest auf diesem Weg noch an seinem alten Leben teilhaben konnte. Wenn er noch in Berlin leben würde, dann würde er vermutlich irgendwas studieren. Nicht, weil ihn ein Studium besonders reizte, sondern eher, weil ihn das Leben, das er damit verband, anzog.
Er checkte auch das Profil von Julian. Das tat er fast täglich, seit sie sich nicht mehr sahen. Doch das Ergebnis war immer das gleiche: keine Fotos von Julian, nichts, was Genaueres von seinem Leben erzählte, sondern kurze Buchrezensionen, hin und wieder ein Detail vom alten Gemäuer des Internats oder ein Blick über die Landschaft, vermutlich aus seinem Fenster geschossen. David hätte gerne Julians Gesicht mal wieder gesehen. Er hatte es natürlich immer noch im Kopf und wenn er die Augen schloss, dann stand Julian wieder von ihm. Julian in Schweden in seiner Hängematte, Julian auf dem Fahrrad, Julian mit zerstrubbelten Haaren im Bett. Und auch Julian auf dem Steg, wie er mit verzweifeltem Gesichtsausdruck dem Kanu nachstarrte, in dem David saß. Bis zu diesem Moment, nein, bis fünfzehn Minuten vorher, hatte sich alles genau richtig angefühlt. Dort oben in Schweden hatte sich David zum ersten Mal in seinem Leben vollkommen geborgen gefühlt. Und doch hatte er die ganze Zeit genau gewusst, dass auch dieses Gefühl vorüberziehen würde, so wie alles endete, was er liebte. Er hatte versucht, den Gedanken an den Abschied zu verdrängen, und manchmal war ihm das sogar gelungen. Doch das hatte nicht darüber hinwegtäuschen können, dass der Aufbruch immer näher gerückt war. David stöhnte. Er hatte das Ganze so was von verbockt.
Als er auf die Uhr sah, sprang er auf. Beinahe hätte er das Training vergessen. Schnell suchte er seine Klamotten zusammen, fand den Tischtennisschläger unter seinem Schreibtisch auf dem Fußboden, rief seiner Mutter zu, dass er zum Sport ging, und schwang sich auf sein Fahrrad, das draußen an der Hauswand lehnte. Im Gegensatz zu Berlin musste er hier das Rad noch nicht einmal abschließen, weil in diesem Dorf angeblich noch nie ein Fahrrad geklaut worden war. Er raste den Schotterweg vor dem Haus entlang, bog in die Hauptstraße ein und erreichte die Sporthalle kurz vor Beginn des Trainings.
Vor der Halle standen die anderen und Kristin sah ihn entsetzt an. David stöhnte. Damit hätte er rechnen können. Jetzt war es für eine Umkehr zu spät.

© Stephan Meyer, Köln 2022 – Alle Rechte vorbehalten


Das war das vierte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare.

David hat wirklich eine Menge Zeug um die Ohren. Der neue Job, die kranke Mutter und die immer wiederkehrenden Gedanken an Julian. Was sollte er deiner Meinung nach tun? Sollte er doch wieder Kontakt zu Julian aufnehmen?


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Dorfidylle - Der Fortsetzungsroman

Dorfidylle # 03

Zum brüllenden Bullen.

Bevor David den Gasthof Zum brüllenden Bullen erreichte, hielt er an einer Weide noch einmal an. Er ließ den Blick über die grasenden Kühe auf den Wiesen streifen. Die Luft war angenehm warm und ein leichter Wind strich ihm über die nackten Unterarme. Der Duft der Tiere wehte zu ihm herüber. In der Ferne hörte er einen Trecker. Hinter der Weide stieg die Landschaft leicht an und war von dunkelgrünen Tannen bedeckt. Als er im hellen Licht der Sonne die Augen ein wenig zusammenkniff, konnte er den Hochsitz erkennen. Dort oben hatte er im letzten Spätsommer mit Julian darüber geredet, wie er sich eine Beziehung vorstellte. Doch er hatte dabei nur an sich gedacht, nicht an den attraktiven Jungen neben sich. Der hatte das natürlich bemerkt und war stinksauer abgezogen. Seitdem hatten sie sich nicht mehr gesehen, obwohl das Internat, in dem Julian bestimmte immer noch lebte, nur ein paar Kilometer entfernt lag.

