Becky Albertalli & Adam Silvera: Was ist mit uns?
Immer wieder suche ich nach wirklich gut geschriebenen queeren Büchern und vor allem nach schwulen Hauptfiguren, die mich mitreißen. Der Buchmarkt wird zwar zur Zeit mit schwulen Charakteren überschwemmt, doch nur wenige von ihnen überzeugen mich wirklich. Bei diesem Buch des Autorenduos Albertalli und Silvera, die jede.r für sich schon packende Geschichten schreiben, ist das anders.
Nach dem Coming-out ist mitten im Leben
Die Selbstverständlichkeit, mit der die beiden Hauptfiguren Artur und Ben mit ihrer Homosexualität umgehen, hat mich vom ersten Moment an überzeugt. Auch wenn ich selbst häufig über die spannende Phase des Coming-outs schreibe, sind gerade Geschichten, in denen die Protagonisten diese Hürde schon genommen haben, immer wieder wichtig. Denn in der Beschreibung des Coming-outs treten ja die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, in der Regel in den Vordergrund und bieten in erster Linie Blaupausen für diejenigen, die diesen Schritt gerade erst noch vollziehen. Aber wir brauchen auch viele Romane, die die Zeit danach beschreiben, um Mut zu machen, um zu zeigen, dass nach den großen individuellen Herausforderungen auch eine Beruhigung eintritt, in der man sich wieder auf das normale Leben konzentrieren kann.
Mit ist es wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass es auch in einer liberaler gewordenen Welt und einer fortschreitenden Öffnung der Gesellschaft für queere Menschen weiterhin für jeden Menschen ein großer Schritt ist, sich als queer zu outen. Noch immer wird es als die Regel angesehen, heterosexuell zu leben und sich den Normen unserer Welt zu unterwerfen. Für jeden Einzelnen steht also an erster Stelle des Coming-outs eine Konfrontation mit sich selbst und dem eigenen Rollenverständnis auf dem Plan, wenn man bemerkt, anders als die Eltern zu fühlen, anders als die meisten Freund.innen zu sein. Auch wenn das Umfeld mittlerweile (zum Glück) meist relativ gelassen auf ein Outing reagiert und viele Eltern nicht mehr den Weltuntergang wittern, wenn sich die Tochter oder der Sohn zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlt, spürt man doch schnell die (vermeintlichen) Blicke auf sich gerichtet, wenn man diesen Schritt geht.
Mein Leben ist nicht das “Normale”
Darüber hinaus lebe ich selbst natürlich in einer heilen Welt, in einer Blase, die durch mein eigenes Handeln stark gefiltert ist. Meine Freund.innen haben kein Problem mit Schwulen und Lesben. Meine Kolleg.innen wissen, dass ich mit einem Mann verheiratet bin. Auch meine Auftraggeber.innen und Kund.innen können sich mit wenigen Klicks im Internet über mein offen schwulen Leben informieren. Negative Reaktionen darauf kenne ich aus meiner direkten Umgebung gar nicht mehr. Und darüber bin ich sehr froh. Das liegt nicht zuletzt daran, dass ich in Köln lebe, einer Stadt, in der es eine große und sehr präsente queere Community gibt. Und natürlich habe ich mir meine Freund.innen und Kolleg.innen so ausgesucht, dass ich mich mit ihnen wohl fühle. Alles andere wäre auch bescheuert.
Aber meine Blase entspricht leider nicht dem, was Menschen in Kleinstädten, in anderen Kölner Stadtteilen oder gar in der deutschen Provinz erleben. Hier gehören Anfeindungen, verbale und körperliche Übergriffe immer wieder zum Alltag. Gesellschaftliche Veränderung, die in der Tiefe wirkt und sich auf alle Bevölkerungsteile überträgt, vollziehen sich langsam. Und ein Teil unserer Mitmenschen tut sich nun mal schwer mit Veränderungen. Sie verbinden damit einen Eingriff in ihre gewohnte Welt und fühlen sich (eigenartigerweise) angegriffen. In der Folge reagieren einige von ihnen mit massiver Abwehr. Die Folgen kennen alle Menschen, die nicht der Norm entsprechen: Rollstuhlfahrer genauso wie Migranten, Schwule ebenso wie Juden und Muslime. Wer nicht in die gängigen Schemata passt, wird schnell ausgegrenzt.
Wir können die strärken, die uns brauchen
Rosa von Praunheim hat 1971 den Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ gedreht und damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Dabei ist das von ihm beschriebene Gesellschaftsbild immer noch an den oben erwähnten Orten unserer Republik so präsent wie damals. Und ganz im Sinne Praunsheims müssen wir diejenigen stärken, die ihren eigenen Weg gehen und sich damit der Mehrheitsgesellschaft widersetzen. Denn der Ausbruch aus den immer noch als „normal“ wahrgenommenen Narrativen kostet Kraft und diese Menschen brauchen unsere Unterstützung.
Genau diese Unterstützung leisten Albertalli und Silvera in diesem wunderbaren Jugendroman. Indem sie unaufgeregt über das normale Kennenlernen zweiter Jungs in New York schreiben, zeigen sie auf, dass es ein Leben nach dem Outing gibt, in dem es nicht mehr um eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst geht, sondern (ganz banal) darum, ob der Mensch, in den man sich verliebt hat, diese Gefühle erwidert.
Gute Literatur für alle
Holt dieses Buch also in die Schulen! Verschenkt es an die Jugend. Flutet die Bibliotheken mit wirklich guten Romanen voll queerer Charaktere. Nicht nur in den Metropolen wie Berlin, Hamburg, München und Köln. Gerade die kleinen Orte brauchen diese Bücher, damit queere Jugendliche ein für alle mal verstehen, dass sie nicht allein sind!
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Eine Antwort auf „Ihr seid nicht allein!“
Habe beide Bücher dieser “Reihe” vor kurzem gelesen und stimme Dir vollkommen zu. Die beiden Autoren schreiben diese Geschichte sehr gefühlvoll aber unaufgeregt. Solche Geschichten hätte ich als Jugendlicher gerne gelesen. Entdecke zur Zeit weitere Romane von A. Silvera und bin angetan von seiner empathischen Erzählweise.