Mikita Franko: Die Lüge.
Russland und die Schwulen – das ist keine harmonische Beziehung. Ganz im Gegenteil. Und die Situation für queere Menschen in Russland wird stetig schlechter. Zwar sind homosexuelle Handlungen weitgehend legal, aber die Tabuisierung in der Bevölkerung ist erschrecken weit verbreitet. Wladimir Putin hat darüber hinaus 2013 ein Gesetz unterschrieben, das die bisherigen regionalen Verbote homosexueller Propaganda deutlich verschärft hat: Ab sofort war (und ist) es verboten, sich in Gegenwart von Minderjährigen positiv über Homosexualität zu äußern. Die russische Politik tut also so, als hätte es in den vergangenen einhundert Jahren keine Entwicklung gegeben, stempelt queere Menschen als minderwertig ab und schafft damit die Basis für verbale und körperliche Übergriffe. Aus Gedanken werden Worte. Aus Worten werden Taten. Die queeren Medien sind voll mit Berichten über brutal misshandelte Schwule, Lesben und andere Queers.
Vor diesem Hintergrund und mit diesem Wissen habe ich mich an ein Buch gewagt, das mir sofort ein ungutes Gefühl im Bauch bereitete. Mikita Franko, ein in Moskau lebender Transmann, kommt ursprünglich aus Kasachstan und hat einen fulminanten Roman vorgelegt, den ich von der ersten bis zur letzten Seite wie im Rausch gelesen habe.
Schwule Väter
Inhaltlich geht es zunächst um den fünfjährigen Mikita, der nach dem Tod seiner Mutter von deren Bruder adoptiert und aufgezogen wird. Dass Slawa schwul ist, weiß der Junge natürlich in den ersten Jahren nicht, und Lew, der nette „Mitbewohner“ seines Onkels, gehört einfach mit dazu. Aber nach und nach stellt Mikita Fragen, in der Schule wird er komisch angeguckt und er beginnt zu verstehen, dass seine Familie völlig anders ist als die Familien seiner Freunde.
Mich hat dieser Roman von der ersten Seite an völlig gefesselt. Vielleicht, weil ich auf die große Katastrophe gewartet habe. Vielleicht aber auch, weil ich irgendwie noch auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen gehofft habe. Wider besseres Wissen. Aber auch sprachlich ist dieses Buch des heute 25jährigen Russen wirklich überzeugend.
Russische Realität
Und immer wieder schiebt sich bei der Lektüre die russische Realität vor meine Augen. Die tägliche Verfolgung, die brutale Gewalt durch Polizei, die Willkür, der die Menschen ausgesetzt sind. Bis hin zu den Berichten über Schwule, die sich via Dating-Apps verabreden und dann auf eine Gruppe brutaler Schläger treffen. All diese Bilder drängen sich mir auf und lassen mich den Mut erkennen, den ein junger Schriftsteller aufbringen muss, mit diesem Roman an die Öffentlichkeit zu treten und sich damit verbalen und im Zweifelsfall auch körperlichen Übergriffen auszusetzen.
Und ich kann nicht verhindern, auch an die Menschen in der Ukraine zu denken. Die Ukraine ist gesellschaftlich beileibe noch nicht mit den meisten Staaten der EU vergleichbar. Die Korruption ist bis heute eine große Herausforderung. Aber das Land war auf einem guten Weg. Bis zum 24. Februar 2022. Queere Menschen in der Ukraine müssen das einmarschierende russische Militär in doppelter Hinsicht fürchten. Weil sie Ukrainer sind. Und weil sie queer sind. Immerhin hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor ein paar Tagen geäußert, dass er die Einführung gleicher Rechte für Schwule und Lesben befürworte. Allerdings erst nach Beendigung des Krieges. Und das wird vermutlich noch Jahre dauern.
All dies geht mir durch den Kopf, wenn ich mich mit Mikita Frankos Roman beschäftige. Und all dies hat keinen Einfluss darauf, dass dieser Roman eine Wucht ist.
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