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David verfluchte sich, dass er sich damals so bescheuert verhalten hatte. Sie hatten geneinsam eine so schöne Zeit in Schweden verbracht – alles hatte darauf hingedeutet, dass aus ihnen beiden mehr hätte werden können. Aber David hatte es verbockt. Seine Versuche, mit Julian noch mal Kontakt aufzunehmen, waren in den Wochen danach gescheitert. In gewisser Hinsicht konnte David ihn verstehen. Wer wollte schon eine heimliche Beziehung und ein ewiges Versteckspiel spielen? Dafür hatte er sich den Falschen ausgesucht. Aber vergessen hatte er Julian seitdem nicht mehr.
David streckte den Rücken durch. Er musste seine Sehnsucht jetzt für eine Weile zur Seite schieben. Er hatte ein Gespräch zu führen. Und wenn er ehrlich zu sich war, dann war er ziemlich aufgeregt. Andere Chancen hatte er hier in der Gegend nicht. In den letzten Monaten hatte er sich umgehört, um eine Arbeit zu finden. Natürlich suchten die Bauern der Region immer nach Hilfskräften. Aber David konnte sich nicht vorstellen, in einem Stall zu arbeiten oder bei der Weinlese zu helfen. Alexander würde ihm vermutlich sofort einen Job vermitteln. Aber David wollte lieber im Service arbeiten, anstatt bei Wind und Wetter mit dem Trecker über einen verdreckten Hof zu kurven. Also sollte er sich jetzt von seiner charmantesten Seite zeigen.
Er umfasste fest die Lenker seines Fahrrads und schwang sich wieder auf den Sattel. Zwei Minuten später fuhr er auf den Hof des Landgasthofs. Das Gebäude war sicherlich zweihundert Jahre alt. Die Holzbalken waren verwittert und verströmten den angenehmen Charme eines familiengeführten Betriebs. An die Gaststätte war ein für die Umgebung eigentlich viel zu schickes Hotel angeschlossen, doch offenbar gab es genug Gäste, die bereit waren, die gesalzenen Preise zu zahlen. Die Auffahrt war mit hellem Kies bestreut, alte landwirtschaftliche Gerätschaften, deren ursprüngliche Funktion David nicht kannte, waren auf den Vorplatz aufgestellt und mit üppig blühenden Geranien geschmückt. Alle das erweckte den Eindruck von Gastfreundlichkeit.
David stellte sein Rad neben einem alten Stall ab, in dem längst keine Tiere mehr gehalten wurden, und ging gemächlich auf den Haupteingang des Gebäudes zu. Er war schon oft hier gewesen, denn dies war die einzige Gaststätte in der Umgebung von zwanzig Kilometern und wenn er sich mit seinen wenigen Kumpels auf ein Bier treffen wollte, blieben ihnen nicht viele andere Möglichkeiten.
Er zog die schwere Tür auf und tauchte in die Gemütlichkeit des Landgasthofes ein. Rechts befand sich der Empfang des Hotels, der gerade nicht besetzt war, und links ging es in den Gastraum. David war einen Moment lang unschlüssig, ob er die Klingel auf dem Tresen bedienen sollte oder besser nachsah, wer gerade hinter der Theke arbeitete. In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Gastraum und Timo, einer der Angestellten, mit dem er schon viele Abende trunken an der Bar verbracht hatte, stürmte heraus.
»Dann mach deinen Scheiß doch alleine!«, fluchte er und stoppte, als er David bemerkte. »Was machst du denn hier?«, fragte er erstaunt. Dann brach er plötzlich in Lachen aus. »Du bist das! Konrad hat gesagt, dass sich heute ein neuer Kollege vorstellt.« Er schlug David freundschaftlich auf die Schulter. »Dann viel Spaß mit dem alten Griesgram. Der hat beschissene Laune und wird dich beim Lohn in Grund und Boden handeln. Zwölf Euro, sag ich dir. Nichts drunter!«
Timo schob die Außentür auf und verschwand im hellen Licht des Tages. Na großartig, dachte David. Da hatte er ja offenbar den richtigen Moment erwischt. Er öffnete die Tür zum Gastraum und stand Konrad direkt gegenüber.
»Dann verzieh dich doch!«, blaffte der ihn an, bevor er stutzte und David erkannte. »Dieser Idiot versucht mich seit Monaten zu bescheißen. Aber das lasse ich nicht mit mir machen!«
Er wandte sich um und ging auf die Theke zu. Als David ihm nicht sofort folgte, sah er ihn fragend an.

