Katerina Solwanowa/Elena Malisowa:
Du und ich und der Sommer
Ich weiß nicht mehr genau, wo ich über dieses Buch gestolpert bin. Irgendwo in den Sozialen Medien. Vermutlich bei Instagram. Angeblich soll der Roman in Russland bei TikTok einen regelrechten Hype ausgelöst haben. So las ich es zumindest. Der Verlag wirbt daher auch auf dem Cover mit einem roten Sticker und dem Wortlaut „Der verbotene Bestseller aus Russland, der TikTok zu Tränen rührt!“ Mich hat das sofort getriggert. Vor allem, weil die beiden Autorinnen aus Russland und der Ukraine stammen und Projekte, die von Menschen dieser beiden im Krieg verwickelten Nationen gemeinsam auf die Welt gebracht werden, einer kleinen Friedensmission gleichkommen. Und dann ist dies auch noch ein russischer Roman mit schwulen Protagonisten. In meinen Augen stimmte da einfach alles und ich musste mir das Jugendbuch kaufen.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Zwei junge Männer, siebzehn und neunzehn Jahre alt, treffen in den 1980er-Jahren in einem Ferienlager aufeinander und verlieben sich. Die Sowjetunion befindet sich mitten im Kalten Krieg, die Ukraine ist von einer Unabhängigkeit weit entfernt und queere Menschen gibt es in der allgemeinen Wahrnehmung nicht. Wir befinden uns also in einem Pulverfass für Schwule. Zwanzig Jahre später macht sich in der Rahmenhandlung der Protagonist auf die Suche nach seiner vergangenen Liebe und reist an den Ort des Geschehens, wo er auf die Trümmer des Ferienkomplexes trifft.
Damit ist die Grundlage für ein herrliches Jugenddrama gelegt. Und nichts spricht dagegen, das auch in allen Details durchzuspielen. Mit entsprechenden Erwartungen bin ich also in die Lektüre eingestiegen. Dass ich dabei mit mir weitgehend fremden Kontexten konfrontiert werde, habe ich dabei erwartet. So will ich das ja auch, wenn ich ein Buch lese. Wenn ich alles schon kenne, dann wird es schnell zäh und langweilig. Ich brauche also Neuerungen und Herausforderungen. Und davon gibt es in diesem Roman wirklich genug.
Die beklemmende Enge der sowjetischen Gesellschaft stülpt sich dem Leser sofort entgegen. Die Hierarchien und der Pioniergeist erscheinen mir fremd und erschweren mir den Zugang. Unweigerlich stelle ich mir immer wieder die Frage, ob ich diesen Roman anders lesen würde, wenn ich im Osten Deutschland aufgewachsen wäre. Dann hätte ich zumindest einen persönlichen Bezug zu den beschriebenen Strukturen. Da ich jedoch die ersten zwanzig Jahre meines Lebens in Niedersachsen verbracht habe, muss ich mich auf ungewohnte Wege einlassen. Und das fällt mir in diesem Kontext durchaus schwer. Alles in mir sperrt sich gegen diese Welt der Befehle und des Gehorsams, gegen die psychische Gewalt, die den Kindern in dem beschriebenen Lager angetan wurde, gegen die vielen Einschränkungen und Entbehrungen. Aber das war nicht der Grund für meine Resignation gegenüber dem Text. Diese Welt hat meine Entscheidung, den Roman nicht zu Ende zu lesen, lediglich unterstützt.
Andere Gründe waren gewichtiger. Da ist zum Beispiel die immer wieder sperrige Sprache. Natürlich befinden wir uns in den 80er-Jahren und damals sprachen die Menschen anders als heute. Aber sollte sich das nicht letztendlich auf die Dialoge beschränken? Sind die darüber hinausgehenden Abschnitte nicht der Gegenwart und ihrer Sprache entsprungen? Interessant wäre es geworden, wenn zwischen den Dialogen und den Erzählsequenzen eine sprachliche Spannung und Diversität bestehen würde. Das Jugendbuch verharrt aber durchgehend in der Vergangenheit und schafft an keiner Stelle den Sprung durch die Zeit.
Darüber hinaus ist die Handlung voller erfüllter Erwartungen. Selbst die großen Wendungen des Plots werden so beschrieben, als hätte der Leser sie nicht im Vorfeld absehen können. Aber zumindest diejenigen, die schon ein paar Bücher gelesen haben, bringen ja auch ihre Leseerfahrungen mit. Und wenn ich immer schon ein paar Seiten vor der Auflösung eines Coups weiß, wie die Figuren reagieren, dann verliere ich schnell die Lust an der Lektüre.
Und dann ist da noch die geringe Tiefe der Figuren, die mich zur Aufgabe bewegt hat. Die beiden Hauptfiguren bleiben ungewöhnlich blass und farblos. Ich konnte und wollte mich mit keinem der beiden identifizieren und habe mich ständig gefragt, warum die so handeln, wie sie handeln.
Alles in allem ist es sehr schade, dass die beiden Autorinnen nicht mehr aus der Geschichte gemacht haben. Wieso ihr Jugendbuch in Russland angeblich so sehr gehyped wurde, erschließt sich mir nicht richtig. Ich kann lediglich vermuten, dass es in der russischen Literatur nur wenig Jugendromane mit queerer Thematik gibt und daher jeder publizierte Text dieser Art gefeiert wird. Aber der russische Buchmarkt ist ein anderer als der deutschsprachige. Und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass deutsche Jugendliche auf diesen Roman abfahren.
Möglicherweise liege ich mit meiner Eischätzung aber auch vollkommen falsch. Eventuell habe ich nicht den richtigen Zugang gefunden, vielleicht waren meine Erwartungen zu hoch gesteckt. Oder ich bin tatsächlich zu alt und zu leseerfahren für dieses Buch.
Daher würde ich mich wahnsinnig freuen, wenn sich hier der eine oder die andere findet, die mir ihre und seine anderslautenden Erfahrungen mitteilt.
Haut in die Tasten!
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