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Buchvorstellung

Wunderbare Fantastik

Bridget Collins: Die verborgenen Stimmen der Bücher.


Achtung Triggerwarnung!
In diesem Artikel geht es unter anderem um psychische Erkrankungen und Suizid. Wenn du damit nicht konfrontiert werden möchstes, dann lies nicht weiter! Unten findest du darüber hinaus Hilfsangebote!


Ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich auf dieses Buch aufmerksam geworden bin. Vermutlich haben es einige Menschen in meinem Instagram-Dunstkreis gelesen und ich habe mich anfixen lassen. Bereut habe ich es auf jeden Fall nicht. Ganz im Gegenteil: Ich habe diesen Roman bereits zweimal gelesen und ich bin sicher, dass ich ihn noch mehrfach lesen werde. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Geschichte ist wunderbar erzählt, die Sprache hat mich wirklich überzeugt und die Hintergründe, die ich in den Text hineinlese, haben mich in ihren Bann gezogen.

Eine fantastische Welt
Aber vielleicht sollte ich vorne anfangen. Bridget Collins erzählt die Geschichte des jungen Emmett in einer erst auf den zweiten Blick fantastischen Welt, die sich zeitlich nicht richtig einordnen lässt. Vermutlich befinden wir uns in einer Zeit, die dem Ende des 19. Jahrhunderts wohl am nächsten kommt. Emmett lebt auf dem Land, fern ab jeder größeren Stadt. Es sind vermtulich die Britischen Inseln, aber letztlich könnte die Handlung auch irgendwo in Süddeutschland oder in Frankreich voranschreiten. All das spielt keine große Rolle. Wichtiger ist, dass Emmett an einer ominösen Krankheit litt, von der er sich gerade erst langsam erholt. Er hat keine Ahnung, welcher Art die Krankheit war, doch im Laufe der Handlung findet er immer mehr über sich und seine Vergangenheit heraus. Und das ist zugleich der Kern der Geschichte: Die Selbstfindung und Emanzipation aus den einfachen und konservativen Verhältnissen.

Der fantastische Aspekt in Collins´ Roman ist die Fähigkeit einiger Menschen, andere „in Bücher zu binden“. Bücher spielen also eine zentrale Rolle, wenngleich sie eine völlig andere Funktion übernehmen, als wir sie von Büchern kennen. Die Binder – so heißen die Menschen in dem Roman mit den besonderen Fähigkeiten – haben gelernt, den Lebensgeschichten anderer Menschen zu lauschen und sie ihnen aus dem Bewusstsein zu ziehen, indem sie sie zwischen zwei Buchdeckel sperren. Sobald ein Kunde seine Geschichte erzählt und der Binder sie aufgeschrieben hat, erinnert sich der Kunde nicht mehr daran, was er einmal erlebt und berichtet hat. Das kann auf der einen Seite natürlich ganz praktisch sein, wenn man schlechte Erfahrungen hinter sich lassen will. Der Prozess löscht aber auch die Erinnerung an Schönes, wenn man einem Binder davon erzählt.

ACHTUNG SPOILER!
Für mich war dieser Roman deshalb so außerordentlich spannend, weil der Protagonist erst im Laufe der Handlung entdeckt, dass er schwul ist. Denn seine Erfahrungen sind in ein Buch gebunden worden. Diese Erkenntnis zieht Emmett den Boden unter den Füßen weg. Und er erkennt noch mehr: Er hatte sich in der Vergangenheit schon einmal richtig verliebt. Doch auch dem anderen Jungen ist ein Binder in den Weg gekommen und hat seine Erinnerung gelöscht. Dadurch entspinnt sich eine spannende Handlung, der ich fieberhaft von Seite zu Seite gefolgt bin.

Hat die Metapher des Bindens eine tiefere Bedeutung?
Mit ist nach der Lektüre ein interessanter Gedanke gekommen, von dem ich nicht weiß, ob er auch im Kopf der Autorin war, als sie sich diese Geschichte ausgedacht hat: Der Prozess der Bindens hat etwas von einer Gehirnwäsche. Und im schwulen bzw. homosexuellen Kontext gibt es das tagtäglich. Man nennt das Konversionstherapie. Da versuchen selbsternannte Heiler.innen, fehlgeleitete Psycholog.innen manchmal sogar Mediziner.innen, Schwule und Lesben von ihrem „Leiden“ zu befreien. Ich weiß tatsächlich nicht genau, was in diesen „Therapien“ genau passiert, aber die Effekte davon sind hinlänglich bekannt. In vielen Fällen führen sie zu schweren psychischen Erkrankungen und leider immer auch wieder zu Suiziden. Und obwohl man darum weiß, wird diese Praxis bis heute in vielen Ländern der Welt durchgeführt.

Seit 2020 sind Konversionstherapien in Deutschland verboten. Aber nur bei Minderjährigen. Erwachsene dürfen sich weiterhin dieser Behandlung unterziehen. In meinen Augen ist das absurd. Denn die psychischen Schäden, die diese Behandlung nach zieht, die medizinischen Folgekosten und nicht zuletzt die wissenschaftliche Forschung, die Homosexualität nicht als Krankheit ansieht, die „behandelt“ werden kann, sprechen eine eigene Sprache. Vielleicht schafft es die aktuelle Bundesregierung ja, dieses Vorgehen endgültig zu stoppen. Das würde ihr gut zu Gesicht stehen.

Da ich nicht weiß, ob Collins die Konversionstherapien in ihrem Roman mitgedacht hat, kann ich hier nur mutmaßen. Letztendlich spielt das aber auch keine Rolle, denn ich als Leser habe das Thema aus dem Text gelesen. Doch das soll euch nicht davon abhalten, diesen Roman zu lesen, denn es lohnt sich, in in die Hände zu nehmen und tief in die grandios erzählte Geschichte einzutauchen.


WICHTIG! Hier gibt es Hilfe!

Wenn du dich in einer akuten Krise befindest und vielleicht sogar über Suizid nachdenkst, wende dich bitte an deinen behandelnden Arzt oder Psychotherapeuten, die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter 112. Du erreichst die Telefonseelsorge rund um die Uhr und kostenfrei unter 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222.


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