»Willst du da Wurzeln schlagen oder hier arbeiten?«

Also setzte sich David in Bewegung und da ihm kein anderer Sitzplatz angeboten wurde, setzte er sich auf einen der im Boden festgeschraubten Barhocker. Konrad umrundete den Tresen, stemmte sich mit den Armen auf die Ablage und fixierte David. Alles in diesem Raum war alt. Aber nicht heruntergekommen alt, sondern rustikal und antik. Die Tische standen sicherlich schon seit hundert Jahren hier, die Stühle vermutlich nur wenig kürzer. Auf dem Boden lagen helle Dielen, denen man ansah, dass sie vor nicht allzulanger Zeit abgeschliffen worden waren. Die Wände waren mit Kupferstichen mit Motiven der Region geschmückt. Und das dunkle Holz der Theke hätte sicherlich ausführliche Geschichten erzählen können, wenn ihr nur mal jemand das Sprechen beigebracht hätte.
»Du willst hier also arbeiten?«
David nickte.
»Kannst du auch sprechen oder muss man dir die Worte aus dem Mund ziehen?«
David schluckte. »Ja, also, ich würde hier wirklich gerne arbeiten. Ich kenne deine Gaststätte ja auch ganz gut und weiß …«
»Du bist nicht zum Saufen hier, das ist dir doch klar, oder?«, unterbrach Konrad ihn. »Ich kriege das ziemlich schnell mit, wenn einer meiner Angestellten versucht, mich zu beklauen. Bier kostet Geld. Auch für mich.«
»Wenn ich arbeite, trinke ich nie!«, erwiderte David entrüstet. »Man muss nüchtern sein …«
»Nie?«, fragte der Wirt skeptisch. »Was ist, wenn einer der Gäste dir ein Bier ausgibt? Lehnst du das dann ab?«
David hatte den Eindruck, von den Augen vor sich durchbohrt zu werden. Klar, das war eine Fangfrage.
»Ich würde erst mal versuchen, den Gast zu einer Cola für mich zu überzeugen.«
»Nicht alle unserer Gäste verstehen das. Für den einen oder anderen ist das schon ein Affront.«
»Ich kenne mich mit Menschen eigentlich ganz gut aus«, sagte David betont ruhig. »Und ich kann sehr überzeugend sein.« Er lächelte.
Konrad nickte mürrisch.
»Hast du Gastro-Erfahrung?«
»Ich hab mal bei der Hochzeit einer Freundin …«
»Du weißt über unsere Gäste Bescheid?« Konrad sah ihn herausfordernd an und bevor David etwas erwidern konnte, fuhr er schon fort: »Das Internat kennst du vermutlich. Reiche verzogene Kinder. Die Eltern kommen hin und wieder zu Besuch. Und weil die natürlich nicht im Internat untergebracht werden können, kommen die dann zu uns. Die haben hohe Ansprüche und denen werden wir gerecht. Immer und ohne Ausnahme.« Konrad verdrehte die Augen. »Und dann ist da noch der Graf von Lehengrund zu Schallenberg. Ohne den geht hier in der Gegend nichts. Seine Geschäftsfreunde gehören ebenfalls zu unseren Gästen.« Er fixierte David. »Kapiert?«
David nickte zögernd, wusste aber nicht, was er dazu sagen sollte.
»Frühaufsteher?«
»In der Praxis habe ich zwar meist erst um neun angefangen, aber …«
»Morgen früh. Punkt sechs. Wir haben gerade zwar nicht viele Gäste, aber die müssen trotzdem frühstücken. Alina wird dir alles zeigen.«
Damit schien für Konrad das Gespräch beendet zu sein und er wandte sich ab, um in die Küche hinter dem Gastraum zu gehen.
»Äh, wie ist das mit dem Gehalt?«, fragte David zögerlich.
Konrad verharrte in der halbgeöffneten Tür. Ohne den Kopf zu drehen, fragte er: »Geld! Alle wollen immer Geld von mir.« Er schnaufte entnervt.

»Acht Euro. Plus Trinkgeld.«

»Die anderen hier kriegen zwölf.«
»Du bist neu. Du hast keine Routine. In der ersten Zeit wird es mich mehr kosten, dich hier arbeiten zu lassen, als dass ich daran was verdiene. Neun. Keinen Cent mehr!«
Konrad drückte die Pendeltür ganz auf und stapfte in die Küche. Hinter ihm schwang die Tür einen Moment lautlos hin und her.

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Das war das dritte Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare.

David hat seinen Job gewechsel. Weg von der Pysiotherapie, rein in die Gastronomie. Ob das eine schlaue Entscheidung war? Und Julian kriegt er offenbar auch nicht aus dem Kopf? Was glaubst du, wie er damit klarkommen wird?

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Dorfidylle # 02

Aufbruch.

David hatte den ersten Schritt getan. Jetzt musste er die Konsequenzen daraus ziehen. Er strich sich mit gespreizten Fingern durch das nasse Haar und betrachtete nachdenklich sein Spiegelbild im engen Badezimmer, das er noch immer mit seiner Mutter teilte. Auch das sollte er bald ändern. Er konnte schließlich nicht ewig mit seiner Mutter zusammenleben. Er war bereits zwanzig. Die meisten seiner Freunde waren längst von zu Hause ausgezogen. Zumindest die, mit denen seine Zeit in Berlin verbracht hatte. Hier auf dem Dorf war es dagegen fast normal, möglichst lange bei den Eltern wohnen zu bleiben. Mit dieser Situation wollte er sich nicht abfinden, obwohl seit dem Umzug schon zwei Jahre vergangen waren. David seufzte. Er lebte in diesem verdammten Dorf und kam hier nicht weg. Natürlich hätte er einfach seine Sachen packen und zurück nach Berlin gehen können. Aber er wollte seine Mutter nicht allein lassen. Nicht nach all dem, was passiert war. Nicht, solange es ihr nicht wirklich besser ging. Und das konnte noch Jahre dauern. Zumindest wenn sie sich nicht endlich mit ihrer Krankheit abfand und sich professionelle Hilfe holte.

