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Plädoyer für die eigene Stimme

Schon lange treibt mich ein Thema um, mit dem ich mich kaum aus der Deckung wage: Wieso schreiben eigentlich so viele (heterosexuelle) Frauen schwule Romane? Man mag jetzt vielleicht in einem ersten Impuls meinen, das sei doch alles gar nicht so wild und ich könne ja auch nicht erwarten, dass Thriller nur von Autor:innen geschrieben würden, die schon mal einen anderen Menschen umgebracht haben. Aber so einfach ist es dann doch nicht.

In den sozialen Medien habe ich mit diesem Text einen Orkan der Gefühle und Kommentare ausgelöst. Ich wollte niemandem zu nahe treten und keiner Autorin die Berechtigung absprechen, schwule Romane zu schreiben. Das ist mir wahrlich nicht gelungen. Nach langem Überlegen habe ich mich dennoch entschlossen, diesen Text mit einigen Korrekturen und Überarbeitungen wieder online zu stellen, weil ich das Thema für zu wichtig erachte, als dass ich mich von unangemessenen Kommentaren abschrecken lasse.

Kulturelle Aneignung
In der Kultur, in der Filmbranche, in den Theatern und auf den Bühnen der Welt gibt es einen sich allmählich durchsetzenden Konsens: Innuit und Ureinwohner, Ausländer und Rastafaris werden in der Regel nicht mehr von Menschen verkörpert, die diesen Gruppen nicht selbst angehören. Wir sprechen in diesen Fällen von kultureller Aneignung. Der Hintergrund dazu ist, dass diese Menschen durchweg in den oben genannten Bereichen unterrepräsentiert sind, obwohl sie ja zu unserer Gesellschaft gehören. Und in vielen Fällen gehen beispielsweise mit der Darstellung eines Türken durch einen Deutschen eine Menge Stereotype einher, die nichts mit den betroffenen Gruppen zu tun haben. Und nicht zuletzt wird einem dunkelhäutigen Menschen auch noch der Weg zu Perspektive und Geld verbaut, indem jemand anderes seine Rolle übernimmt. Unsere Gesellschaft ändert sich, wenn auch nur sehr träge.

Vor einigen Tagen war dann Raul Krauthausen in einem Interview des NDR zu Gast und hat der Diskussion einen weiteren Aspekt hinzugefügt: Die Darstellung von Behinderten in Filmen. Wer Raul Krauthausen nicht kennt: Er ist Schauspieler und Autor und nicht zuletzt ein vehementer Kämpfer für die Rechte von behinderten Menschen. Er fordert für die Ausbildunge von Schauspieler:innen eine Quote, sodass Behinderte eine größere Chance haben, die Rollen, die sie repräsentieren, auch selbst zu spielen. Mich überzeugt dabei vor allem der Gedanke, dass man einem behinderten Schauspieler seine Rolle viel eher abnimmt, weil er sie glaubwürdiger und authentischer ausfüllt. (Das vollständige Interview kannst du dir HIER ansehen.)

Was ist mit der Literatur?
Ist es vor diesem Hintergrund nicht auch an der Zeit, die Literatur zu hinterfragen? Wenn ich einen Roman über einen afroamerikanschen Kommissar in Chicago lese, dann erwarte ich dahinter einen Autor, der aus eigener Erfahrung weiß, wie es sich anfühlt, als afroamerikanischer Mann in den USA zu leben. Wenn ich über die Herausforderung eines Mädchens lese, das die Pubertät durchlebt, dann gehe ich davon aus, dass die Autorin weiblich sein muss, denn wie sollte ein Mann die physischen und psychischen Veränderungen beschreiben, die mit der ersten Monatsblutung einhergehen? Wenn ich den Reisebericht eines querschnittsgelähmten Mannes durch die Sahara lese, dann möchte ich nicht hinterher erfahren, dass der Autor durchaus laufen kann und noch nie in einem Rollstuhl gesessen hat. Das zumindest sind meine Ansprüche an die Bücher, die ich lese.

Aber was ist dann mit schwuler Literatur? Ist Homosexualität einfach nur eine Variation des menschlichen Seins? Kann jede:r Autor:in darüber schreiben, wie es ist, sich vor den Eltern und den Freunden zu outen? Hat sich unsere Gesellschaft so weit geöffnet, dass es vollkommen egal ist, ob ich als Mann eine Frau oder einen anderen Mann liebe? Wir laufen immer wieder Gefahr, genau das zu denken. Ich zumindest. Denn ich lebe in einer gesellschaftlichen Blase, zu der viele Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen gehören. Ich habe mir mein Umfeld so gestaltet, dass es mit meiner Lebensweise vollkommen normal umgeht. Aber ich lebe auch in Köln. In einem der besseren Stadtviertel dieser Stadt. Ich bin umgeben von reflektierten und intelligenten Menschen. Aber das ist nicht der Normalfall. Der Durchschnitt der deutschen Gesellschaft ist anders. Sobald ich Köln verlasse und durch die Eifel oder das Bergische Land laufe, gucken mich die Leute ganz entgeistert an, wenn ich meinen Mann an der Hand halte. Und: Wenn sie nur gucken, dann haben wir Glück gehabt. Meist gehören auch verbale Äußerungen dazu.