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»David!« Seine Mutter rief aus dem Erdgeschoss herauf. »Musst du nicht langsam los?«
Er zuckte zusammen. Auch das stand ihm noch bevor: Er musste ihr sagen, welche Entscheidungen er getroffen hatte. Er schnappte sich ein sauberes T-Shirt und streifte es über. Ein letzter kritischer Blick in den Spiegel: Das Shirt fiel locker von seinen Schultern, ohne den Bauch zu berühren. Das musste reichen. Dann ging er die Stufen der Holztreppe betont langsam herunter und begrüßte seine Mutter in der Küche mit einem gehauchten Kuss auf ihre Wange.
»Bist du nicht schon viel zu spät?«, erkundigte sie sich und stellte ihm einen Kaffee hin. »Oder hast du heute keine Patienten?«
David schnitt sich eine Scheibe Brot ab und legte sie auf seinen Teller. Gerade wollte er ihr sagen, was er ihr sagen musste, als seine Mutter mit einer enthusiastischen Geste auf eine Postkarte wies, die neben der Tageszeitung lag.
»Dein Vater hat dir geschrieben.«
David nahm die Karte in die Hand. Auf der Vorderseite war die Oper von Sydney zu sehen. Auf der Rückseite standen die üblichen Grüße.
»Ich wollte immer mal nach Australien«, sagte seine Mutter.
»Warum fährst du dann nicht hin?«, fragte David.
Er beugte sich ein wenig nach hinten und warf die Karte zielsicher ins Altpapier.
»Du könntest sie wenigstens für ein paar Tage an den Kühlschrank hängen.«
David spürte Wut in sich aufsteigen.
»Wozu? Um dein Gewissen zu beruhigen?«
»Ach David, wir müssen doch nicht schon wieder streiten.«
Das bis gerade noch betont fröhliche Gesicht seiner Mutter verzog sich wie unter einem dumpfen Schmerz und ihre Mundwinkel zuckten. David starrte auf sein Brot.
»Ich habe gekündigt«, platzte es aus Daniel heraus. »Schon vor einem Monat. Gestern war mein letzter Tag.«
»Warum das denn?«, fragte seine Mutter entsetzt. »Du warst doch ganz glücklich in der Praxis. Und warum hast du mir nichts davon erzählt?«
David stöhnte genervt und seufzte.
»Ich muss mein Leben mal auf die Reihe kriegen.«
»Indem du deinen Job kündigst?«
»Du arbeitest gar nicht – schon vergessen?«
»Du weißt genau, warum!«
»Allerdings. Aber du hast keine Ahnung, was in mir los ist.«
Kurz huschte ein Lächeln über das Gesicht seiner Mutter.
»Ich weiß, dass du schwul bist. Deshalb hast du dich von Kristin getrennt, nicht wahr?«

»Mama! Ich bin nicht schwul!«

Nervös zupfte er an seinem T-Shirt.
Sie nickte. Dann strich sie ihm sanft über die Haare. Schnell duckte sich Daniel weg. Ihm war diese Nähe eindeutig zu viel.
»Und was willst du jetzt tun?«, erkundigte sich seine Mutter. »Du musst ja von irgendwas leben.«
David trank den letzten Schluck Kaffee, erhob sich und stellte die Tasse in die Spülmaschine.
»Ich bin gleich mit dem Wirt im Brüllenden Bullen verabredet. Der braucht Personal im Service.«
»Du willst bei Konrad arbeiten?« Die Stimme seiner Mutter klang gepresst. »Bist du dir sicher, dass das eine gute Entscheidung ist?«
»Im Moment ist alles besser, als den ganzen Tag an alten Leuten herumzukneten und sich von ihnen das Gejammer über ihre Wehwehchen anzuhören.«
»Aber ausgerechnet bei Konrad …«
David warf seiner Mutter einen irritierten Blick zu.
»Was weißt du denn schon von Konrad. So weit ich mich erinnere, bist du in der ganzen Zeit, die wir hier leben, nicht ein einziges Mal im Bullen gewesen.«
Mit leicht gerötetem Gesicht lehnte sich seine Mutter an den Küchentisch und verzog das Gesicht.
»Du hast keine Ahnung, wie er ist. Er ist falsch.«
»Du kennst ihn doch gar nicht. Vermutlich hast du nur irgendwelche Gerüchte über ihn gehört, mehr nicht. Und mir ist es egal, was andere Leute sagen. Ich mache mir mein eigenes Bild.«
»Ich kenne Konrad von früher«, erwiderte sie. »Das ist lange her. Und ich weiß, dass er ein schlechter Mensch ist.«
»Du spinnst! Niemand ist einfach nur ein schlechter Mensch.«
»Ich verstehe dich nicht«, jammerte seine Mutter jetzt. »Du wirfst dein Leben einfach weg, als hättest du noch ein zweites im Kühlschrank. Ohne eine fundierte Ausbildung wirst du irgendwann auf der Straße landen.«
David stöhnte. »Seit wann interessiert dich das? Dir geht es doch immer nur um dich!«
Seine Mutter sackte auf einen der Küchenstühle. Ihre Schultern zuckten, während sie verneinend ihren Kopf schüttelte.
»Ich will doch nur dein Bestes!«
Sie vergrub das Gesicht in den Händen. In Davids Magen zog sich alles zusammen.

Aber er wollte nicht mehr still sein.

»Mama!«, raunte er. »Das weiß ich doch.« Er stellte sich hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Du musst dich endlich um einen Therapeuten kümmern.«
Er spürte, wie sich ihre Muskeln unter seinen Fingern anspannten. Sie hatten schon sooft darüber gesprochen. Immer wieder hatte seine Mutter beteuert, mit der Suche zu beginnen. Aber am Ende bleib es bei dem Vorhaben.
»Soll ich für dich bei den Therapeuten anrufen?«, fragte er.
Seine Mutter schüttelte energisch den Kopf.
»Auf keinen Fall!«, flüsterte sie. »Ich komme doch ganz gut klar.« Sie hob den Kopf und wandte sich ihrem erwachsenen Sohn zu. Ein gepresstes Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. »Mir geht es schon viel besser.«
»Das sagst du mir jetzt seit sechs Jahren.« David ließ frustriert die Arme hängen. »Ich will dich nicht noch mal mit einer leeren Packung Schlaftabletten auf dem Sofa finden!«
Ihr Lächeln wurde schlagartig von dem Ausdruck tiefer Traurigkeit abgelöst.
»Das wirst du mir den Rest meines Lebens vorwerfen, oder?«, fragte seine Mutter. »Herrgott noch mal. Ich war in einer echt beschissenen Situation damals. Warum vertraust du mir nicht einfach mal?«
»Ich war vierzehn, Mama. Und ich war damit vollkommen überfordert. Wenn unsere Nachbarn damals nicht gewesen wären, hätte ich einfach daneben gesessen, während du verreckt wärst.«
Wut machte sich auf dem Gesicht seiner Mutter breit.
»Du sprichst über mich, als wäre ich ein Stück Vieh!«
»Dann verhalt dich nicht auch so!«
Impulsiv stieß sich seine Mutter von der Tischkante ab, richtete sich auf und warf dabei den Stuhl nach hinten um. Sie drehte sich zu David herum und starrte ihn fassungslos an.
»Was ist los mit dir?«, fauchte sie. »Bist du frustriert, weil du hier keine Jungs zum Ficken findest? Oder lässt du nur deine schlechte Stimmung an mir aus, weil du keine Ahnung hast, was du mit deinem Leben anfangen sollst?«
Sie marschierte aus der Küche ins Wohnzimmer. David folgte ihr nach ein paar Sekunden und sah, dass sie mit zuckenden Schultern am Fenster stand. Er berührte sie am Oberarm, doch sie entzog sich ihm sofort.
»Wir hätten nicht hierherziehen sollen«, sagte sie. »Wir hätten in Berlin bleiben sollen. Da war doch alles gut.«
»Nichts war gut. Und das weißt du genau. Du hast die ganze Zeit vor dem Fernseher gesessen und dich nicht vor die Tür getraut, weil du dachtest, die Nachbarn würden dich nach dem Selbstmordversuch schief angucken.«
Wütend wirbelte seine Mutter wieder herum.
»Das war kein Selbstmordversuch! Ich konnte einfach nur nicht schlafen und ich da habe ich eben ein paar Tabletten zu viel genommen!«
»Das waren fast vierzig Stück. Und eine Flasche Wodka. Das nimmt kein normaler Mensch, der einfach nur schlafen will!«
»Was willst du von mir, David? Soll ich mich von einer Brücke stürzen, damit du deine Ruhe hast? Willst du das? Soll ich das tun?« Sie schob ihn zur Seite und schnappte sich ihre Jacke vom Kleiderhaken im Flur. »Ich kann sofort losgehen und springen, wenn es das ist, was du willst!«
Sprachlos sah David zu ihr hinüber. Wie flüssiger Teer verdichtete sich das Gefühl in seinem Bauch. Jetzt hatte ihn die Trauer auch überrannt. Er kannte das schon. Immer, wenn seine Mutter so drauf war, wie heute, schwappte irgendwann die Depression zu ihm herüber. Aber das konnte er sich heute nicht erlauben. Er hatte gleich ein Vorstellungsgespräch. Er musste fröhlich und offen wirken, wenn er dem Wirt gegenübersaß.
Seine Mutter sah ihn auffordernd an. Doch als er sich nicht regte, ließ sie den Kopf hängen. Die Jacke, die sie gerade noch in ihren Händen gahalten hatte, fiel auf den Boden. Gebrochen lehnte sich seine Mutter von innen an die Haustür. Dann stürzten ihr die Tränen aus den Augen und sie rutschte an der Holzfläche nach unten. Sie weinte still. Und stürzte damit David in das nächste Gefühlschaos. Ein intensives Gefühl der Liebe schoss ihm durch den Magen und er ging langsam auf seine Mutter zu. Er hockte sich vor sie hin und legte die Arme um sie.
»Ich will, dass er dir gut geht«, flüsterte er.