Der lange Weg zur Selbstbestimmung
Um da zu stehen, wo ich heute stehe, mit meinem Selbstbewusstsein und der Überzeugung, das Richtige zu tun und zu leben, habe ich einen weiten Weg hinter mich gebracht. Ich musste mich mit mir und meiner Sexualität intensiv auseinandersetzen, habe ich mich gegen Vorurteile behauptet und Anfeindungen ertragen. Ich musste akzeptieren, dass Kinder nicht so selbstverständlich zu meinem Leben gehören, wie bei meinem Bruder. Ich durfte meinen heutigen Mann bis vor ein paar Jahren nicht heiraten, konnte nicht selbstverständlich erwarten, dass der Mensch, der mir am nächsten steht, auch die Entscheidungen für mich fällt, wenn ich das einmal nicht mehr kann. Mietrecht. Erbrecht. Adoptionsrecht. All diese Themen waren und sind teilweise immer noch mit großen Hürden verbunden. Einiges davon ist heute angeglichen und verbessert. Dafür haben viele Menschen lange gekämpft. Volker Beck und Hella von Sinnen, Rosa von Praunheim und Ralf König, selbst Guido Westerwelle und Klaus Wowereit haben dazu beigetragen, dass die Toleranz und der Respekt ausgeweitet, aber auch das politsche Fundament dazu gelegt wurde. Doch trotzdem sind auch heute immer noch Jugendliche und Erwachsene mit Beleidigungen, Ausgrenzungen konfrontiert, wenn sie sich als schwul, lesbisch, bi oder trans outen. Daran hat sich kaum etwas verändert. Wir müssen uns immer noch auseinandersetzen und erklären und verteidigen. Jeden Tag. Und diese Auseinandersetzungen haben einen großen Einfluss auf die Menschen, die dabei entstehen.

Was also geschieht, wenn ein:e Autor:in nichts von diesen Entwicklungen am eigenen Leib erfahren hat? Wenn sie sich nie zu einer Sexualität bekennen musste, die nicht der statistischen Norm entspricht. Wenn sie nie als „Schwuchtel“ oder „Homo“ beschimpft wurde. Kann sie dann einen schwulen Mann so beschreiben, der als authentisch und glaubwürdig wahrgenommen wird? Ich behaupte, dass das schwierig ist. Ein Kritiker könnte jetzt wieder mit der Protagonistin in einem Thriller kommen: Kann denn nur eine Autorin, die selbst schon einen Menschen brutal abgeschlachtet hat, über eine Serienkillerin schreiben? Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen den beiden Themen: Es gibt da draußen viele Schwule (von denen auch einige ganz gut schreiben können). Wir kennen diese Menschen und erleben sie. Wir können also die fiktionale Figur in einem Roman mit der Realität abgleichen. Bei einem Serienmörder ist das anders: Ich zumindest weiß in meinem Freundeskreis von keinem Killer. Also weiß ich auch nicht, wie ein Killer in der Realtät durch die Welt läuft, wie er denkt, fühlt, handelt. In der Folge kann ich über sein Seelenleben nur spekulieren. Einen Rollstuhlfahrer hingegen kenne ich und kann ihn im Zweifelsfall fragen, wie er eine Reise durch die Sahara gestalten würde.

Über die alltäglichen Erfahrungen hinaus gibt es noch einen weiteren Aspekt in schwulen Romanen, der für nicht-schwule Autor:innen eine Herausforderung darstellen sollte: der Sex. In den letzten Jahren habe ich viele Texte gelesen, in denen ich über zum Teil recht skurrile Vorstellungen von männlicher und schwuler Sexualität gestolpert bin. Aber selbstverständlich gibt es wirklich tolle Autorinnen, die diese Szenen gut beschreiben. Ich selbst würde allerdings niemals über weibliche Sexualität schreiben, weil mir persönlich einfach der Bezug dazu fehlt und ich sicher bin, furchtbar peinliche Dinge zu schreiben.

Ablehnung als System
Und noch ein Gedanke: Über viele Jahre hinweg wurden die Manuskripte engagierter schwuler Autoren umgehend abgelehnt, wenn eine schwule Hauptfigur darin vorkam. Uns Autoren war jahrelang der Weg, über das zu schreiben, was unserer Lebensrealität entspricht, verschlossen. Lediglich in Nischenverlagen konnten wir authentisch publizieren. Uns wurde eine wahrhafte Beteiligung an der literarischen Welt systematisch verwehrt. Wir kamen darin nicht vor, wir wurden nicht breit erwähnt und in der Folge konnten wir auch kein Geld mit unseren Texten verdienen. Jetzt ändert sich die Stimmung langsam. Sehr langsam. Aber noch immer werden Projekte von mir mit der Begründung abgelehnt, dass „der Markt noch nicht für einen schwulen Kommissar bereit“ sei. Geschehen ist dies im Frühjahr 2023! Aber: Es bewegt sich etwas.

Nun stellt sich uns die Herausforderung, dass wir uns um die wenigen Programmplätze kloppen dürfen. Das Problem sind hier nicht die Autorinnen, die über schwule Themen schreiben, sondern das Problem ist der Buchmarkt, der sich viel zu langsam bewegt. Wenn der Markt sich endlich wirklich öffnen würde, gäbe es deutlich mehr Programmplätze für diverse Texte. Wir werden also alle in eine Situation gezwungen, auf die wir keine Lust haben.

#OwnVoice
Ich bin fest davon überzeugt, dass wesentliche Teile der schwulen Literatur auch von Schwulen geschaffen werden sollten, damit sie authentisch sind. Damit keine Stereotype in die Welt hinausgetragen werden. So wie wir die authentischen Stimmen von Frauen und Afroamerikanern brauchen, von Rollstuhlfahrern und Flüchtlingen, genauso brauchen wir die originären Stimmen von queeren Menschen, von Schwulen, Lesben und Transgender.

Weiterführende Literatur
Authentisch über andere schreiben
Wieso Own Voices Bücher so wichtig sind
#ownvoices sind wichtig


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