»Ich will, dass du wieder lachst. So wie früher. Ich will mit dir nach Paris fahren und den Eiffelturm hochklettern.«

Seine Mutter schluchzte noch eine Weile, dann beruhigte sie sich langsam. Endlich hob sie den Kopf und sah ihren Sohn mit verheulten Augen an.
»Das weiß ich doch.« Sie legte ihre Arme um ihn. »Ich verspreche dir, dass ich mich um Hilfe kümmere.«
Vorsichtig strich David ihr über die leicht strähnigen Haare.
»Wir sind doch extra aus Berlin hierhergezogen, weil du hier ein paar Leute aus deiner Vergangenheit kennst. Du hast hier Freundinnen. Warum rufst du sie nicht einfach mal an und verabredest dich mit ihnen zum Kaffee?«
»Mir tut es so leid, dass du das alles ertragen musst.«
»Versprich mir einfach, dass du dich um dich kümmerst.«
»Ich schaff das schon«, murmelte seine Mutter. »Aber überdenk bitte auch noch mal deine Entscheidung. Dein Chef nimmt dich doch bestimmt sofort zurück, wenn du ihn fragst.«
David schüttelte den Kopf. »Nein, Mama. Mit der Physiotherapie habe ich abgeschlossen. Ich muss jetzt was anderes machen. Ich will unter Leute. Unter gesunde Leute. Und deshalb gehe ich für den Anfang in den Bullen. Wenn der Wirt mich haben will.«
»Ich kann mit ihm reden. Er erinnert sich bestimmt noch an mich.«
»Das muss ich jetzt allein machen. Nicht mit meiner Mutter an der Hand.«
Langsam richtete sich David wieder auf und zog seine Mutter dabei mit sich hoch. Sie war noch etwas wackelig auf den Beinen, aber sie machte nicht den Eindruck, als würde sie im nächsten Moment umfallen.
»Ich gehe mal los. Bitte setz dich wenigstens einen Moment draußen in die Sonne. Wir haben einen so schönen Garten.«
Seine Mutter nickte erschöpft. Dann hob sie ihre Jacke auf und hängte sie an den Kleiderhaken. Sie drückte David einen Kuss auf die Wange und schlurfte ins Badezimmer. Die Tür schloss sich leise hinter ihr. David atmete tief durch. Immer noch hatte er einen düsteren Klumpen im Bauch. Aber er war schon etwas kleiner geworden. Wenn er gleich auf dem Rad saß und ins benachbarte Dorf radelte, würde er sich schon auflösen. Das war immer so.
Er schlüpfte in seine Jacke und seine Schuhe, stecke die Schlüssel und sein Portemonnaie ein und verließ das Haus. Nicht ahnend, dass die neue Arbeit zu entscheidenden Veränderungen in seinem Leben führen würde.

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Das war das zweite Kapitel des Fortsetzungsromans Dorfidylle, der ab sofort in diesem Blog erscheint. Hast du Fehler gefunden? Ist irgendwas unlogisch? Schreib es mir unten in die Kommentare.

Und wenn du eine Idee hast, welche Entscheidungen David außer dem Jobwechsel noch gefällt hat, dann bin ich gespannt auf deine Spekulationen.

Hier gehts zum dritten Kapitel


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Dorfidylle # 01

Der Unfall.

Das Auto raste ungebremst auf den Baum zu. David schrie vor Entsetzen. Er rüttelte am Fahrersitz vor sich. Keine Reaktion. Der Baum kam immer näher. Panik. Adrenalin. Weit aufgerissene Augen. Er zerrte an seinem Gurt. Sie hatten den Baum fast erreicht. David schrie nach Julian. Aber der saß ganz ruhig neben ihm. Er zwinkerte nicht einmal, sondern sagte bloß »Du bist auf dem richtigen Weg.« Dann krachte es. Ein Ruck ging durch Davids Körper, als er nach vorne geschleudert wurde und gegen die Rückenlehne des Fahrersitzes knallte. Die Windschutzscheibe zerstob in tausend Splitter. Das Auto wirbelte herum, überschlug sich. Einmal. Zweimal. David wurde hin und her geschleudert. Er krachte mit dem Kopf gegen die Decke, gegen die Seite. Ein Rucksack raste unkontrolliert durch den Raum. Das Fenster links neben ihm zersplitterte.

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Als das Auto endlich zum Stillstand kam, hatte David jede Orientierung verloren. Er schmeckte Blut. Um ihn herum herrschte Totenstille. Das Auto lag auf dem Dach, David klemmte in seinem Gurt. Flüssigkeit sickerte in seine Augen und tauchte alles in einen roten Schimmer. Sein Herz raste, als er zur Seite sah. Bewegungslos hing Julian neben ihm vom Sitz herab. David streckte mit rasendem Puls eine Hand nach ihm aus. Blut rann über Julians Gesicht bis in die Haare und tropfte an die Autodecke. Doch dann öffnete er plötzlich die Augen, blickte David sanft an und sagte: »Vertrau mir.« Dann verlor er das Bewusstsein. Wieder schrie David.

Immer noch schreiend schreckte David hoch und realisierte, dass er in seinem Bett lag. Das T-Shirt war schweißnass. Sein Kiefer schmerzte. Vermutlich hatte er die Zähne krampfhaft zusammengebissen. Langsam ließ er sich zurück auf seine Matratze sinken. Das war nur ein Traum gewesen! Er spürte sein Herz noch immer aufgeregt pulsieren. Nur ein Traum! Über ihm starrte die weiße Zimmerdecke zu ihm herab. Von draußen sickerte das erste Licht des Tages durch die Lamellen der Jalousie. Vermutlich war es noch zu viel früh, um aufzustehen. Doch David befürchtete, den Traum herauszufordern, wenn er die Augen noch einmal schloss. Also schlug er die feuchte Bettdecke zurück und schwang die Beine aus dem Bett.
Was war das gewesen? Er hatte lange nicht mehr von Julian geträumt. Und wie kamen sie zusammen in dieses Auto? Nach und nach drangen die Erinnerungen an den vorherigen Abend in Davids Hirn. Sie hatten zusammengesessen. Tomas und er. Sie hatten eine Weile gezockt und Bier getrunken. Nicht viel, denn David wollte heute fit und wach sein. Er wollte einen guten Eindruck hinterlassen und nicht verkatert wirken. Das kam nicht gut im Gastgewerbe. Müde strich er sich über den Kopf und fühlte an seinen Fingern, dass auch seine Haare nass waren.

Warum Julian?

Tomas hatte von dem Unfall erzählt. Jetzt erinnerte sich David allmählich wieder. Vor zwanzig Jahren war ein Auto auf der Landstraße zwischen dem Dorf und dem Gutshof des Grafen gegen einen Baum gerast. Alle Insassen waren dabei ums Leben gekommen. David selbst muss damals ein Kleinkind gewesen sein. Ein Baby. Und er hat hier im Dorf gelebt. Also hatte er die Leute im Auto vielleicht gekannt. Das war alles kurz bevor sie nach Berlin umgezogen waren. Aber von dem Unfall hat ihm nie jemand erzählt. Die Frau des Grafen sei im Auto gewesen, hatte Tomas gesagt. Und ihre Schwester mit ihrem Mann. Dunkel erinnerte sich David an ein Holzkreuz und Blumen am Rand der Landstraße. Er war schon oft an der Unfallstelle vorbeigekommen, hatte aber nie gefragt, was da passiert war. Er hatte seine Mutter nicht mit solchen Themen aufregen wollen, deshalb hat er sie nie gefragt.
Im Traum hatte Julian neben ihm gesessen. Den Fahrer hatte er nicht erkannt. Nur seine Silhouette sprang David jetzt noch einmal an. Und sofort spürte er wieder die Panik des Traums in sich hochkriechen.
Entschlossen drückte er sich vom Bett hoch und schlurfte ins Bad. Er wollte sowohl den Schweiß als auch die furchtbare Erinnerung an den Traum loswerden. Jedes Mal, wenn er die Augen kurz schloss, tauchten die Bilder wieder in seinem Kopf auf. Weiterschlafen wäre keine Option gewesen.
Im Erdgeschoss hörte er seine Mutter in der Küche rumoren. Vielleicht war es doch nicht mehr so früh, wie er gedacht hatte. Vielleicht hatte ihn der Traum genau zur richtigen Zeit geweckt. Du bist auf dem richtigen Weg. Julians Stimme hallte durch sein Hirn. Vertrau mir. David starrte sich im Badezimmerspiegel über dem Waschbecken bleich an. Wie sollte er jemandem vertrauen, der den Kontakt zu ihm vor Monaten abgebrochen hatte?
Er streifte seine Klamotten vom Leib, warf sie in den Korb mit der Dreckwäsche, dachte daran, dass er dringend waschen sollte. Er bemerkte die leichte Morgenlatte, strich sich über den Bauch, überlegte, ob er sich beim Duschen einen runterholen sollte, verschob das dann aber auf den Abend. Keine Ablenkungen heute Morgen. Er hatte klare Entscheidungen getroffen, die er jetzt nur noch umsetzen musste. Er drehte das Wasser auf und stieg in die Duschwanne.

Warum ausgerechnet Julian?

Erst als David das Wasser eiskalt stellte, verscheuchte er die letzten Bilder des Traums.

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Was wird mit David in diesem Roman passieren? Du darfst wild spekulieren und alle Ideen als Kommentar hierlassen.

Hier gehts zum zweiten Kapitel


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Dorfidylle # 00

Verfolge die Entstehung meines neuen Romans!

Ich gehe mit einem neuen Projekt an den Start. Und es ist ein spannendes Experiment, von dem ich noch nicht weiß, wie es sich entwickelt. Was also soll geschehen?

Ab kommender Woche werde ich hier in diesem Blog den Fortsetzungsroman Dorfidylle publizieren. Der Plot steht schon seit einiger Zeit fest, aber am Roman selbst arbeite ich gerade erst. Das bedeutet, dass ich den Text kapitelweise einstellen werde, immer dann, wenn ich ein weiteres Kapitel geschrieben habe. Natürlich hat dann zu diesem Zeitpunkt noch niemand den Text gelesen, ihr werdet also das Rohmaterial zu lesen bekommen und damit eröffnet sich mir und euch eine neue Welt: Ich werde euch hin und wieder fragen, was ihr von der weiteren Entwicklung der Figuren und der Geschichte erwartet. Selbst wenn die Geschichte schon gut durchgeplant ist, werde ich sie immer wieder anpassen und manchmal Ideen von euch aufgreifen. Auf diese Weise arbeitet ihr gewissermaßen an der Geschichte mit.

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Ganz neue Herausforderungen
Spannend ist dieses Projekt für mich auch deshalb, weil ich eine vollkommen neue Arbeitsweise ausprobiere. Normalerweise steige ich nach Abschluss eines Romans in eine ziemlich aufwändige Überarbeitungsphase ein, in der mir auch immer wieder größere Unschlüssigkeiten auffallen, viel Arbeit nach sich ziehen. Das gehört zum Prozess des Schreibens einfach dazu. Manchmal muss ich für ein logisches Ende noch mal in die ersten Kapitel eingreifen, eine Figur verändern, mich von einer anderen Figur trennen oder einen fehlenden Handlungsstrang einbauen. All das fällt bei diesem Experiment aus. Eine der Herausforderungen ist also, die Handlung von Anfang an so gut zu strukturieren, dass ich solche Anpassungen später nicht mehr vornehmen muss. Oder ich muss damit leben, muss eben die Entwicklung im Schreibprozess so angleichen, dass alles bislang Geschriebene zum Ende passt.

Eine zweite Herausforderung ist es, regelmäßig wirklich gute Texte zu schreiben, die ich euch auch mit gutem Gewissen präsentieren kann. Ganz ohne die eigentlich übliche Kontrolle durch meine Lektorin oder Testleser.innen. Ich hoffe, dass das gut geht. Drückt mir die bitte fest die Daumen!

Kein Kapitel verpassen!
Mein Ziel ist es, jede Woche ein neues Kapitel präsentieren zu können. Das erfordert viel Disziplin, denn manchmal hänge ich in einer Schreibblockade fest und kriege kein Wort in die Tasten getippt. Ich kann euch also nicht versprechen, dass ich meinen Vorsatz so konsequent einhalten kann, wie ich es mir vornehme. Aber ich gebe mein Bestes! Wenn ihr kein neues Kapitel verpassen wollt, dann tragt euch in die Infomails unten ein, dann bekommt ihr mit jedem veröffentlichten Kapitel eine Nachricht zugeschickt.

Inhaltlich schließe ich an die bereits erschienen GayStorys an. Im Fokus der Geschichte wird David stehen, den ihr schon aus dem dritten Roman SUMMERTIME kennt. Euch werden aber auch viele andere Figuren aus den vorherigen Romanen über den Weg laufen. Julian wird eine Rolle übernehmen, aber natürlich auch Tom. Zeitlich setzt der Roman ein halbes Jahr nach dem dramatischen Höhepunkt zwischen David und Julian an, räumlich befinden wir uns diesmal in einer Weinanbauregion in Süddeutschland, dort, wo Julian im Internat lebt.

Die Idylle auf dem Dorf ist trügerisch
Aber lass dich nicht von dem Titel ins Bockshorn jagen. Wenn du meine bisherigen Romane kennst, dann weißt du, dass es darin nicht immer ganz so idyllisch und harmonisch zugeht, wie der Titel „Dorfidylle“ unter Umständen suggeriert. Lass dich überraschen, was ich für meine Figuren an Katastrophen geplant habe und fiebere mit, ob sie sich am Ende doch für die Liebe entscheiden!

Ich bin aufgeregt, während ich dies schreibe, weil ich sehr gespannt darauf bin, wie euch dieser Roman gefällt und ob mein Experiment klappt. Ich freue mich auf einen regen Austausch mit euch, ich wünsche mir viele Fragen und werde versuchen, sie so schnell es geht zu beantworten. Manchmal werde ich mich natürlich mit Informationen zurückhalten, denn ich will die Handlung ja nicht spoilern. Das würde uns allen den Spaß an diesem Roman verderben.

Dies ist also ein großes Experiment. Bist du dabei?

Wenn dir die hier entstehende Geschichte gefällt, dann erzähl doch bitte auch anderen davon. Für mich ist es enorm wichtig, von euch weiterempfohlen zu werden. Denn nur, wenn viele Menschen meine Texte mögen, kann ich neue Romane schreiben. Also postet was das Zeug hält!

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